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Marc Jongen, ESN Fraktion

Dahinter steckt etwas anderes

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Herr Ücüncü, was haben Sie dagegen, die deutsche Sprache im Grundgesetz zu verankern? Ücüncü: Gegenfrage: Warum will man etwas im Grundgesetz verankern, wenn schon die Verwaltungsgesetzgebung eindeutig regelt, daß die Amtssprache in unserem Land  Deutsch ist? Ich denke, dahinter steckt etwas anderes. Nämlich? Ücüncü: Man will insbesondere den Migranten damit demonstrieren, daß hier die deutsche und nicht ihre Muttersprache maßgeblich ist. Was ist daran unziemlich? Ücüncü: Die Forderung ist unnötig. Sie korreliert vordergründig mit dem Vorschlag der Grünen, Türkisch als Sprachunterricht an deutschen Schulen einzuführen. Die Logik hinter dem Vorstoß der CDU ist wohl: „Bevor Türkisch über die Hintertür kommt, zurren wir Deutsch grundgesetzlich auf ewig fest.“ Klingt einleuchtend. Nochmal: Was ist daran unziemlich?  Ücüncü: Ich bin natürlich weder davon überrascht, daß aus der CDU so ein Vorstoß kommt, noch, daß die JUNGE FREIHEIT ihn einleuchtend findet. Aber denken Sie doch selbst einmal darüber nach: Ist es klug, das Grundgesetz zum Austragungsort integrationspolitischer Diskurse zu machen? Letztlich steckt dahinter doch die Absicht, diese gesellschaftliche Debatte abzuwürgen, in dem man mit Hilfe des Grundgesetzes quasi „vollendete Tatsachen“ schafft. Langfristig geht diese Rechnung wohl nicht auf. Denn eine solche Regelung entspricht weder der Realität im Land noch, wie ich glaube, der Meinung der Mehrheit in der Bevölkerung. Übrigens: Die Bundeskanzlerin hat dieses Problem klar erkannt und war folglich gegen den Antrag. Leider ist sie Opfer einer Parteitagskapriole geworden. Auf die Probleme der Parallelgesellschaften reagieren wir oft mit Rückzug: So werden behördliche Vorgänge etwa auch in türkisch angeboten oder gezielt Türken als Polizeibeamte angeworben, wenn Deutsche nicht mehr weiterkommen. Ist es richtig, sich in die Parallelgesellschaften zu integrieren statt umgekehrt? Ücüncü: Ich finde es nicht fruchtbar, wenn Sie gleich zu so einem Rundumschlag ausholen. Da müssen Sie bitte schon genauer hinsehen: Geht es etwa bei Ihrem Polizei-Beispiel wirklich um die Sprache? Oder nicht vielmehr um interkulturelle Kompetenz, also darum, daß die Beamten wissen, wie man mit Menschen einer anderen Kultur umgeht. In Deutschland leben inzwischen 3,5 Millionen Menschen mit türkischem Hintergrund, also spricht doch wohl nichts dagegen, das Türkische aufzuwerten. Doch, genau diese große Zahl: 3,5 Millionen. Ücüncü: Es ist wissenschaftlich unstrittig, daß nur diejenigen, die ihre Muttersprache gut beherrschen, auch Deutsch ordentlich lernen können. Sonst haben wir das, was wir derzeit erleben, nämlich ein Mischmasch. Eine Aufwertung des Türkischen würde also auch der Integration helfen. In unseren Großstädten werben deutsche Firmen, etwa Volkswagen oder die Allianz-Versicherung, auf Straßenplakaten vollständig in türkisch. Sogar ausgerechnet für Volksbegehren wird in türkisch geworben. Ist das kein Alarmzeichen? Ücüncü: Warum sollte das ein Alarmzeichen sein? Dieses Ethno-Marketing folgt der herkömmlichen Marktlogik, daß derjenige, der sich zu einer Zielgruppe den direkten Zugang verschafft, gegenüber der Konkurrenz im Vorteil ist. Das machen viele Firmen so. Die Deutsche Bank hat inzwischen einen ganzen türkischsprachigen Bereich aufgebaut. Die Postbank hat ähnliche Strukturen geschaffen. Wenn wir uns tatsächlich um die deutsche Sprache sorgen, und ich persönlich habe ein Faible für die deutsche Sprache, dann könnten wir genausogut über Anglizismen sprechen. Dann müßten wir zum Beispiel davon reden, daß vor dem CDU-Bundesparteitag ein Fahrzeug mit der Aufschrift „Team Merkel“ zu sehen war. Warum nicht „Mannschaft“? Gleichzeitig will man aber Deutsch im Grundgesetz verankern. Wie erklären Sie solche Widersprüche? Oder: Bedroht denn wirklich der Umstand, daß türkischstämmige Kinder gutes Türkisch lernen, etwa den Stellenwert der Klassiker der deutschen Sprache? Oder nicht vielmehr die Tatsache, daß — sehr zu meinem Bedauern — immer weniger Menschen in Deutschland Goethe, Schiller und Lessing kennen?  