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„Mündiger“ Pornobürger

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„Mündiger“ Pornobürger

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Im Dezember 2007 hatte Sandra Maischberger zu einem Talk über die Frage eingeladen: "Brauchen wir eine neue Sexualmoral?" Die ersten zwanzig Minuten läßt sie eine türkische Migrantin zu Wort kommen, die gerade ihren Doktor macht, eine ungewöhnliche Nebenbeschäftigung für eine Frau, die im Hauptberuf Pornorapperin ist. Sie fummelt ständig an den Troddeln herum, die wie verlängerte Brustwarzen an der goldenen Latexhaut hängen. Aus ihrem Mund kommt Jauche. 72 Gossenworte hat die Bild-Zeitung gezählt. Damit jeder weiß, daß sie tut, was sie so rappt, werden ihre Videoclips eingeblendet. Niemand nimmt Anstoß an der verbalen und visuellen Unzucht. (Pardon für dieses unanständige Wort!)

Ganz anders erging es Eva Herman. Sie wurde von Herrn Kerner vor die Tür gesetzt, weil der im deutschen Journalisten implantierte "Nazometer" bei den Wörtern "Mutter" und "Autobahn" ausschlägt. Offenbar ist aggressives Porno-Marketing im öffentlich-rechtlichen Fernsehen salonfähig, während das Eintreten für Familie und Mutterschaft für den Sender ein Grund zur fristlosen Kündigung ist.

Die Fans tun, wozu sie Pornorapper auffordern, zum Beispiel Minderjährige vergewaltigen. Das beklagte Wolfgang Büscher, Sprecher der Berliner "Arche", die als Auffangbecken für junge Opfer der von MTV preisgekrönten Jugendverderber fungiert. Die Zahl der (aktenkundigen) sexuellen Gewalttaten von Jugendlichen hat sich in zehn Jahren auf 4.000 verdoppelt. Selbst der Stern macht sich Gedanken (6/2007), was wohl wird, wenn "ein Teil der Gesellschaft in die sexuelle Verwahrlosung abdriftet", natürlich reich bebildert mit Anschauungsmaterial. "Gang bang" ist die neue Mode: zehn Jungs über ein Mädchen – freiwillig.

Wie konnte es dazu kommen? Dürfen wir das auch für die Gegenwart fragen? Oder dürfen wir nur über Vergangenes erschrecken?

Willy Brandt war es ein besonderes Anliegen, das Sexualstrafrecht zu liberalisieren. Sein strategisch weitsichtiger erster Schritt war 1971 die Aufhebung des Pornographieverbots (Paragraph 184). Zwar waren 72 Prozent des Volkes dagegen, aber Politiker und Sozialwissenschaftler und linke Medien legten sich vehement für die "Mündigkeit" des Bürgers ins Zeug. Justizminister Gerhard Jahn sagte vor dem Deutschen Bundestag am 5. März 1971, es sei "nicht Ziel des Entwurfs, sittliche Wertvorstellungen abzubauen", aber es bedürfe der "Selbstbeschränkung des Staates", um den Bürger "da nicht zu bevormunden, wo er und er nur ganz allein für seine sittliche Existenz einzustehen" habe. Der Staat dürfe sich "deswegen nicht um die individuelle Lektüre des einzelnen kümmern".

Sekundiert hat ihm der katholische Moraltheologe Franz Böckle. Er widersprach der Idee, "daß die Preisgabe der Pönalisierung als Freigabe ausgelegt werden könnte und daß dadurch ein Absinken der öffentlichen Moral zu befürchten sei".

Der Freudianer Alexander Mitscherlich sah in der Pornographie ein legitimes sexuelles Stimulans. Helmut Kentler, wissenschaftlicher Sexaktivist, überzeugte den Bundestag, daß das Schutzalter für sexuellen Mißbrauch viel zu hoch sei (inzwischen von 21 auf 14 Jahre gesenkt).

Den sozialistischen Kulturrevolutionären widersprach Karl Korn, der langjährige Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Bei dem "Unternehmen Pornoindustrie" gehe es "um den Profit beutegieriger Hintermänner, die sich an der Dummheit und Feigheit der Mündigen bereichern wollen". Der Philosoph Josef Pieper pflichtete ihm bei. Er begrüßte "die in der deutschen Publizistik lange vermißte herzhafte Attacke wider das neue Tabu ‚Mündigkeit’".

Alles umsonst: Der Paragraph fiel. Und wie sieht es heute aus mit der Mündigkeit des Deutschen? Monatlich erscheinen hierzulande tausend neue Porno-DVDs, Jahresumsatz circa 800 Millionen Euro. Das häufigste Suchwort im Internet ist "Sex". 43 Prozent aller Internetnutzer sehen sich Pornoseiten an. Zu ihnen gehören neunzig Prozent aller acht- bis sechzehnjährigen Kinder, denn Kinder tun, was ihnen die Erwachsenen vormachen und wozu sie Jugendzeitschriften wie Bravo und Bravo-girl verführen. Millionen Menschen sind pornographiesüchtig.

Pornographie zerstört den Menschen, weil sie ihn zum Sklaven seiner Triebbefriedigung macht. Familie, Beruf, Beziehungen, Selbstachtung und Achtung vor dem anderen versinken im Morast der sexuellen Ausbeutung. Pornokonsumenten haben kein Interesse an Familie und Elternschaft, denn sie haben nur Lust an der Lust, und die braucht immer schärfere Reize, kleine Kinder zum Beispiel (wissenschaftliche Studien dazu: www.dijg.de).

Ob wir vielleicht doch eine neue Sexualmoral brauchen? Nathanael Liminski, 22 Jahre alt und Mitbegründer der "Generation Benedikt", spricht bei Maischberger von einer Lebenshaltung, die gerade auch in der Sexualität die Würde des anderen achtet. Er bekennt, daß er mit dem Sex bis zur Ehe warten will. Noch wirkt er wie ein Exot. Aber das kommende demographische Elend wird die Verblendung zerreißen. Dann steht die Generation am Pranger der Geschichte, die das moralische Fundament dieser Gesellschaft zerschlagen hat. Nathanael wird bald für viele sprechen.

Gabriele Kuby ist Soziologin und Publizistin.

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