Die CDU ist faktisch am Ende, sie hat es nur noch nicht wahrgenommen. Der Antwortbrief von 17 führenden Unionspolitikern auf eine Erklärung türkischstämmiger Personen ist entlarvend und zeigt, daß die konservative Karte nach dem Debakel bei der Hessen-Wahl von der Union nie mehr gezogen werden wird.
Die Unterzeichner der Erklärung, darunter einige Grünen-Politiker wie Cem Özdemir, hatten dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch wegen dessen Wahlkampfthemas Jugendgewalt „Wahlkampfpopulismus“ vorgeworfen. Koch schüre „rassistische Ressentiments“.
In dem Antwortschreiben der CDU-Politiker heißt es: „Integrationspolitik ist so fundamental für die Zukunft unseres Landes, daß sie nicht zum Wahlkampfthema degradiert werden darf.“
In Zukunft nur noch Wohlfühl-Wahlkämpfe
Das Schreiben wurde unter anderem vom Hamburger Bürgermeister Ole von Beust, dem einflußreichen CDU-Bundestagsabgeordneten und Innen-Staatssekretär Peter Altmaier und dem Berliner Oppositionsführer Friedbert Pflüger unterzeichnet. Es wurde in der Öffentlichkeit sofort als Klatsche für Koch interpretiert, ist aber weit mehr als ein Nachtreten.
Es bedeutet, daß die von Koch angesprochenen Themen nicht mehr Gegenstand zukünftiger Wahlkämpfe sein dürfen. Erlaubt bleiben Wohlfühl-Wahlkämpfe wie in Niedersachsen, obwohl der für die CDU ähnlich verheerend wie in Hessen ausging, wenn man nicht allein die Prozente, sondern auch die absoluten Stimmen betrachtet.
Kochs Problem war nicht das Thema, sondern die Glaubwürdigkeit. Selbst der hessischen SPD, in den Jahren der Opposition stark verlottert, fiel es nicht schwer, die Widersprüche der CDU darzulegen. Einerseits wurde die Gewaltkriminalität beklagt, andererseits gibt es in Hessen auch nach vielen Jahren CDU-Regierung keine geschlossenen Heime für Jugendliche, es gibt zu wenig Jugendrichter und einen Abbau bei der Polizei.
„Wenig überzeugende Lösungsansätze“
Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung sprach deshalb völlig zu Recht von einem „Glaubwürdigkeitsdefizit“ und schrieb in einer Analyse, die CDU habe in Hessen „wenig überzeugende Lösungsansätze“ geboten. Die Union habe bei den „einfachen Menschen verloren“. Wenig trösten dürfte es Koch und die Union, daß auch die SPD bei den „einfachen Menschen“ verloren hat.
Die SPD kann übrigens nicht besonders froh über den Ausgang beider Wahlen sein: Sie hat nun endgültig die Linkspartei als Konkurrenz auch in Westdeutschland. In Hessen gewann sie nur auf den Trümmern der CDU. Echte Siege sehen anders aus. Aber Parteichef Kurt Beck wußte sich in der Wahlnacht und in den Tagen danach gut als Gewinner in Szene zu setzen. Und nach einer Schamfrist wird die SPD auch mit der Linkspartei zusammenarbeiten.
Die beiden Schlußfolgerungen, die man aus der Hessen-Wahl ziehen kann, sind so neu nicht. Erstens: Die Wähler sind klüger, als die Berliner und regionalen Parteiführungen glauben. Zweitens: Wenn die etablierten Parlamentsparteien die Probleme nicht lösen, bricht das Parteien-Gebälk, und die Probleme werden sich neue Mehrheiten suchen.
„Wo die Mitte ist, sind wir“
Die CDU hat seit dem Leipziger Parteitag 2003 personell und inhaltlich alles geräumt, was sozial oder konservativ war. Übriggeblieben ist eine Wirtschaftspolitik der CDU, die Hungerlöhne zahlende Unternehmen als wegweisendes Modell empfiehlt. In der Folge wendet sich der Wähler ab, weil er nicht mehr weiß, wie er Miete und Kinderkleidung bezahlen soll, während Gewinne der Konzerne wie Nokia in immer neue Größenordnungen steigen.
Verzweifelt fragte Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm, wo denn konservative Parteifreunde und Leute mit Ahnung von Wirtschaft in der CDU seien: „Es fehlen die Personen, die mit den Themen verbunden werden. Wirtschaft, Nation, Integration – das sind klassische Unionsthemen, die momentan verwaist sind“, so Schönbohm, der unlängst aus dem Parteipräsidium gewählt worden war. Der bayerische Landtagspräsident Alois Glück (CSU) warnte vor einem „neoliberalen Kurswechsel“ und Landwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) vor „neoliberalen Radikalreformern“.
Die CDU-Politik machen jedoch andere als Glück oder Schönbohm. Angela Merkel zum Beispiel, die sich in vielen Punkten auch für eine Konservative hält. Doch der letzte Parteitag in Hannover hat sich bei den Menschen eingeprägt, als Merkel solche unnachahmlichen Sätze prägte wie „Wo wir sind, ist die Mitte“ oder „Wo die Mitte ist, sind wir“.
<---newpage---> Null-Linie namen Mitte
Damit liefert sie nicht nur Stoff fürs Kabarett, sondern macht eindeutig klar, daß die CDU mit allem, was rechts und links von dieser Null-Linie namens Mitte ist, nichts mehr am Hut hat. Für Merkel, von Beust und Pflüger steht längst fest, daß nicht das Glaubwürdigkeitsproblem, sondern die „rechte“ Themenwahl Ursache der Niederlage in Hessen war.
Da man mit der falschen Diagnose herumdoktert, dürften die nächsten Wahlen (Hamburg am 24. Februar) für die CDU unangenehm ausfallen. Von Beust und andere scheint das nicht so stark zu stören. Sie streben Bündnisse mit den Grünen an, die sie für ausgereift genug halten, um sie dem bürgerlichen Wähler als Verbündeten zu empfehlen. Doch der Wähler, Hessen hat es gezeigt, läßt sich nicht für dumm verkaufen. Hunderttausende Bürger warten bereits in der Stimmenthaltung auf eine zugkräftige bürgerliche Alternative.