Fassungslosigkeit ist eine zu schwache Bezeichnung für das, was sich nach dem deutlichen Nein der Zypern-Griechen zur Vereinigung mit den Zypern-Türken in Günter Verheugens Gesicht abzeichnete. Man sah der Tragödie eines Politik-Autisten zu, der sein ganzes Leben in Ausschüssen, Präsidien, Kommissionen und Regierungszentralen zugebracht hat und dem darüber die Welt abhanden gekommen ist. Daß der EU-Erweiterungskommissar derart vorgeführt werden konnte, hat noch einen zweiten Grund: Verheugen, Jahrgang 1944, ist mit Haut und Haaren ein Kind der identitätsschwachen rheinischen Republik. Er konnte sich nicht vorstellen, daß Bürger eines anderen Staates frei darüber zu entscheiden wagen, mit wem sie im Staatsverband leben und ihr Sozialprodukt teilen wollen – oder auch nicht -, und sich nicht darum kümmern, ob das „kritische Ausland“, das in Deutschland die Funktion einer Über-Instanz ausübt, seine Stirn darüber runzelt. Verheugen hat Europa mit Bonn-Krähwinkel verwechselt. Geboren wurde Verheugen in Bad Kreuznach als Sohn eines Bankdirektors. Schon als 16jähriger trat er in die FDP ein. Der studierte Politikwissenschaftler, Soziologe und Journalist wurde 1969 Referent im Bundesinnenministerium. Er avancierte zum engsten Mitarbeiter Hans-Dietrich Genschers und stieg 1977 zum Bundesgeschäftsführer der Partei auf. Als Genscher 1982 die sozial-liberale Koalition platzen ließ und die FDP zur Union wechselte, trat Verheugen zur SPD über. Er ist einer der wenigen profilierten Außenpolitiker, über die die Sozialdemokraten verfügen. 1998 wurde der Bundestagsabgeordnete zum Staatsminister für Europafragen ins Auswärtige Amt berufen, ein Jahr später entsandte die Bundesregierung ihn als EU-Kommissar nach Brüssel, wo er für Erweiterungsfragen zuständig ist. Seine Professionalität ist unbestritten. Leider endet sie dort, wo die ideologische Realitätsblindheit anfängt. Wie er vor drei Wochen in der ARD-Sendung „Sabine Christiansen“ den Journalisten Udo Ulfkotte herablassend zurechtwies, weil der die grenzüberschreitende Kriminalität im Zuge der EU-Osterweiterung thematisierte, erinnerte er an die dialektisch geschulten SED-Kader, die noch im Sommer 1989 den kommenden Sieg des DDR-Sozialismus nachzuweisen versuchten. Wie jene wird auch Verheugen seinen Weg bis zu Ende gehen, denn ein Kurswechsel würde außer seiner Politik auch seine Person in Frage stellen. Deshalb hat er sich entschlossen, Europa nicht aus der Perspektive freier Europäer, sondern aus dem Geist der vormundschaftlichen Eurokratie formen zu wollen. Wie Joschka Fischer schwärmt er von der „strategischen Option“ eines EU-Beitritts der Türkei. Von den schätzungsweise fünf bis zehn Millionen anatolischen Bauern, die dann nach Deutschland kommen werden, schweigt er. Verheugen verkörpert das Europa der Funktionäre, das den Bürgern ein Alptraum ist.