Hinter der Debatte um Sprache steckt natürlich die Debatte um die Einwanderung, nur diese traut sich die Union nicht offen zu führen. Ücüncü: Ich würde der CDU mehr Vertrauen in die eigenen Werte wünschen: Was macht sie so unsicher? Die Vorstellung, daß Deutschland nur deshalb nicht homogen ist, weil es hier auch Menschen mit Migrationshintergrund gibt, geht doch an der Realität vorbei. Religiöse und ethnische Pluralität ist etwas, was Deutschland nie fremd war. Die CDU-Eliten haben den Multikulturalismus als Leitbild für unsere Gesellschaft weitgehend akzeptiert, aber in Teilen der Parteibasis gibt es noch Widerstand, der sich jedoch nur indirekt artikulieren kann. Was halten Sie von der multikulturellen Gesellschaft? Ücüncü: „Multikulturell“ ist eine verbrannte Vokabel. Ich würde lieber von Pluralismus sprechen, so wie es das Grundgesetz tut. Es ist verständlich, daß Sie den Begriff ablehnen, ist er doch inzwischen negativ konnotiert. Stichworte: Jugendgewalt, Parallelgesellschaften, Islamismus. Benutzen Sie aber mit „Pluralismus“ nun nicht nur ein neues, sauberes Wort für „Multikulturalismus“? Ücüncü: Das ist der Schluß, den Sie daraus ziehen. Ich werde den Begriff nicht in den Mund nehmen. Pluralismus ist grundgesetzlich gewollt und entspricht im Zeitalter von Globalisierung und Internationalisierung aller Lebensbereiche der gesellschaftlichen Realität in Deutschland. Wenn Integration — wie wäre es dann mit dem Konzept der Leitkultur? Ücüncü: Leitkultur läuft auf eine Hierarchisierung von Kulturen hinaus. Darum kann es nicht gehen. Natürlich gibt es Einwanderung, und natürlich müssen Minderheitenrechte gewahrt werden, aber muß die Politik nicht dennoch dafür sorgen, daß Deutschland vor allem das Land der Deutschen bleibt? Ücüncü: Ich verstehe, daß Sie diesen Standpunkt einnehmen, aber ich bitte Sie ebenso um Verständnis, daß ich mit der Formel „Deutschland den Deutschen“ nichts anfangen kann. Mein Vater ist vor 43 Jahren nach Deutschland gekommen. Er gehört zu denjenigen, die alles dafür gegeben haben, daß dieses Land zum Exportweltmeister aufsteigt. Ich würde nicht akzeptieren, uns abzusprechen, daß unsere Familie auch Anteil daran hat, daß Deutschland zu einem der reichsten und modernsten Länder der Welt geworden ist. Sie berufen sich wiederholt auf das Grundgesetz. 1987 fällte das Bundesverfassungsgericht das sogenannte Teso-Urteil, wonach eine „Wahrungspflicht zur Erhaltung der Identität des deutschen Volkes“ besteht. Ücüncü: Sie werden verstehen, daß ich nicht alle Karlsruher Urteile kenne. Wenn damit aber gemeint ist, daß Kultur und Traditionen dieses Landes bewahrt werden sollten, dann ist das doch völlig in Ordnung. Aber wie genau wollen wir diese Identität bewahren? Von welcher Identität sprechen wir überhaupt? Wie wollen wir unser kulturelles Erbe in Form eines gemeinsamen Bildungsguts an die nächste Generation weitergeben? Wie sieht denn Ihr Deutschland der Zukunft aus? Ücüncü: Was wir wollen ist, daß jeder mit seinem religiösen, kulturellen und ethnischen Hintergrund seinen Platz in der Gemeinschaft einnimmt, um als gleichberechtigtes Individuum am gesellschaftlichen Geschehen teilzuhaben und Verantwortung zu übernehmen, um auch für die Zukunft Freiheit, Wohlstand und Frieden zu gewährleisten. Die muslimischen Gemeinden hierzulande wachsen und werden zunehmend gesellschaftlichen und politischen Einfluß fordern. Zuerst fordern sie Autonomie für ihre Belange, um sich bald aber auch in alle öffentlichen Fragen