Frau Baum, unlängst haben Sie in einem Interview mit der „Kölnischen Rundschau“ erklärt, heute würden Sie das Anfang 2024 von „Correctiv“ inkriminierte Potsdamer Treffen nicht mehr besuchen. Warum nicht?
Simone Baum: Nicht wegen der Inhalte, die dort Thema waren, sondern wegen dem, was ich danach durchleiden mußte.
Nämlich?
Baum: Einmal Hölle und zurück.
So der Untertitel Ihres Buchs.
Baum: Ja, weil der Satz auf den Punkt bringt, was mir angetan wurde.
Das schildern Sie nun – gemeinsam mit Ihren Ko-Autoren, dem Juristen Rainer Thesen und dem Journalisten Klaus Kelle – in Ihrem Buch „Die Potsdam-Legende“.
Baum: Und zwar, weil ich nicht geglaubt hätte, daß in der Bundesrepublik jemals mit ähnlichen Mitteln wie in der DDR agiert werden würde. Vielmehr hatte ich mich seit der Wende diesbezüglich immer sicher und behütet gefühlt. Nun aber ist mir klargeworden, wie schnell es jedem von uns passieren kann, daß sein ganzes Leben in eine Hölle verwandelt wird.
„Da realisierte ich, daß ich das Ziel einer Verschwörung bin“
Worin bestand diese Hölle?
Baum: Natürlich zunächst einmal in der medialen Hetzjagd, die „Correctiv“ entfesselt und die mich völlig überrascht hat. Obwohl ich ein paar Tage vor Erscheinen des Artikels einen Wink erhielt, daß in bezug auf das Treffen „etwas kommen“ würde.
Von wem?
Baum: Das tut nichts zur Sache. Allerdings fragte ich mich: Was soll da schon kommen? Schließlich hatten wir in Potsdam absolut nichts Schlimmes besprochen. Doch am Tag nach der Veröffentlichung wurde mir klar, daß Politik und Medien die Sache bis zum Äußersten ausschlachten. Und von da an entfaltete sich wahrlich die Hölle: obwohl ich weder etwas Falsches, ja noch nicht einmal etwas Unziemliches getan hatte, fand ich mich plötzlich im Zentrum einer gigantischen Inszenierung wieder, in der ich als Staatsfeind, Volksfeind, ja als Menschheitsfeind dargestellt wurde.
Ich realisierte, daß ich – und natürlich die anderen Teilnehmer auch – Ziel einer Verschwörung bin, gegen die ich mich im Grunde nicht wehren kann, da ich so gut wie nicht gehört wurde: Politik und Massenmedien bestimmen, wie ich in der Öffentlichkeit dastehe, und was diese sagen, das glauben die meisten Menschen. Da hat man keine Chance – da bricht Ihre Welt zusammen!
Wie haben Sie das überstanden?
Baum: Zum einen, auch wenn das für manche albern klingen mag, durch meinen tiefverwurzelten Glauben, der mir ungeheuer geholfen hat.
Sie sind Kirchgängerin?
Baum: Ja, aber keine Gottesdienstbesucherin, vielmehr fühle mich am wohlsten, wenn ich möglichst alleine in der Kirche bin. Sie verstehen, wie ich „alleine“ meine, denn wer seinen Glauben hat, der ist nie allein. Sehr wichtig sind zudem die Familie und wahre Freunde. Und schließlich hat mir geholfen, daß ich mir aufgrund meiner Erfahrungen in der DDR längst ein dickes Fell zugelegt habe.
„In der DDR war jedes Fach ideologisiert“
Sie sind heute als „politisch verfolgt“ anerkannt, obwohl Sie damals in der SED waren. Wie das?
Baum: Ich weiß, das klingt widersprüchlich, und bis heute versuchen einige, mir daraus einen Strick zu drehen. Statt Verfolgung würde ich vielleicht lieber von Diskriminierung sprechen, aber die ist staatlich anerkannt, da ich sie lückenlos nachweisen kann.
