Stagnation, Niederlagen und Verluste – die Alternative für Deutschland steckt tief in der Krise. Am Wochenende will Tino Chrupalla auf dem Parteitag in Riesa die AfD zu einem neuen Aufbruch führen. Doch wie soll der aussehen?
Herr Chrupalla, wie soll der neue Aufbruch gelingen?
Tino Chrupalla: In der Vergangenheit wurden im Bundesvorstand Lagerkämpfe ausgetragen. Diesem Dauerstreit muß unser Bundesparteitag am Wochenende im sächsischen Riesa ein Ende bereiten. Der neue Bundesvorstand sollte die Mitte der Partei stärken sowie alle legitimen Strömungen der Alternative für Deutschland repräsentieren. Und Hierarchien und Strukturen müssen entwickelt und akzeptiert werden.
Was meinen Sie denn damit?
Chrupalla: Richtschnur muß das Wohl und Programm der Partei sein. Dabei müssen die Fraktionen in Bund und Ländern sowie die parteiinternen Gremien, beispielsweise die Bundesfachausschüsse, einbezogen werden. Wer für zwei Jahre gewählt ist, der hat einen Vertrauensvorschuß, um sein Amt auszuüben. Der darf nicht gleich wieder in Frage gestellt werden von allen, die sich vielleicht einer anderen Strömung zurechnen.
„Mein neues ‘Team Zukunft’“
Nach dem Landtagswahldesaster in Schleswig-Holstein mit nur 4,5 Prozent und der Niederlage in NRW mit gerade einmal 5,4 Prozent ist erhebliche Kritik an Ihnen laut geworden. Ihre Bundesvorstandskollegin Joana Cotar etwa forderte öffentlich, Sie dürften „als Bundessprecher nicht erneut antreten … (da Sie) bei den Wählern (nicht) überzeugen“. Folgt man dem, wäre das wichtigste Signal für den Aufbruch Ihr Rücktritt.
Chrupalla: Bei sieben der zehn Wahlen, in denen wir Verluste hinnehmen mußten, war Jörg Meuthen ebenfalls Bundessprecher. Auch nach seinem Weggang hatten seine Anhänger im Bundesvorstand die Mehrheit. Wäre es da nicht ein Aufbruchssignal, wenn diese Wegbegleiter nicht mehr für den Bundesvorstand antreten würden? Darüber entscheidet der Parteitag. Dort stelle ich mich mit einem guten Team – meinem „Team Zukunft“ – wieder zur Wahl.
Wer aus dieser zwölfköpfigen Mannschaft wäre Ihr Wunschkandidat als Nachfolger Jörg Meuthens und neuer Bundessprecher neben Ihnen?
Chrupalla: Auch das entscheidet der Parteitag. Eine Zusammenarbeit kann ich mir mit allen zwölf gut vorstellen.
Zur Debatte steht auf dem Parteitag auch die Option, künftig nur noch einen Bundessprecher, also Parteichef, statt wie bisher zwei zu haben. Wäre Ihnen diese Lösung lieber?
Chrupalla: Die Doppelspitze bietet Vorteile, aber auch Nachteile. Die Frage ist, ob die Partei für eine Einerspitze reif ist.
Welche Lösung bevorzugen Sie?
Chrupalla: In der Vergangenheit hat die Doppelspitze gewisse Polarisierungstendenzen noch verstärkt. Eine Einerspitze könnte die Mitte der Partei stärken und die Basis, die keinen Streit mehr haben will, breit vertreten. Wenn Doppelspitze, dann nur mit zwei Sprechern, die gut zusammenarbeiten können. Sonst kann der Bundesvorstand keinen Umschwung schaffen.
„Braucht die Partei einen Generalsekretär?“
Sie haben gefordert, daß, sollte es zur Einerspitze kommen, die Partei den Posten eines vom Bundessprecher berufenen Generalsekretärs schafft. Warum?
Chrupalla: Weil ein Bundessprecher dann leisten müßte, was bisher zwei Sprecher gemacht haben, er also unzweifelhaft Unterstützung bei der Erledigung seiner Aufgaben für die Partei benötigt.
Diesen Vorschlag gab es schon früher, und er wird von Teilen der Partei mit Mißtrauen beäugt – für die ein Generalsekretär Zeichen der Zentralisierung der Macht ist und den alternativen, betont basisdemokratischen Charakter der AfD bedroht.
Chrupalla: Es geht hier nicht um Macht, sondern um effektives Arbeiten. Ein Generalsekretär könnte wichtige Aufgaben übernehmen, etwa die Partei voranzutreiben, aber auch zu disziplinieren. Bei unseren österreichischen Partnern von der FPÖ haben Generalsekretäre in der Vergangenheit strategisch und organisatorisch wichtige Arbeit geleistet. Deshalb muß sich der Parteitag mit dem Amt eines möglichen Generalsekretärs auseinandersetzen und entscheiden, ob es sich positiv auf die Professionalisierung unserer Parteiarbeit auswirken könnte.