einmischen. Das liegt in der Natur der Demokratie. Dieser Zustand wird allerdings keineswegs so harmonisch sein, wie Sie es schildern, sondern — auch das liegt in der Natur der Demokratie — von knallhartem politischen Machtkalkül geprägt sein, bis hin zu einer „MC“, einer „muslimischen Correctness“. Ücüncü: Vor dreißig Jahren hätten Sie vermutlich etwas ähnliches über die Frauen gesagt. Natürlich unterliegt jede Gesellschaft Veränderungen, und sicher werden auch wir nicht davon unbeeinflußt bleiben. Deshalb verweise ich auf das Grundgesetz. Denn es stellt die Konstante dar, auf deren Grundlage sich jeder in unserer Gesellschaft entfalten kann. Wir werden diese Grundlage natürlich nicht ändern, sondern mit unserem religiösen und kulturellen Hintergrund den gesellschaftlichen Diskurs bereichern und das Spektrum möglicher Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen erweitern. Am Ende jedes politischen Meinungswettstreits muß eine Entscheidung getroffen werden. Künftig müssen die Deutschen also damit leben, daß es nicht ihre eigene, sondern eine muslimische sein könnte, nach der dann alle, auch die Deutschen, zu leben haben. Ücüncü: Sie stellen das rein negativ dar. Warum? Gerade hat etwa der Präsident des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog, Kardinal Jean-Louis Tauran, davon gesprochen, daß die „Rückkehr der Religionen“ in Europa den Muslimen zu verdanken sei! Und was ist eigentlich Ihre Schlußfolgerung? Etwa, die Muslime sollen auf jede demokratische Teilhabe verzichten? Der Name Ihrer Organisation, „Milli Görüs“, bedeutet übersetzt „Nationale Sicht“. Ücüncü: Der Begriff „Milli“ in unserem Namen steht für Nation und bezieht sich nach unserem Selbstverständnis als islamische Religionsgemeinschaft auf die Nation bzw. Gemeinschaft Abrahams, des Urvaters aller monotheistischer Religionen. Milli Görüs ist allerdings keine Gründung deutscher Muslime, sondern eine türkischstämmige Organisation. Ücüncü: Wir sind, wie schon gesagt, eine islamische Religionsgemeinschaft in Deutschland und — auch wenn unsere Mitglieder überwiegend einen türkischen Hintergrund haben — keine Interessenvertretung von Türken. Und natürlich sind wir mit unserem Hauptsitz in Kerpen, unserer rechtlichen Verfassung und mit unserer Mitgliederstruktur durchaus auch eine deutsche Organisation, genauso wie wir den Anspruch erheben, eine europäische Organisation zu sein. Sie sind der deutsche Ableger einer islamischen Interessensorganisation, die international operiert. Ücüncü: Rekrutieren, operieren, Ableger bilden, das ist eine Sprache, die zu verwenden Ihnen freisteht, mit der wir uns aber nicht identifizieren können. Sie werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Wie reagieren Sie darauf? Ücüncü: Das ist jetzt eine Frage, die mir die JUNGE FREIHEIT nicht im Ernst stellt, oder?   Oguz Ücüncü ist Generalsekretär der Milli Görüs (www.igmg.de), einer der einflußreichsten islamischen Organisationen in Deutschland. Der Diplom-Ingenieur und Vater dreier Kindern wurde 1969 in Hamm/Westfalen geboren. Milli Görüs: Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) ist eine internationale islamische Bewegung. Sie entstand Anfang der siebziger Jahre auf Initiative des islamistischen Politikers und türkischen Ex-Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan, aus dessen zahlreichen Parteigründungen auch die heutige türkische Regierungspartei AKP entstanden ist. Hierzulande gilt die IGMG (Logo unten) als einer der bedeutendsten muslimischen Verbände. So dominiert sie den Islamrat und wirkt über diesen auch in den Koordinierungsrat der Muslime, den islamischen Spitzendachverband in Deutschland. Foto: Werbeplakat in türkisch für die Teilnahme an einem Volksbegehren (in Berlin). Darauf steht ausgerechnet: „Alle Macht geht vom Volke aus“

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