Herr Nolte, Sie warnen davor, der Familiennachzug könnte sich zu einem riesigen Schlupfloch für die Einwanderung in die Sozialsysteme entpuppen, jüngste Prognosen gehen jedoch davon aus, daß über den Familiennachzug wesentlich weniger Ausländer nach Deutschland kommen werden als erwartet.
Nolte: Deutschland hat erschreckenderweise längst keinen Überblick mehr, wer auf welchem Ticket ins Land kommt. Ich habe in der letzten Zeit den Eindruck gewonnen, konkrete Zahlen sind hier auch gar nicht gewünscht. Bestimmte Kategorien, wie beispielsweise der Zuzug über den sogenannten privilegierten Familiennachzug, werden nicht einmal statistisch erfaßt, wie mir die Bundesregierung auf eine Anfrage mittelte.
Normalerweise darf laut Aufenthaltsgesetz nur derjenige seine Familie nachholen, der selbst für sie sorgen kann und über genügend Wohnraum verfügt.
Nolte: Das gilt nur theoretisch. Es gibt aber ein Schlupfloch im Aufenthaltsgesetz, das diese ganze Beschränkung ad absurdum führt. Anerkannte Flüchtlinge haben die Möglichkeit, auch ohne Nachweis von Wohnraum und Einkommen ihre Familie nachzuholen. Einzige Voraussetzung für diesen sogenannten „privilegierten Nachzug“ ist das Stellen einer „fristwahrenden Anzeige“ innerhalb von drei Monaten ab der Anerkennung als Flüchtling. Das geht sogar per Online-Formular und sogar ohne Deutschkenntnisse.
Wer bietet das an?
Nolte: Das Auswärtige Amt. Dafür wurde sogar ein eigenes Internetportal eingerichtet. Auch wurden Informationsbroschüren wie „Familiennachzug für syrische Schutzberechtigte in Deutschland“ erstellt, in denen die Flüchtlinge genau informiert werden, was sie machen müssen und wo sie Hilfe bekommen können. Vom Titel her richtet sich das zwar nur an Syrer, doch das Recht steht jedem anerkannten Flüchtling zu.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schreibt zudem in einer weiteren Informationsbroschüre: „Für einzelne Personengruppen kann bei dem Familiennachzug von bestimmten Voraussetzungen abgesehen werden oder ist von bestimmten Voraussetzungen abzusehen. Dies gilt beispielsweise für die Lebensunterhaltssicherung.“ Kein Wunder also, daß zahlreiche Flüchtlingslobby-Organisationen dankbar auf dieses Schlupfloch hinweisen.
Laut der Bundesregierung ist ein Mißbrauch beim Familiennachzug so gut wie nicht möglich.
Nolte: Ich glaube dieser Aussage nicht. Dazu müßte man doch erst mal genau erfassen, wer mit welchem Status genau nach Deutschland kommt. Und dann sollte man diese Zahlen, ähnlich wie die Asylzahlen, jeden Monat auch veröffentlichen. Die seit 2015 bislang knapp 300.000 nach Deutschland gekommenen Familiennachzügler tauchen beispielswiese in den Asylzahlen nicht auf. Mich erinnert das an die Arbeitslosenstatistiken, die ja auch bewußt schöngerechnet werden. Das heißt, man rechnet unter bestimmten Vorwänden möglichst viele Gruppen aus den Zahlen heraus, solange, bis sie passen.
Es ist schwer vorstellbar, daß in einem bürokratischen Land wie Deutschland, nicht erfaßt wird, wer als Familienangehöriger eines Flüchtlings hierher kommt.
Nolte: Dennoch ist es laut Bundesregierung so, zumindest wenn es sich nicht um Syrer handelt. Auch der CDU-Abgeordnete Axel E. Fischer fragte sie kürzlich nach dem Familiennachzug. Die Antwort: „Die Zahl der erteilten Visa zum sogenannten privilegierten Familiennachzug zu Schutzberechtigten wird ausschließlich im Falle syrischer Staatsangehöriger erfaßt. Eine Ausweitung der Erfassung auf andere Staatsangehörigkeiten ist nicht vorgesehen.“
Bei der ganzen Diskussion über Zahlen gerät manchmal in den Hintergrund, daß sich hinter den Zahlen ja Menschen mit Schicksalen verbergen.
Nolte: Natürlich geht es um Menschen und persönlich wünsche ich mir für jeden, daß er bei seiner Familie leben kann. Politik muß aber volkswirtschaftlich entscheiden. Anstatt zu überlegen, wie wir Menschen bei uns zusammenführen können, sollten wir auch darüber nachdenken, ob es andere Lösungen für deren Notsituation gibt. Eine Familienzusammenführung kann auch im Heimatland der Flüchtlinge stattfinden, wenn es dort sichere Gebiete gibt. Oder in den angrenzenden Nachbarländern und -regionen.
Und wenn das nicht möglich ist.
Nolte: Dann muß man schauen. Flüchtlingshilfe und Asylrecht sind ja eigentlich zeitlich begrenzte Hilfsmaßnahmen. Das heißt, ein Flüchtling sollte in sein Heimatland zurückkehren, wenn es die Situation dort wieder zuläßt. Warum aber sollte er das tun, wenn er seine Familie bei sich hat und alle hier ein vollversorgtes Leben führen können? Denken Sie beispielsweise an den Fall des syrischen Flüchtlings mit seinen zwei Ehefrauen in Schleswig-Holstein, der kürzlich für Schlagzeilen sorgte.
Und beim Familiennachzug gibt es noch einen weiteren Aspekt, über den aber nur selten gesprochen wird. Voraussetzung nach dem Aufenthaltsgesetz ist für den Familiennachzug, daß die Trennung von den Familienangehörigen auf die Flucht zurückzuführen ist. Das heißt: Flucht wegen politischer Verfolgung oder Gefahr für Leib und Leben. Nicht aber, wenn man sich aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa und Deutschland aufgemacht hat.
Aber das Asylrecht ist ein einklagbares Recht für Menschen, die in Not sind.
Nolte: Und trotzdem hat die Politik auch eine Verpflichtung für die eigenen Bürger. Unsere Kapazitäten, anderen zu helfen, sind nicht unbegrenzt. Wir erleben das gerade bei der Diskussion um die Essener Tafel. Und die Flüchtlingswelle stellt eine enorme Belastung für unser Sozialsystem, für unser Gesundheitssystem, für unser Bildungssystem und auch für die innere Sicherheit dar. Ähnlich sieht es auf dem Wohnungsmarkt aus.
Laut dem Städte- und Gemeindebund sind von 800.000 Wohnungssuchenden in Deutschland derzeit mehr als die Hälfte sogenannte Flüchtlinge. Und all das geht auf einen riesigen Rechtsbruch der Bundesregierung zurück. Denn der Großteil derjenigen, die nun unsere Sozialsysteme belasten und die ihre Familienangehörigen nachholen wollen, dürfte gar nicht hier sein, wären die Dublin-Regeln konsequent umgesetzt worden.
Jan Nolte: Der AfD-Politiker und Oberbootsmann der Bundeswehr ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags.