Es ist müßig, sich angesichts des seit Montag angebrochenen Purgatoriums hysterischer Pressearbeit am ohnehin vorerst vertagten NSU-Prozeß abzuarbeiten. Das sollen ruhig andere tun, deren Ergüsse bisweilen – beispielhaft für den „Qualitätsjournalismus“ – bis ins Neurotische gehen.
Dessenungeachtet steht uns morgen der 8. Mai ins Haus, und damit der Jahrestag der Kapitulation der deutschen Wehrmacht – mithin das offiziöse Ende des Zweiten Weltkriegs auf dem europäischen Schauplatz. Abgesehen davon, daß zu diesem Anlaß „natürlich“ kein allgemeines Gedenken stattfindet (wie zum Volkstrauertag ebenfalls nicht), wird das Datum vielmehr genutzt, um einer weiteren Zementierung des über Lehrpläne und alltäglich medial wiederholten üblichen Geschichtsverständnisses das Wort zu reden.
In Hamburg wurde – parallel zum Evangelischen Kirchentag – über das erste Maiwochenende ein „Klotzfest“ abgehalten. Gemeint ist das im linken Sprachgebrauch gern als „Kriegsklotz“ apostrophierte Kriegerdenkmal für das 76. Infanterieregiment, unweit des Dammtorbahnhofs. Der Kalkquader, bekannt für den eingelassenen Spruch „Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen“ von Heinrich Lersch, wurde zu Beginn des „Fests“ gänzlich in Cellophan eingewickelt.
Hamburg: Würdeloser Deserteursglorifizierung offen widersprochen
Sodann entwickelte sich auf den umliegenden Wiesen ein ganzes Lager, das der Kampagne für die Errichtung eines Deserteursdenkmals (wie es dergleichen beispielsweise in Erfurt und Potsdam bereits gibt) diente und von diversen Interessengruppen wie der Jungen Welt und der „Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ (DFG-VK) unterstützt wurde. Umrahmt wurde das mehrtägige „Fest“ von diversen Vorträgen und Konzerten, zwischen denen sich das engagierte Jungbürgertum im lagereigenen „Café Deserteur“ stärken konnte.
Lediglich die Kundgebung am abschließenden Samstag hatten Veranstalter und Teilnehmer sich wohl etwas anders vorgestellt – hier verlieh eine Gruppe Hamburger Verbindungsstudenten ihrem Unmut über die einhellige und undifferenzierte Glorifizierung aller Deserteure mit Zwischenrufen und Flugblättern Ausdruck. Über den genauen Wortlaut läßt sich trefflich streiten – dennoch sollte das Hauptaugenmerk in der derzeitigen Lage darauf liegen, den nur scheinbar „Wohlgesinnten“ das Vorhandensein einer Gegenöffentlichkeit zu demonstrieren, ohne dazu auf die üblichen Krawallmethoden der Gegenseite zurückzugreifen.
Zeitgleich stritt man in Wien – wo die Errichtung eines Deserteursdenkmals ebenfalls bevorsteht – wie jedes Jahr um das traditionelle Totengedenken der Waffenstudenten des „Wiener Korporationsrings“ (WKR), zu dem es stets auf dem Heldenplatz vor der Hofburg zu erheblichem Tohuwabohu kam. Im Vorlauf des diesjährigen 8. Mai schienen den Gegnern des Korporationsgedenkens zwei Coups geglückt zu sein: Zuerst konnten für ein abendliches „Fest der Freude“(!) anläßlich der „Befreiung“ die Wiener Symphoniker geworben werden – mit dem klaren Ziel, den Heldenplatz durch angemeldete Veranstaltungen für das feierliche WKR-Gedenken zu blockieren. Vollends jubilierte die Presse dann, als sich der österreichische Verteidigungsminister einreihte und zur Unterstützung der Blockade eine ganztägige Mahnwache des Bundesheers auf dem Heldenplatz initiierte, die dem „Gedenken an die Opfer des Faschismus“ gewidmet sein sollte.
Wien: Soviel Würdigung unserer Gefallenen war nie
Wiener Korporationsring und der mitveranstaltende „Ring volkstreuer Verbände“ bewiesen jedoch erhebliches Geschick in der Öffentlichkeitsarbeit, indem sie die offen gegen sie ausgerichteten Veranstaltungen geschickt ummünzten. Und in der Tat: Noch nie kam den Gefallenen auf dem Heldenplatz soviel Aufmerksamkeit und (wenngleich unfreiwillige) Würdigung zu, wie durch den verzweifelten Aktionismus von Israelitischer Kultusgemeinde und Verteidigungsministerium. Ob die zivilcouragierten Kämpfer gegen ein waffenstudentisches Gedenken wollen oder nicht – soviel Gedenken hätte man sich beim WKR kaum träumen lassen. Die schlagenden Wiener Bünde sehen trotz allem ihre Absicht erfüllt und haben zusätzlich die scheinbaren Meinungsbildner einspannen können – Belustigung und ein wenig Schadenfreude sind hier keineswegs fehl am Platz.