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Meinung: 8. Mai – Ein Zwischenruf zum Untergang

Meinung: 8. Mai – Ein Zwischenruf zum Untergang

Meinung: 8. Mai – Ein Zwischenruf zum Untergang

Keitel
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Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel unterzeichnet als Chef des Oberkommandos der Wehrmacht am 8. Mai 1945 die deutsche Kapitulation Foto: wikimedia/National Archives Lizenz: public domain
Meinung
 

8. Mai – Ein Zwischenruf zum Untergang

Der deutsche Untergang erreicht in diesen Tagen sein biblisches Alter. Doch was bei all den Befreiungs-Floskeln der gegenwärtigen Staatsführung vergessen wird, ist, was 1945 wirklich unterging. Der Anspruch, politisch überhaupt in der Kategorie ‘ganz Deutschland’ zu denken. Ein Kommentar von Stefan Scheil.
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Wie vor zwei Wochen bereits festgestellt, erreicht der deutsche Untergang in diesen Tagen sein biblisches Alter. Beschäftigen wir uns heute jedoch nicht mit der Frage, ob dieser Untergang aus Sicht der Gegenwart vorwiegend als Befreiung zu sehen sei und man sich folgerichtig dafür auch noch zu bedanken habe. Diese Frage ist wichtig, aber sie wird mit permanent steigendem Eifer von der gegenwärtigen Staatsführung der Republik auf eine Weise bejaht, zu der wir uns einen Kommentar ersparen.

Beschäftigen wir uns statt dessen damit, was 1945 eigentlich untergegangen ist und damit, an wen in diesem Zusammenhang zu erinnern sei. Hier fällt zunächst einmal die räumliche Ausdehnung des politischen Denkens ins Auge. Was 1945 unterging, das war der Anspruch, politisch überhaupt in der Kategorie ‘ganz Deutschland’ zu denken.

Das fiel nicht allen gleich in aller Konsequenz auf. So machte die bundesdeutsche Sozialdemokratie 1949 noch Wahlkampf mit einem Plakat, auf dem zwar nicht Österreich oder Böhmen und Mähren, aber doch immerhin im Osten die Grenzen von 1914 zu sehen waren, als die aktuell geforderten Grenzen eines „freien Deutschland“.

Zäher Prozeß von Um- und Selbstumerziehung

In Wien hatte man 1945 wieder den Sozialdemokraten Karl Renner als Kanzler installiert, der in einer seiner ersten Kabinettsbesprechungen seinerseits etwas realistischer zu Protokoll gab, er sei immer und auch jetzt für die Vereinigung der Alpenrepublik mit dem Rest Deutschlands gewesen. Da der Club der Weltmächte anderes beschlossen habe, sei aber nun wohl endgültig nichts mehr zu machen.

Es folgte ein jahrzehntelanger, zäher Prozeß von Um- und Selbstumerziehung, in dem nicht nur die territoriale Reichweite des politischen Denkens in Deutschland weiter schrumpfte, sondern sich diese Frage auch von ihrem früheren demokratischen Hintergrund löste. Die Forderung nach einem Deutschland zwischen ‘Maas und Memel, Etsch und Belt’ hatte einmal zum Kern der deutschen Freiheitsbewegung gehört und später zum Konsens des demokratischen Parteienlagers, ob es nun Rechts oder Links ausgerichtet war.

Nun erhielt diese Denkkategorie langsam aber sicher einen negativen, antidemokratischen Anstrich. Das war um so bemerkenswerter, als damit in steigendem Maß die Rechtfertigung und Relativierung jener Verbrechen gegen die Menschlichkeit einherging, die von den Siegerstaaten während und nach ihrem Einmarsch von 1945 in großem Umfang begangen wurden.

Kampf gegen den deutschen Untergang

Für die Beurteilung der Legitimität der Kämpfe bis 1945 sind diese Aspekte von einiger Bedeutung. Sie führen über den einfachen Hinweis hinaus, daß es 1945 ein ebenso nachvollziehbares wie legitimes Ziel war, diese alliierten Verbrechen durch weiteren militärischen Widerstand vielleicht doch noch zu vermeiden oder wenigstens deren Umfang zu verringern. (Obwohl selbst dieser offenkundige Zusammenhang heutzutage regelmäßig durch die kleine, überaus wirksame Standardfloskel vom ‘sinnlosen Widerstand’ geleugnet wird.)

Diese Aspekte führen deutlich in die Vorkriegszeit. Ein Demokrat wie der frühere Kanzler Heinrich Brüning hatte schon 1938 notiert, lieber bei Fortdauer der Hitler-Herrschaft in der Verbannung sterben zu wollen, als das zu erleben, was die Kriegspartei des Westens mit Deutschland vorhatte. Seine Jahre im westlichen Exil und der Kontakt zu den wichtigen Kreisen in London hatten ihn umfangreich darüber belehrt. Eine Oppositionelle wie Margret Boveri kam ebenfalls zum Ergebnis, daß man Hitlers Niederlage seit 1938 wegen der drohenden dramatischen Konsequenzen für die Gesamtnation nicht mehr habe wünschen können.

An diesem Punkt saßen bis 1945 im Prinzip alle in einem Boot, denen politisch am Wohl der Gesamtnation in hergebrachtem Umfang etwas lag. Sollte der Weg zu einem freien, geeinten, souveränen und demokratischen Deutschland in diesem Sinn offen bleiben, mußte die Niederlage vermieden werden. Erinnern wir also an dieser Stelle einmal ganz unzeitgemäß, mitten aus der multikulturellen Supermarktgesellschaft heraus, an diejenigen, denen dies klar war. Sie kämpften gegen den deutschen Untergang an.

Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel unterzeichnet als Chef des Oberkommandos der Wehrmacht am 8. Mai 1945 die deutsche Kapitulation Foto: wikimedia/National Archives Lizenz: public domain
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