„Disziplin statt Selbstprofilierung“
Als die Ursache der Krise Ihrer Partei haben Sie nach der NRW-Wahl die „Kakophonie“ in der AfD benannt: Vielstimmigkeit, persönliche Fehden und Animositäten sowie Mangel an Disziplin bestimmten das Bild – die zudem vor allem von jenen ausgingen, die sich am lautesten über sie beklagten. Oder wie Sie es formuliert haben: „Es ist wie früher beim Camping, wo auch stets jene sich beschwerten, daß es im Zelt naß ist, die selbst hineingepinkelt haben. Das muß aufhören!“
Chrupalla: Manchmal muß man etwas derbere Bilder wählen. Die Botschaft ist ja angekommen. Was wir künftig brauchen, das ist Disziplin. Kritik muß konstruktiv geübt, Konflikte müssen intern ausgetragen werden. Wer über Parallelstrukturen Pressekonferenzen veranstaltet oder Pressemitteilungen herausgibt, um den Bundessprecher zu beschädigen, bevor sich dieser vor den Kameras zu einer wichtigen Landtagswahl äußert, der hat sich für den neuen Bundesvorstand disqualifiziert. Dieser setzt als Exekutivorgan unsere Parteibeschlüsse um. Er darf von den Vorstandsmitgliedern nicht zur Selbstprofilierung mißbraucht werden.
Im Februar hat ja Ihr langjähriger Ko-Vorsitzender Jörg Meuthen die Partei verlassen. Man hat den Eindruck, für Sie war er der Verursacher allen Streits. Wenn das aber stimmen würde, warum ist dann seitdem nicht alles in Butter?
Chrupalla: Der Bundesvorstand war dank Herrn Meuthen in der Tat von Lagerkämpfen geprägt – was die Partei gelähmt und wertvolle Zeit gekostet hat, da die programmatische Arbeit liegenblieb. Wir werden noch Monate damit zu tun haben, unsere Wählerpotentiale zu analysieren und uns mit unseren Wahlkämpfen darauf optimal einzustellen. Ob das zur Landtagswahl am 9. Oktober in Niedersachsen schon gelingen wird, steht keineswegs fest. Um so wichtiger ist es, auf dem Parteitag in Riesa das Kapitel Meuthen abzuschließen und die Grundlage für eine erfolgreiche neue Ära zu schaffen. Nur wenn wir ein positives Bild der Alternative vermitteln, können wir die politischen Probleme im Land anpacken und werden für breite Schichten in der Bevölkerung wählbar.
„Meuthens Austritt keine Richtungsentscheidung“
Für etliche Beobachter steht Herrn Meuthens Austritt nicht nur für persönlichen Streit, sondern auch für eine politische Richtungsentscheidung: Die „extreme“ sogenannte sozialpatriotische Strömung habe über die „gemäßigte“ liberalkonservative Strömung gesiegt.
Chrupalla: Nein, diese Darstellung ist völlig irreführend. Denn erstens haben in der AfD beide Strömungen – die soziale und die freiheitliche – gleichberechtigt Platz. Von einem Entweder-Oder kann also keine Rede sein! Zweitens ging es in unserem Konflikt nicht um die Ausrichtung der Partei – denn ich repräsentiere nicht eine spezielle Strömung. Ich stehe für die gesamte Partei. Tatsächlich geht es schlicht darum, daß in einer Doppelspitze beide Bundessprecher vertrauensvoll zusammenarbeiten und in die Meinungsbildung des jeweils anderen eingebunden werden müssen. Dieses Vertrauen zerbrach spätestens, als Herr Meuthen am 1. April 2020 im Interview mit Tichys Einblick eigenmächtig eine Spaltung unserer Partei ins Spiel brachte. Ich dachte zuerst, das wäre ein Aprilscherz! Im Grunde hat er damals seinen Abgang vorbereitet.
Alleingänge und Streit gab es auch schon vor Meuthen, und obwohl er weg ist, ist der interne Krach im Mai wieder eskaliert. Wenn also offensichtlich Meuthen nicht an allem schuld ist, stellt sich doch die Frage: Wird die von Ihnen beklagte „Kakophonie“ nun tatsächlich enden? Denn gefordert und verkündet wurde das in der AfD schon x-mal – ohne daß sich je etwas geändert hat. Warum also sollte das nun der Fall sein?
Chrupalla: Weil, wie gesagt, der Meuthen-Vorstand nach wie vor im Amt ist, obwohl seine Amtszeit längst abgelaufen ist. Mit Riesa werden alle legitimen Strömungen der Partei gleichberechtigt im Bundesvorstand abgebildet sein. Mein neuer Vorstand wird Einigkeit vorleben und moderieren. Die Aufgabe besteht darin, ein Spektrum zu erzeugen, in dem sich die Landesverbände wiederfinden. Dann können wir bald auch im Westen wieder zweistellige Ergebnisse erzielen.
„Wir müssen sympathisch auftreten“
Daß Streit einer Partei schadet, ist unbestritten; das bestätigt die Demoskopie. Aber ist das wirklich die einzige Ursache der Krise?