Mit nur 24 Jahren waren Sie die jüngste Bürgermeisterin in Thüringen – das klingt nach Privilegierung, nicht nach Verfolgung.
Baum: Ich bin 1980, also noch sehr jung, der SED beigetreten, um studieren zu können, und belegte Staatswissenschaften.
War das nicht ein hochideologisches Fach?
Baum: In der DDR war jedes Studienfach ideologisiert. Darüber hinaus aber lautet die Antwort auf Ihre Frage nein, denn Staatswissenschaft war lediglich das, was heute Verwaltungswissenschaft ist. 1987 trat ich dann aus der SED wieder aus, also deutlich bevor das Ende der DDR im Herbst 1989 in Reichweite rückte. Und jeder, der sich auskennt, weiß, was das zu dieser Zeit bedeutete! Und doch war es richtig, da ich mit dem System nicht klarkam. Denn bereits zuvor hatte man mich vom Amt des Bürgermeisters suspendiert, da ich nicht bereit war, gewisse Dinge zu tun.
Zum Beispiel?
Baum: Etwa Informationen über Bürger zu liefern, die Westbesuch erhielten. Natürlich mußte ich bis zu einem gewissen Grad mit der Stasi kooperieren, so wie man das als Behörde heute auch mit dem Verfassungsschutz muß. Aber das hat Grenzen – doch die gab es in der DDR nicht. Und so wurden mir wegen meiner Weigerung erst Steine in den Weg gelegt, dann wurde ich entfernt und auf eine Referentenstelle des Amtes für Jugend und Sport der Kreisverwaltung Saalfeld versetzt.
Und als ich dann meinem Fachschulstudium noch ein Hochschulstudium anschließen wollte, das mir bereits bewilligt worden war, erfuhr ich, plötzlich exmatrikuliert zu sein. Offiziell wegen fehlender Leistung, da aber meine Noten zwischen „Eins“ und „Drei“ lagen, war das offensichtlich Schikane. Deshalb ging ich nach der Wende gegen die Exmatrikulation sowie die Suspendierung vor und erhielt in der Folge die Anerkennung als „politisch verfolgt“. Wäre ich dagegen irgendwie belastet gewesen, hätte mich die Stadt Köln 1991 nicht angestellt, der ich quasi einen Persilschein vorlegen mußte.

„Nach Potsdam habe ich kein Fernsehen mehr geschaut“
Inwiefern hat Ihnen diese DDR-Erfahrung bei Ihrer Tour „einmal Hölle und zurück“ geholfen?
Baum: Durch sie habe ich die Menschen kennengelernt und mir bereits nicht mehr allzu viele Illusionen gemacht. So traurig es ist, war das doch hilfreich, als ich durch die „Correctiv“-Verleumdung erleben mußte, wie sich viele Menschen von mir abwandten: Leute, die mich lange kannten. Wäre ich durch meine DDR-Erfahrung nicht in gewisser Weise schon gestählt gewesen … nun … ich sage Ihnen, daran können Menschen zerbrechen! Ich weiß, daß sich andere Teilnehmer des Potsdamer Treffens infolge der Kampagne in psychologische Behandlung begeben mußten. Und selbst an mir ging das nicht spurlos vorüber.
Heißt?
Baum: Zum Beispiel psychosomatische Symptome, die sich in Nacken oder Magen äußern. Deshalb muß man Wege finden, die Dinge möglichst zu verdrängen. Ich habe etwa einige Zeit keine Zeitung mehr gelesen, kein Fernsehen mehr geschaut. Ganz wichtig ist auch, sich ein positives Umfeld zu erhalten. Natürlich ist das alles nicht leicht, zumal wenn sich alles wieder und wieder aufdrängt, wie etwa durch einen Farbanschlag auf mein Haus.
Hinter dem wer steckte?
