Als die Regierungschefs von 20 Staaten, die 80 Prozent der Weltwirtschaft ausmachen, in London auseinandergingen, sparten sie nicht mit Selbstlob. Der in Großbritannien schwer angeschlagene Gordon Brown verkündete eine „neue Weltordnung“, Barack Obama nannte das Gipfeltreffen „historisch“, und die etwas bescheidenere Angela Merkel sprach von einem „sehr, sehr guten, fast historischen Kompromiß“.
Was hätten sie denn sonst sagen sollen? Derartige Treffen der Krisenbewältiger sind immer auch Show und dienen dem Zweck, dem Publikum zu Hause zu imponieren. Scheinbar beeindruckend waren nicht zuletzt die Zahlen, die in die Welt gesetzt wurden. Die Rede war von 5.000 Milliarden Dollar, mit denen die Weltwirtschaft angekurbelt werden soll, und von zusätzlichen 1.100 Milliarden zur Stabilisierung des Finanzsystems und des Welthandels.
Der Publizist Gabor Steingart hatte recht, als er kommentierte, daß die Krise mit denselben Mitteln bekämpft wird, die sie verursacht haben – mit der Notenpresse und mit einer anschwellenden Flut von billigen Dollar. Richtig ist auch, daß in London weder die Hauptschuldigen an dem Desaster, die in Washington und New York sitzen, noch dessen eigentliche Ursachen benannt wurden.
Allerdings beinhalten die ominösen 5.000 Milliarden keine neu beschlossenen Ausgaben. Die Summe bezieht sich auf die Zunahme der Haushaltsdefizite im Zeitraum 2007 bis 2010, auf zusätzliche Schulden also, die schon vorher absehbar waren. Nur in den 1100 Milliarden stecken zum Teil neue Mittel. Zum Beispiel wird der Internationale Währungsfonds (IWF) ungedecktes Geld, die sogenannten Sonderziehungsrechte, in einer Höhe von bis zu 250 Milliarden Dollar sozusagen aus dem Nichts erzeugen und seinen Mitgliedern anbieten. Diese können das Kunstgeld anschließend in reale Währungen tauschen und ausgeben. Auch Deutschland könnte davon Gebrauch machen, wird es aber wohl nicht tun.
Daß die Finanzkrise von den herrschenden Staats- und Parteibürokraten dazu benutzt wird, ihre Macht auszuweiten und die Kontrolle über die Bürger zu verschärfen, wurde deutlich, als die 20 Regierungschefs erklärten, daß „die Ära des Bankgeheimnisses vorüber ist“. Der Vorstoß richtet sich gegen die Schweiz, deren demokratische Verfassung der EU-Ideologie zuwiderläuft, aber auch gegen Luxemburg, Österreich und Belgien.
Außerdem wurde vereinbart, daß der IWF einen Teil seiner Goldreserven verkaufen darf. Gedacht ist offenbar an rund 400 Tonnen, was den erwünschten Nebeneffekt haben könnte, den Goldpreis vorübergehend etwas zu drücken und damit vom Ernst der Lage abzulenken. Nur wird sich im Verlauf des Jahres herausstellen, daß die 400 Tonnen am Goldmarkt weniger zählen als die zügellose Aufblähung der Geldmenge in den USA. Ablesen läßt sich die Inflationierung am besten an der Bilanzsumme der US-Notenbank. Sie hat sich seit September 2008 auf zuletzt 2000 Milliarden etwas mehr als verdoppelt. Die Großbank UBS schätzt, daß bis Jahresende die Marke von 5.000 Milliarden erreicht werden könnte. Die USA drucken Geld wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Londoner Gipfel hat daran nichts geändert, er hat es nur stillschweigend abgesegnet.
Im übrigen bleiben die Nationalstaaten zuständig für die Aufsicht über ihre Banken. Inwieweit die Überwachung koordiniert wird, muß sich erst noch herausstellen. Das dafür zuständige Financial Stability Forum existiert seit den 1990er Jahren, hat sich aber in der Krise als ziemlich nutzlos erwiesen. In London wurde es umbenannt in Financial Stability Board. Chef bleibt Mario Draghi, Gouverneur der italienischen Notenbank, der früher für Goldman Sachs gearbeitet hat, was die Vermutung nahelegt, daß die Interessen des angelsächsischen Finanzkapitals auch künftig gewahrt bleiben.
Bei aller Selbstbeweihräucherung markiert die Londoner Konferenz doch einen Wendepunkt – weniger im Ablauf der Finanzkrise als in der globalen Machtbalance. Amerika ist geschwächt und muß künftig verhandeln, statt zu diktieren, Deutschland und Frankreich haben an Gewicht gewonnen, die „neuen Europäer“ in Osteuropa sind auf Kleinformat geschrumpft. Die Regierung Obama hat begriffen, daß deren wirtschaftliches Gewicht zu gering ist, um sie gegen die Westeuropäer ausspielen zu können.
Dezent im Hintergrund hielt sich der chinesische Präsident Hu Jintao. Er hatte es nicht nötig, aufzutrumpfen. Die Stärke der chinesischen Position beruht darauf, daß China als einzige große Volkswirtschaft bisher nicht in die Rezession abgerutscht ist, daß Peking als Hauptgläubiger der USA auf den weltgrößten Devisenreserven sitzt und daß die chinesischen Banken von der Finanzkrise nicht betroffen sind. Im Gegensatz zu den europäischen und amerikanischen Geldinstituten haben sie sich auf das eigentliche Bankgeschäft beschränkt: Kundengelder entgegenzunehmen und an die eigene Wirtschaft und die chinesischen Verbraucher auszuleihen. Weil China in den letzten Jahren kaum etwas falsch gemacht hat, ist der weitere Aufstieg des Reichs der Mitte zur Großmacht so gut wie vorgezeichnet.
Dr. Bruno Bandulet ist Herausgeber des Finanzdienstes G&M.