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Meinung: Abschied von Bonn

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Meinung
 

Abschied von Bonn

Den Todeskuß hatte die Kanzlerin der FDP gegeben, als sie die Euro-Rettung für „alternativlos“ erklärte. Diese politische Bankrotterklärung provozierte eine Gegenreaktion. Doch der FDP fehlte der Mut, den Verlust von Ministerposten und Neuwahlen zu riskieren. Ein Kommentar von JF-Chefredakteur Dieter Stein
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Abgang: FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle (links) und der scheidende Partei-Chef Philipp Rösler Foto: picture alliance/dpa

Den Todeskuß hatte die Kanzlerin der FDP gegeben, als sie die Euro-Rettung für „alternativlos“ erklärte. Diese politische Bankrotterklärung provozierte eine Gegenreaktion. Beim liberalen Koalitionspartner wurde zwar ein Mitgliederentscheid durchgeführt.

Die unter massivem Druck herbeigeführte knappe Niederlage der Euro-Kritiker um den FDP-Abgeordneten Frank Schäffler – sie entpuppt sich jetzt als Pyrrhussieg für die Merkel-Getreuen um Rösler, Westerwelle und Brüderle. Merkel soll damals der FDP-Spitze mit der Entlassung ihrer Minister gedroht haben. Es fehlte der Mut, den Verlust von Ministerposten und Neuwahlen zu riskieren. Die FDP hätte damit nicht nur ihre Anhänger, sondern auch einen großen Teil der Deutschen hinter sich gehabt.

Die Wähler, enttäuscht von obendrein reihenweise nicht eingehaltenen Wahlversprechungen, betätigten sich nun als Scharfrichter und warfen die blutleere FDP aus dem Bundestag, dem diese seit 1949 ununterbrochen angehört hatte.

Gestern noch auf hohen Rossen, heute durch die Brust geschossen

Mit der FDP ist auch das Bonner parteipolitische Kräftetrapez Geschichte, das die Bundesrepublik seit ihrer Gründung, also seit 64 Jahren, bestimmt hat. Die Liberalen stellten zwei Bundespräsidenten, ihre Minister führten seit 1949 über die Hälfte der Zeit das Auswärtige Amt, sie waren über insgesamt 47 Jahre als Koalitionspartner Teil der Bundesregierung.

Jetzt der Absturz vom hohen Thron des 2009 erreichten höchsten Wahlergebnisses von 14,6 Prozent unter die Fünfprozenthürde. „Besenrein“ hätten die Abgeordneten der FDP ihre Büroräume zu übergeben, lautete die trockene Mitteilung der Bundestagsverwaltung Anfang der Woche. Hier statuierten die Wähler für die politische Klasse ein Exempel gemäß dem Volksmund: Gestern noch auf hohen Rossen, heute durch die Brust geschossen.

Wenn sich die außerparlamentarische FDP nicht regeneriert und vom Erfolg der Euro-Kritiker lernt, werden die Grünen einen Teil ihres Erbes antreten, da sie schon lange den Platz einer linksliberalen Kraft beanspruchen. Die Grünen erlebten indes, tief versunken im Pädophilie-Sumpf, mit acht Prozent ihr Waterloo. Die Öko-Partei wurde vor noch nicht allzu langer Zeit bei über 20 Prozent gehandelt. Die hochmütige Truppe um Claudia Roth, Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt – sie wurde von den Wählern auf Normalmaß zurückgeführt.

Kreativer Wahlkampf ohne Millionenbudget

Historisch ist nicht nur der Absturz der FDP, sondern auch der sensationelle Aufstieg der eurokritischen Alternative für Deutschland (AfD). Einen derartigen Senkrechtstart hat es in der Bundesrepublik für eine neue Partei noch nicht gegeben. 4,7 Prozent der Stimmen sind ein beispielloses Ergebnis. Sowohl die Grünen (1980: 1,5 Prozent) als auch die Linke/PDS (1990: 2,4 Prozent) benötigten für ihre Etablierung auf Bundesebene zwei Anläufe.

Innerhalb von wenigen Monaten absolvierte diese junge Bewegung in einem atemberaubenden Parforceritt den Aufbau von 16 Landesverbänden und die Sammlung der für die Teilnahme an der Bundestagswahl notwendigen über 30.000 Unterstützungsunterschriften – was Wochen zuvor niemand für möglich gehalten hätte.

Über 16.000 Mitglieder vereint die AfD inzwischen. Sie kann sich auf eine außerordentlich engagierte und idealistische Anhängerschaft stützen, die einen kreativen Wahlkampf machte, ohne über die gigantischen Millionenetats der Altparteien zu verfügen.

AfD steht erst am Anfang ihrer Entwicklung

Heribert Prantl stellt in der Süddeutschen Zeitung zähneknirschend fest: „Die AfD hat aber das, was der FDP fehlt: Zulauf und begeisterte Anhänger. Der FDP laufen die Wähler davon, und es herrscht bodenlose Tristesse.“ Es ist ein dramatisches Erdrutschergebnis, wenn man in Rechnung stellt, daß trotz zahlreicher Talkshowauftritte des AfD-Sprechers Bernd Lucke in der Fläche noch bis zum Wahlabend viele Wähler die AfD nicht kannten und die Repräsentanten der Partei bei den meisten Wahlsendungen nicht vertreten waren. Selbst in Bayern, gegen eine starke CSU und konkurrierende eurokritische Freie Wähler, kam die AfD über vier Prozent. Erstaunlich.

Die AfD steht nun nach diesem Achtungserfolg erst am Anfang ihrer Entwicklung. Eine Große Koalition wird die gefährliche Euro-Rettung fortsetzen. Schon jetzt treibt die AfD auch ohne Präsenz im Parlament die übrigen Parteien vor sich her. Euro-Kritiker erhalten Aufwind. Die AfD ist – neben der Linken – die einzige Partei, die den Unmut breiter Bevölkerungskreise artikulieren kann.

Im Mai 2014 finden Wahlen zum Europaparlament statt. Hier wird die Euro- und Europapolitik insgesamt zur Abstimmung stehen. Gleichzeitig finden Kommunalwahlen in acht Bundesländern statt. Nach der Europawahl werden die Landtage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gewählt, wo die AfD schon besonders stark abschnitt. Vorher muß die neue Partei aber für eine grundlegende programmatische Klärung und Verbreiterung sorgen. Und sie wird ihre personelle Geschlossenheit sicherstellen müssen – das Schicksal der abgestürzten und in Flügelkämpfen zerstrittenen Piratenpartei vor Augen.

Euro-Krise drängt wieder auf die Tagesordnung

Selten gab es so starke Prozentbewegungen bei einer Wahl auf Bundesebene – was für große Nervosität unter den Bürgern spricht. Der außergewöhnliche Zuwachs der Union (plus acht Prozentpunkte) wurde kaum vom inhaltsleeren Wahlkampf von CDU und CSU getrieben, sondern von der besorgten Sehnsucht nach Sicherheit für Deutschland mitten in einer schweren Währungskrise. Viele Wähler sahen, daß Schwarz-Gelb keine Mehrheit hatte, also stärkten sie noch einmal die in ihren Augen bewährte Amtsinhaberin für eine zu erwartende und gewünschte Große Koalition.

Der phänomenale Zuwachs der Union, der Merkel sogar in die Nähe einer absoluten Mehrheit der Sitze brachte, könnte sich aber rasch als Scheinblüte herausstellen. Mit Macht drängt die mühsam aus dem Wahlkampf herausgehaltene Euro-Krise wieder auf die Tagesordnung.

JF 40/13

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