Während die Briten an der Seite der USA Krieg führen und Labour-Premier Tony Blair täglich als Kriegsberichterstatter vor die Kameras tritt, gibt sich sein Gesinnungsfreund Gerhard Schröder als Friedensfürst. Und die Deutschen demonstrieren, gestärkt durch französische Rückendeckung, erstmals so etwas wie wirklichen Widerspruch zur US-Politik – anders als die bürgerlichen Regierungen der Spanier, Portugiesen und auch der Italiener, die die Kriegspolitik Washingtons demonstrativ unterstützen. Belgien, Luxemburg und die Skandinavier (außer die Dänen) verharren in der Irak-Frage auf der Seite der Achse Paris-Berlin. Die EU-Kandidaten aus dem Bereich des früheren Warschauer Pakts hingegen haben sich offen auf die US-Seite geschlagen. Man kann annehmen, daß ihre politischen Eliten im Gegensatz zur eigenen Volksmeinung von den Amerikanern schlicht und einfach gekauft wurden. Eine tiefe Kluft geht also durch Europa. Eine Kluft, die anhand der weltpolitischen Frage, wie denn der Nahe und Mittlere Osten neu zu ordnen wäre, aufzeigt, wie ohnmächtig die Europäer sind. Weniger spektakulär, nichtsdestotrotz aber von größter Tragweite, sind andere innereuropäische Differenzen, die es bis auf weiteres verhindern, daß die EU ein eigenständiger und einiger machtpolitischer Faktor wird. In ökonomischer Hinsicht ist es die durch die Einführung der gemeinsamen Währung kaum verdeckte Kluft zwischen den einstigen Hartwährungsländern und den Ländern mit weicher Währung mit der Neigung zur Inflation und insgesamt volkswirtschaftlicher Schwäche. Gewiß, von der stolzen harten D-Mark ist bereits vor der Euro-Einführung des Euro kaum etwas übriggeblieben. Dennoch sind jene Länder, die sich rund um die Deutschen gruppieren, bis heute auch der Kern der Nettozahler innerhalb der Union. Zwischen Zahlern und Nehmern tut sich somit in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht die größte Sollbruchstelle auf. Wenn die europäische Integration kein Projekt der alliierten Kriegssieger von 1945 sein soll, welches nur verklausuliert die Zahlung deutscher Reparationen in aeternam im Mittelpunkt seiner Existenz hätte, kann das Muster – die Deutschen zahlen, alle anderen nehmen – nicht auf Dauer existent bleiben. Am folgenschwersten äußert sich (allerdings) die innere Zerrissenheit Europas in Hinblick auf die einzelnen Vorstellungen der Weiterentwicklung der Union. Gegenwärtig tagt ja der Europäische Konvent – kurios, die verbale Bezugnahme auf das revolutionäre Frankreich -, der einen Weg zum europäischen Bundesstaat, zur europäischen Verfassung finden soll. Unauflöslich erweist sich im Zuge dieser Bemühungen der Dissens zwischen den großen Mitgliedstaaten und den kleineren: Soll es Mehrheitsentscheidungen auch gegen den Willen kleinerer EU-Mitglieder geben können, oder darf es einfach keimÂ(Majorisierung bevölkerungsärmerer EU-Mitgliedstaaten geben? Eine wirklich umsetzbare Außen- und Sicherheitspolitik wird es in Zukunft wohl nur etw`mntsprechend qualifizierter Mehrheitsbeschlüsse geben können. Wirkliche Einigkeit unter künftig möglicherweise zwei Duzend EU-Mitgliedern würde man nämlich in kaum einer Frage erlangen. Damit aber wären vitale Interessen derÎteinen Mitgliedstaaten völlig an den Rand gedrängt. Die Europäische Union wird in den nächsten Jahren durch die Aufnahme zahlreicher mittelost- und südosteuropäischer Staaten und vielleicht auch noch der zu 97 Prozent auf dem asiatischen Kontinent liegenden Türkei viel größer werden, womit sie gewissermaßen ein Schicksal wie die Vereinten Nationen haben könnte: Alle sind Mitglied, aber diese Mitgliedschaft bedeutet eigentlich nicht viel. Schlägt damit also die Stunde des Projekts „Kerneuropa“? Vieles spricht dafür. Da sollte es zu einer dauerhaften deutsch-französischen Allianz in weltpolitischen Angelegenheiten kommen. Da könnte ein solches um Paris und Berlin gruppiertes „Kerneuropa“ mit den Benelux-Staaten, mit Österreich, den Skandinaviern, eventuell noch den Beitrittsländern Ungarn und Slowenien, ein weltpolitisch handlungsfähiger Staatenbund werden. Dieser könnte – so Gott will und die Deutschen ihre Strukturreform endlich in Angriff nehmen – auch den volkswirtschaftlichen Hintergrund für einen harten Euro stellen. Und, was machtpolitisch wohl am wichtigsten wäre, er könnte in einer losen Interessen-Koalition mit Rußland den US-amerikanischen Weltmacht-Ambitionen ein Korrektiv entgegensetzen. Vorerst aber ist eine Entwicklung in diese Richtung kaum noch in Ansätzen erkennbar. Vorerst bleibt die EU sowie weiland das alte Heilige Römische Reich Deutscher Nation ein zerrissenes, kaum reformierbares Staatsgebilde, in dem jeder Versuch der Reichsreform aufs Neue scheiterte. Vergessen wollen wir aber nicht, daß eben dieses Heilige Römische Reich Deutscher Nation in all seiner Ohnmacht Jahrhunderte überdauerte und in seiner Polarität zwischen Kaiser und Reich, Kaisertum und Papsttum, der Kern des Abendlandes, der Nabel der Welt war. Andreas Mölzer ist Chefredakteur der in Wien erscheinenden Wochenzeitung „Zur Zeit“.