Der letzte leuchtende Stern im Kabinett von Gerhard Schröder heißt Peter Struck. Der Verteidigungs-minister erfüllt seine Aufgabe in den Augen des Bundeskanzlers so gut, daß der schon überlegt, Struck auf das Finanzressort umzusetzen. Die Popularität des Ministers werde mit der weiter fortschreitenden Zerrüttung der Staatsfinanzen automatisch abnehmen, so das Kalkül des Regierungschefs. Denn Struck ist längst das, was sein Vorgänger Rudolf Scharping stets sein wollte: der Rivale des Kanzlers. Der Bundeswehr hilft Strucks enorme Popularität nichts. Der Zustand der Truppe ist wie zu Scharpings Zeiten. Umfänge und Bewaffnung werden heruntergefahren, Kasernen geschlossen. Zwar hat Struck mit seinen neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) Abschied von der Landesverteidigung genommen, aber für die Umrüstung auf die „Armee im Einsatz“ fehlt das Geld. Der in den kommenden Jahren in der Summe (24,4 Milliarden Euro) unverändert bleibende Verteidigungsetat sinkt real weiter ab, weil aus dem Plafonds auch Lohn- und Solderhöhungen bezahlt werden müssen. Auch die Ausrüstung bleibt unzureichend. Die Elitesoldaten vom Kommando Spezialkräfte (KSK) zum Beispiel können nicht mit eigenen Mitteln der Bundeswehr in entfernte Einsatzgebiete gebracht werden. Das müssen stets die Verbündeten, in Afghanistan etwa die Amerikaner, tun. Es fehlt nicht nur an Flugzeugen für weite Transporte, sondern auch an Fahrzeugen für diese Spezialisten. Struck ist ein erfahrener Politiker, der jede Planung machtvoll präsentieren kann – in dem Wissen, daß nur die Schlagzeilen des nächsten Tages zählen, aber später kaum noch jemand nach den Details fragen wird. So hat der SPD-Mann auch sein Spiel mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien getrieben. Struck will die Bundeswehr in eine Einsatzarmee umwandeln. Das hört sich gut an, aber weitere Anfragen nach Einsätzen dürfen auf keinen Fall kommen. Schon jetzt ist die Truppe mit ihren Engagements auf dem Balkan und in Afghanistan überfordert. Hinzu kommt: Deutschland will eine Armee im Einsatz, aber es hat keine politische Strategie. Wenn Briten und Franzosen ihre Militärs aussenden, stecken handfeste nationale Interessen hinter jeder Mission. In Deutschland stößt der Versuch, nationale Interessen zu definieren“, an eine Tabugrenze. Folglich wird diese Debatte in Berlin gemieden. Machen wird uns nichts vor: Wenn die Bundeswehr tatsächlich nach dem Krieg in den Irak hätte einmarschieren sollen, um „friedenssichernde Maßnahmen“ durchzuführen, wären die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bereits vor Einsatzbeginn sichtbar geworden. Es mangelt an allem. Geeignetes Personal ist knapp, das Material für einen Wüsteneinsatz nicht geeignet, man hat keine Flugzeuge und nicht einmal Kleidung für wärmere Regionen. Die Defizite durch Neuanschaffungen abzubauen würde einen Etatanstieg erfordern. Der scheint jedoch angesichts von Haushaltslöchern von 126 Milliarden Euro in den nächsten Jahren sehr unwahrscheinlich. Die Deutschen sollten sich mit spöttischen Bemerkungen über Polen zurückhalten, nur weil man in Warschau Mühe hat, ein Einsatzkontingent für den Irak aufzustellen. Uns würde es nicht viel besser gehen. Strucks großer Fehler ist sein weitgehender Verzicht auf die klassische Landesverteidigung. Damit koppelt er die Sicherheit vom Bewußtsein der Bürger ab. Der männliche Teil der Gesellschaft muß bisher, sofern er nicht verweigert, zum Bund um, wie es so schön heißt, das Vaterland zu verteidigen. Dabei müßte doch jedem klar sein, daß die Wehrpflicht nicht mehr zu halten ist, wenn man den Verzicht auf die Landesverteidigung erklärt. Wenn es nur noch eine Armee im Einsatz geben soll, ist der Wehrdienst nicht mehr legitimiert. Da deutsche Interessen am Hindukusch beim besten Willen nicht zu erkennen sind, dürfen junge Männer nicht zwangsweise dazu ausgebildet werden, eventuell in Asien oder Afrika den Kopf für irgend etwas hinhalten zu müssen. Wer garantiert überhaupt, daß Deutschland auch in fünf oder mehr Jahren nur von Freunden umzingelt ist? 1985 hat sich niemand vorstellen können, daß der Ost-West-Konflikt bald Geschichte sein würde. Planungen für die deutsche Einheit gab es nicht, und das war auch einer der Gründe, warum die politische und wirtschaftliche Umsetzung der Einheit bis heute solche Schwierigkeiten macht. Aber statt aus diesen Fehlern zu lernen und an der Landesverteidigung festzuhalten, wirft Struck alles über Bord. Er glaubt, man könne aus den paar Resten, die er erhalten will, wieder eine Verteidigungsarmee aufbauen. Das dürfte sich im Falle eines Falles als Irrtum erweisen. Besonders mit seinem Festhalten am Wehrdienst baut Struck eine Drohkulisse gegen die Grünen auf. Längst hat der Verteidigungsminister begriffen, daß die rot-grüne Koalition nicht mehr lange zu halten sein wird. Die Probleme werden sich verschlimmern, Schröders Agenda 2010 ist weiße Salbe. Struck sucht die Sollbruchstelle mit den Grünen. Platzt die Koalition, hätte die SPD die Möglichkeit, mit der Union eine Große Koalition zu bilden. Schröders Karriere wäre dann zu Ende, die SPD hätte nur noch Struck als Trumpf. Der wäre sicher lieber Kanzler als Finanzminister unter Schröder.