Chrupalla: Natürlich nicht, wir müssen insgesamt an unserem Image arbeiten. Viele Wähler teilen unsere Positionen, geben uns aber ihre Stimme nicht, weil sie der Stigmatisierung durch die Medien glauben. Aber um neue Wählerpotentiale erschließen zu können, muß man ebenfalls den internen Streit vorher beigelegt haben. Denn nur wenn man geschlossen handelt und sympathisch auftritt, kann man das Extremismus-Etikett abschütteln.
Bei diesem Problem gilt das gleiche wie beim Thema Streit: Auch hier hat die Partei über die Jahre ihren Wählern immer wieder versprochen, dem Vorwurf wenigstens nicht neue Nahrung zu geben – ohne Wort zu halten. Zuletzt tat das in dieser Zeitung Alice Weidel kurz vor der Bundestagswahl. Doch nur drei Tage später – noch am Wahlabend – gab es, in Gestalt des Abgeordneten Matthias Helferich, schon wieder den nächsten Skandal. Und aktuell wären etwa zu nennen: Freude über den Tod des EU-Parlamentspräsidenten und dessen Titulierung als „Drecksschwein“, die Beinahe-Wiederanstellung eines bereits geschaßten Mitarbeiters, der meinte, man könne „Migranten erschießen oder vergasen“ oder Bürgerkriegsrhetorik im geleakten Chat der Bundestagsfraktion.
Chrupalla: Solche Rhetorik ist selbstverständlich inakzeptabel. Und es ärgert nicht nur mich, sondern zahllose Parteimitglieder und Unterstützer, wenn nach einer Parlamentswoche harter und guter Oppositionsarbeit für Deutschland aller Erfolg durch solche Sprüche einzelner wieder „eingerissen“ wird! Und es sind ja tatsächlich immer nur einzelne. Nehmen Sie etwa die Chat-Protokolle, wo sich unter 40.000 Äußerungen gerade einmal fünf, sechs Äußerungen finden, die sich als problematisch bezeichnen lassen.
Was versprechen Sie Ihren Parteifreunden und Wählern also, um dieses Problem nun endgültig abzustellen?
Chrupalla: Leider kann ich das nicht versprechen, denn ich bin zwar Bundessprecher, aber nicht allmächtig. Chatgruppen wird es immer geben. Jedes Parteimitglied muß die Selbstdisziplin aufbringen, sich dort angemessen zu äußern.
„Den Wählern eine Machtoption in Aussicht stellen“
Wie sieht Ihre Vision für die AfD aus, für die Sie auf dem Parteitag werben werden und mit der Sie – so die Delegierten Sie wiederwählen – die Partei die nächsten zwei Jahre führen wollen?
Chrupalla: Die AfD muß den Bürgern wieder ein positives Deutschlandbild vermitteln – das ist entscheidend! Das heißt, wir müssen den Menschen vor Augen führen, was anders und besser wäre, wenn wir unser Land regierten. Wie würde etwa unsere Sozialpolitik aussehen oder unsere Steuerpolitik, wie würde durch uns der Mittelstand gestärkt und entlastet oder die Renten gesichert etc. Und auch für den Kontinent Europa müssen wir eine Zukunftsvision entwickeln.
Im Herbst sagte Frau Weidel an dieser Stelle voraus, binnen zwei Legislaturperioden – Stand heute sind das noch gut sieben Jahre – werde die CDU sich um eine Koalition mit der AfD bemühen. Teilen Sie das?
Chrupalla: Ob wir nun in sieben Jahren mitregieren oder früher oder später, ist nicht die Hauptsache. Wichtig ist, daß wir eine Wende zum Besseren bewirken können. Geht das mit der CDU? In meiner Wahrnehmung nähert sich diese Partei auch unter dem Vorsitzenden Friedrich Merz eher den Grünen an. Richtig ist, daß wir dem Wähler – von einer klaren Opposition abgesehen – immer auch eine Machtoption in Aussicht stellen müssen. Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, daß wir gar nicht regieren wollen. Dazu müssen wir aber die eigenen Grundlagen stärken und nicht zu einer zweiten CDU oder FDP werden.
Aber hat Deutschland – angesichts von Masseneinwanderung und rapidem Demokratieabbau – überhaupt noch „sieben Jahre … oder später“ Zeit?
Chrupalla: Ich habe die Überzeugung, daß es nie zu spät ist, um eine Wende zu bewirken, und daß auch aus kleinen Erfolgen große werden können. Natürlich, das wird ein langer und schwerer Weg – aber einer, der die Mühe lohnt!
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Tino Chrupalla ist seit 2019 (bis Februar 2022 gemeinsam mit Jörg Meuthen) Bundessprecher der AfD sowie seit 2021 zusammen mit Alice Weidel Vorsitzender der Bundestagsfraktion. Der Familienvater und ehemalige Inhaber eines Malerbetriebs im niederschlesischen Gablenz trat 2015 der Partei bei. Geboren wurde er 1975 im sächsischen Weißwasser in der Oberlausitz.
JF 25/22