Daß in Berlin eine Große Koalition regiert, verdanken wir entscheidend dem Untergang der FDP. Die Wähler gaben der Partei den Laufpaß, die seit 1949 das Machtgelenk des westdeutschen Parteiensystems bildete. Die selbsternannte „Rechtsstaatspartei“ hatte sich in dem Moment überflüssig gemacht, als sie 2010 begann, die offensichtlich Recht brechende Euro-Rettung mitzutragen.
Es folgte eine schleichende politische Delegitimierung, die in einen Erdrutsch kaum geahnten Ausmaßes münden sollte. Aus der Mitte des mittelständischen, akademischen Bürgertums, das nicht gerade für überschäumenden politischen Aktionismus bekannt ist, wurde vor einem Jahr die Alternative für Deutschland (AfD) gegründet. Vom Gründungsakt im Februar 2013 bekam die Öffentlichkeit nichts mit. Erst eine Versammlung mit 1.200 Teilnehmern im hessischen Oberursel einen Monat später machte die Organisation schlagartig bekannt.
Das nötige Quentchen Fortune
Parteigründungen sind in der deutschen Nachkriegsgeschichte Legion. Ebenso ihre Fehlschläge. Lediglich zwei neuen Parteien gelang die Etablierung: den 1979 gegründeten Grünen und nach der Wiedervereinigung der inzwischen zur Linkspartei transformierten SED-PDS. Die meisten Beobachter gaben der AfD deshalb keine Chance. Daß diese eilig zusammengenagelte Gruppe ein halbes Jahr nach der Gründung im Galopp nicht nur die enormen Hürden der Wahlzulassung nahm, sondern auch 4,7 Prozent der Stimmen holte, ist – trotz knapp verfehltem Einzug in den Bundestag – ein beispielloser Erfolg.
Die AfD-Gründungsmannschaft um Bernd Lucke, Konrad Adam, Frauke Petry und Alexander Gauland hatte das nötige Quentchen Fortune. Der scheinbar trockene Volkswirtschaftsprofessor Lucke entpuppte sich dabei als Frontmann mit Charisma, der bei öffentlichen Auftritten und in Talkshows Menschen begeistert. Die Medien begegneten der AfD lange Zeit mit Wohlwollen – auch weil im Bundestag objektiv in der Euro-Frage eine echte Opposition fehlte.
Europawahl wird über das Schicksal der AfD entscheiden
Turbulente Wochen liegen jetzt hinter der AfD. In Hessen drohte eine endlose Schlammschlacht zwischen verschiedenen Gruppen die Partei zu zerreißen. Vorstands- und Delegiertenwahlen in mehreren Ländern mußten wiederholt werden, bei Schiedsgerichten stapeln sich Klagen. Nüchtern betrachtet, kämpft die AfD im Vergleich mit der Entstehungsgeschichte anderer Parteien jedoch mit normalen Kinderkrankheiten. Bei fast jeder Unternehmensgründung kommt es früher oder später zu Friktionen zwischen Gesellschaftern. Daß es bei einer Partei, die innerhalb weniger Monate von 16.000 Mitgliedern gestürmt wird und ohne hauptamtlichen Apparat über Nacht eine komplexe Struktur mit Dutzenden demokratischen Gremien aus dem Boden stampfen muß, qualmt, zischt und kracht, ist wenig überraschend.
Der erste Bundesdelegiertenparteitag der AfD am kommenden Wochenende in Aschaffenburg muß zeigen, ob es der Partei unter der Führung von Bernd Lucke gelingt, nun wieder Geschlossenheit herbeizuführen. Es sind noch vier Monate bis zur Europawahl. Diese Wahl wird über das Schicksal der neuen Partei entscheiden. Gelingt es ihr nicht, an das Wahlergebnis bei der Bundestagswahl anzuknüpfen und sich mit einer Gruppe von Abgeordneten im Europaparlament zu etablieren, ist die Partei am Ende. Doch die Umstände stehen günstig für einen Erfolg: Im Bund regiert eine visionslose Große Koalition. Und die FDP senkte auf dem jüngsten Parteitag weiter ihre Wahlchancen, indem sie Euro-Kritiker demonstrativ abstrafte.
Der Sprung in ein Haifischbecken
Den Akteuren um Lucke weht indessen seit der Bundestagswahl ein scharfer Wind ins Gesicht. Viele Medien und die politischen Konkurrenten kennen kein Pardon mehr. Die AfD fordert ein etabliertes Parteiensystem heraus, bei dem es auch um ein knallhartes Geschäft geht: Das politische Big Business dreht sich um rund 2.500 diätenbesoldete Bundes- und Landtagsmandate, jährlich über 150 Millionen Euro staatliche Parteienfinanzierung, allein für die Bundestagsfraktionen jährlich rund 80 Millionen Euro, eine halbe Milliarde Euro für Parteistiftungen. Zehntausende Jobs und Karrieren stehen auf dem Spiel.
Die AfD hat sich in ein Haifischbecken begeben. Nach einer Phase der Belustigung, der Verwunderung, des Erschreckens schlägt den Politneulingen jetzt die geballte, teils haßerfüllte Abwehr entgegen. Vorneweg das Konrad-Adenauer-Haus wird keine Mittel scheuen, um den lästigen Konkurrenten wegzubeißen. Das Mitgefühl wird sich in Grenzen halten, wenn jetzt linksextreme Antifa-Chaoten gegen AfD-Versammlungen mobilisieren. Die Medien werden mit Argumenten munitioniert werden, die AfD in vielfach erprobter Weise als „rechtspopulistische“ Formation aus dem öffentlichen Diskurs auszugrenzen.
Liberale und konservative Strömungen gleichermaßen wichtig
Die junge Partei darf sich dabei nicht in die Defensive drängen lassen. Der „neue Tugendterror“ (Sarrazin) der Politischen Korrektheit lähmt eine offene Debatte über brennende Fragen und schränkt den demokratischen Diskurs ein. Die Euro-Krise hat ein Repräsentationsdefizit breiteren Ausmaßes aufbrechen lassen. Hier wächst die Aufgabe der AfD, und es ist offensichtlich, daß die Partei langfristig einer thematischen Verbreiterung bedarf: Familienpolitik, die kulturelle Definition eines Europas der Nationalstaaten, eine souveränere deutsche Außenpolitik, nicht zuletzt die dramatischen Konsequenzen des demographischen Niedergangs und der Massenzuwanderung.
Die AfD-Spitze muß angesichts der Gesamtlage einen klugen und besonnenen Kurs fahren. Es gelang ihr bisher, die Partei in einer gesellschaftlich repräsentativen Breite liberal und konservativ zu formieren. Beide Strömungen sind aufeinander angewiesen. Die AfD wird sich nur mit zwei selbstbewußten freiheitlichen und konservativen, quasi einem Schäffler- und einem Gauweiler-Flügel, durchsetzen können.
JF 05/14