Baum: Das wurde leider nicht geklärt, ebensowenig wie der Fall der aufgeschlitzten Autoreifen eines anderen Teilnehmers. Noch schlimmer ist aber, sein Geschäft zu verlieren, wie es einem weiteren Besucher des Treffens passiert ist. Bei mir war ein neuerlicher Schock, der mich diesem Höllentrip nicht entkommen ließ, als ich erfuhr, daß ich nach fast 25 Jahren bei der Stadt Köln meinen Job verlieren würde (JF berichtete). Daß das in Deutschland aus politischen Gründen möglich ist, war für mich – ich betone es nochmal – ein Schock! Wobei dieser noch von dem Schrecken übertroffen wurde, daß mir damit ja auch die wirtschaftliche Existenz genommen wurde! Da hat man dann schon psychisch komische Gedanken, wenn Sie verstehen …
Nein, was heißt das?
Baum: Ich bitte um Verständnis, daß ich darauf doch nicht genauer eingehen möchte.
„Es war fast unmöglich, einen guten Anwalt zu bekommen“
Allerdings konnten Sie sich schließlich vor dem Arbeitsgericht durchsetzen: Sie zu kündigen war nicht rechtmäßig. Und bezeichnenderweise verzichtete die Stadt Köln darauf, in Berufung zu gehen: Ein Eingeständnis, daß ihr klar war, die Kündigung zu einer Art politischen Verfolgung mißbraucht zu haben?
Baum: Ich mache mir keine Illusionen. Weder Sinn für Gerechtigkeit noch Rücksicht auf mich spielten dafür wohl eine Rolle, sondern schlicht der Umstand, daß man sich keine Chancen in einer Revision ausgerechnet hat.
Dann hat sich die Stadt danach auch nicht bei Ihnen entschuldigt?
Baum: Wo denken Sie hin, nein.
Sprich, wäre es ihr möglich gewesen, hätte sie Sie fertiggemacht?
Baum: Davon ist leider auszugehen. Dennoch hat mir ihr Verzicht auf Berufung eine Verlängerung meiner Höllenfahrt erspart, die schon so schlimm genug war. Denn sowohl meine Gewerkschaft, die „Komba“ – 1920 als „Reichsbund der Kommunalbeamten und -angestellten“ gegründet und heute eine Gewerkschaft des Deutschen Beamtenbunds –, als auch meine Rechtsschutzversicherung, die ARAG, weigerten sich, mich zu unterstützen.
Ganz abgesehen davon, daß es zunächst fast unmöglich war, einen guten Rechtsanwalt zu bekommen. Gott sei Dank fand ich durch Vermittlung des Unternehmers Peter Weber schließlich Rainer Thesen in Nürnberg, und dank seiner Deckungsklage gelang es, von der ARAG die Bezahlung der Prozeßkosten zu erzwingen.
„Das ist mir eine Lehre: nie wieder Gewerkschaft!“
Und Ihre Gewerkschaft?
Baum: Tja, ich habe gelernt, daß das sonst in Gewerkschaftskreisen so hochgehaltene Verständnis von Solidarität bei der Komba nicht ausreicht, um einem treuen Mitglied nach fast dreißig Jahren beizustehen – und daß es übrigens erstaunlicherweise auch keinen Rechtsanspruch darauf gibt. Meine Beiträge habe ich also drei Jahrzehnte umsonst bezahlt. Das ist mir eine Lehre: nie wieder Gewerkschaft!
Hat sich denn je irgendwer bei Ihnen entschuldigt, nachdem Sie ja nicht nur vor Gericht siegreich waren, sondern auch vereinzelt führende Medien die „Correctiv“-Geschichte als unbelegt qualifiziert haben?
Baum: Nicht einer.
Wer hätte aus Ihrer Sicht am meisten Grund dazu?
Baum: Na, zum Beispiel die CDU, die ja ein Parteiausschlußverfahren gegen mich einleiten wollte (JF berichtete).
Sie sind doch 2024 selbst ausgetreten.
Baum: Ja, „freiwillig“ als Reaktion auf das wegen Potsdam drohende Parteiausschlußverfahren – obwohl ich es vielleicht gewonnen hätte.
