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70 Jahre Kriegsende: Richtige Entscheidung, falscher Grund

70 Jahre Kriegsende: Richtige Entscheidung, falscher Grund

70 Jahre Kriegsende: Richtige Entscheidung, falscher Grund

Berlin
Berlin
Generaloberst Nikolai E. Bersarin verabschiedet vor dem Reichstag in Berlin die Siegesfahne der Roten Armee nach Moskau Foto: picture-alliance/RIA Nowosti
70 Jahre Kriegsende
 

Richtige Entscheidung, falscher Grund

Gute Nachricht, denkt man einen Moment: Merkel fährt nicht zur Weltkrieg-II-Siegesparade in Moskau. Leider aus den falschen Gründen. Denn nicht Selbstachtung ist es, die Merkel der russischen Triumphveranstaltung fernbleiben läßt. Ein Kommentar von Michael Paulwitz.
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Gute Nachricht, denkt man einen Moment: Merkel fährt nicht zur Weltkrieg-II-Siegesparade in Moskau. Leider aus den falschen Gründen – die Bundeskanzlerin möchte lediglich angesichts des weiterschwelenden Ukraine-Kriegs mit einem Besuch bei Putin nicht der Kiewer Regierung auf die Füße treten.

So wie US-Präsident Obama übrigens auch nicht. Merkels Absage ist daher kein plötzlicher Ausbruch von geschichtspolitischer Sensibilität – die könnte eher noch den ebenfalls fernbleibenden Präsidenten Polens und der baltischen Staaten unterstellt werden, für deren Länder es an Stalins Sieg auch nicht viel zu feiern gibt –, sondern entspringt weiterhin dem Wunsch, irgendwie zu den Siegern dazuzugehören, nur halt zu den richtigen.

Geschichtspolitische Instrumentalisierung

Der Sieg der Sowjetunion, dessen 70. Jahrestag am 9. Mai gefeiert wird, war aber nicht nur ein Sieg über Hitler und das nationalsozialistische Regime, sondern in erster Linie ein Sieg über Deutschland. Er forderte nicht nur Millionen Opfer unter den Russen und den übrigen Völkern der Sowjetunion, sondern ebenso unter den Deutschen. Stalin und seine Verbündeten waren ausgezogen, sie zu besiegen und nicht zu „befreien“, es sei denn von Hab und Gut, Leib und Leben, Land und Heimat.

Das festzustellen, „relativiert“ keineswegs die Verbrechen Hitlers und der Nationalsozialisten. Diese rechtfertigen aber auch nicht die im Namen der Sieger begangenen Untaten. Das macht es zu einer Frage der Selbstachtung für jeden politischen Repräsentanten Deutschlands, den Triumphveranstaltungen der Sieger fernzubleiben.

Daß diese um so bombastischer auszufallen scheinen, je weiter der konkrete Anlaß in der Geschichte zurückliegt, ist Ausdruck einer geschichtspolitischen Instrumentalisierung, die den Sieg über Deutschland als Ausgangspunkt und identitätsstiftendes Moment der europäischen und internationalen Staatengemeinschaft festschreiben will. In kleiner Münze wird diese Mentalität in den periodisch und gerade eben wieder erneuerten Reparationsforderungen zum Beispiel der griechischen Regierung gern und immer wieder von neuem herausgegeben.

Mißachtung der eigenen Toten

Solch ein Fundament ist fragwürdig und brüchig. Frühere Auftritte der Regierungschefs Schröder und Merkel bei bisherigen Siegesfeiern in Moskau und der Normandie waren daher nicht nur geschmacklos, sie bekräftigten auch ein in letzter Konsequenz gegen Deutschland gerichtetes diskriminierendes Prinzip in den europäischen und internationalen Staatenbeziehungen, das sieben Jahrzehnte nach Kriegsende eher überwunden als zementiert werden sollte.

Die Pflicht, der Toten – aller Toten – in Würde zu gedenken, bleibt davon unberührt. Über den Gräbern müssen Haß und Feindschaft verstummen. So gesehen ist gegen das Vorhaben der Kanzlerin, am Tag nach der propagandistischen Militärparade mit dem russischen Präsidenten das Grab des Unbekannten Soldaten an der Kremlmauer zu besuchen, zunächst nichts einzuwenden.

Außer, daß sie offenkundig ebensowenig wie Putin im Sinn hat, auch eine der in Rußland zahlreich vorhandenen deutschen Soldatengrabstätten aufzusuchen. Diese absehbare Mißachtung der eigenen Toten wäre dann doch wieder – würdelos.

Generaloberst Nikolai E. Bersarin verabschiedet vor dem Reichstag in Berlin die Siegesfahne der Roten Armee nach Moskau Foto: picture-alliance/RIA Nowosti
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