Warum haben Sie dann von sich aus aufgegeben?
Baum: Die Frage zeigt, daß Sie sich immer noch nicht vorstellen können, was so ein Höllentrip mit einem Menschen macht. In der damaligen Lage hatte ich weder Zeit noch Nerven, mich auch noch einem solchen Ausschlußverfahren zu stellen. Ich mußte meine ganze seelische und gesundheitliche Kraft auf meinen Gerichtsprozeß konzentrieren – schließlich ging es um meine Existenzgrundlage!
„Auf solche Charakterschwächlinge kann ich verzichten“
Spielen Sie mit dem Gedanken, der CDU wieder beizutreten?
Baum: Ganz sicher nicht, und wäre ich nicht schon im Prinzip zwangsweise ausgetreten, so wäre ich es spätestens jetzt freiwillig – angesichts dessen, wie willfährig sich die Partei auch unter Friedrich Merz dem linken Zeitgeist ergibt und tatsächlich mit dem Gedanken spielte, eine Richterin zu berufen, für die das Lebensrecht eines ungeborenen Kindes nicht zählt.
Daß sich Institutionen wie die CDU, die Komba oder die Stadt Köln entschuldigen, ist in der Tat kaum zu erwarten. Aber anders ist es mit Menschen, die Sie, wie Sie vorhin sagten, lange gekannt haben. Sind Sie darüber nicht enttäuscht?
Baum: Die Frage kommt immer wieder. „Na, Simone, da haben sich ja ne Menge Leute bei dir zu entschuldigen. Hat denn jemand den Arsch in der Hose, das zu tun?“ So werde ich wörtlich gefragt. Aber nee, haben sie nicht. Doch darüber bin ich längst hinweg. Und ihr Verhalten charakterisiert ja auch diese Menschen.
Konkret?
Baum: Wer sich erst leichtgläubig auf die Ausgrenzung anderer Menschen einläßt und sich hinterher nicht einmal entschuldigt, zeigt, was für ein schwacher Mensch er ist. Doch wie gesagt, durch meine DDR-Diktatur-Erfahrung bin ich gewohnt, daß es viele solcher Menschen gibt und kann damit umgehen. Und ganz ehrlich, auf solche Charakterschwächlinge kann ich verzichten. Denn ein Gutes haben solche Skandale: sie trennen die Spreu vom Weizen – nun weißt du, wer dein Freund ist und wer nicht. Und letztere möchte man auch gar nicht zurückhaben.
Und doch ist und bleibt diese Natur so vieler Menschen erschreckend. Jeder liebt die Helden im Film und tut so oder glaubt, er wäre ebenso. In der Realität aber ist kaum einer der Held – ja bewirft diesen sogar mit Eiern. Wenn der Held am Ende wirklich gesiegt hat, ja, dann jubeln sie ihm zu, aber solange er noch alleine gegen alle steht, machen sie mit bei seiner Kreuzigung. Und das ist wohl die entscheidende Lehre aus Potsdam: es zeigt, wie leicht und in welch großem Stil Menschen manipulierbar sind.
Simone Baum, Diplom-Verwaltungswirtin bei der Stadt Köln wurde 1960 im thüringischen Saalfeld geboren, zu dem heute die Gemeinde Eyba gehört, wo sie von 1984 bis 1986 Bürgermeisterin war. Das ehemalige Mitglied der Fachgewerkschaft für Kommunalbeamte und Arbeitnehmer (Komba) engagierte sich in der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), deren Mutterpartei CDU sie von 2008 bis 2024 angehörte. 2017 war sie Gründungsmitglied des CDU-nahen Vereins Werteunion, dessen Vizevorsitzende sie seitdem ist. Nun ist ihr Buch „Die Potsdam-Legende. Einmal Hölle und zurück. Wie Correctiv eine Nation an der Nase herumgeführt hat“ erschienen.






