Fünfundvierzig Jahre nach dem Aufstand der Studenten und dem folgenden „Marsch durch die Institutionen“ liegt eine Betonplatte über dem wiedervereinigten Deutschland. Denk-, Rede- und Handlungsverbote prägen politische Debatte und öffentliches Handeln. Wer eine falsche Bemerkung über Ausländer, Geschlechter, Erziehung, Wirtschaft, Energie oder Europa macht, erfährt Abmahnung, Mißachtung und Ausgrenzung, im schlimmsten Fall sogar Gewalt. Keine 25 Jahre nach der Wiedervereinigung, in der sich die Freiheit des deutschen Volkes vollenden sollte, ist von ihm keine Rede mehr. Wer von Volk oder gar Volkstum spricht, ist des Rechtsextremismus verdächtig.
Aber der von den Regierungen Kohl, Schröder und Merkel in das deutsche Vakuum gegossene Beton zeigt Risse. So wie auch das Jahr 2013 einen Frühling erlebt, drängen geistvolle Triebe durch das brüchige Material, werden aus dünnen Trieben starke Äste und brechen Stücke aus dem Beton. So wie die Natur zurückerobert, ist auch die Rückkehr des Naturrechts nicht aufzuhalten.
Einzige Oppositionsrede stammte vom Papst
Es war der damalige Papst Benedikt XVI., der im Berliner Reichstag die einzige wirklich große Oppositionsrede der 17. Legislaturperiode hielt: „Wenn jemand sich bei den Skythen befände, die gottlose Gesetze haben und gezwungen wäre, bei ihnen zu leben, dann würde er wohl sehr vernünftig handeln, wenn er im Namen des Gesetzes der Wahrheit, das bei den Skythen ja Gesetzeswidrigkeit ist, zusammen mit Gleichgesinnten auch entgegen der bei jenen bestehenden Ordnung Vereinigungen bilden würde“, sagte er am 22. September 2011.
Der Aufruf zur Opposition richtete sich nicht an Nachfahren des vor zwei Jahrtausenden in der asiatischen Steppe lebenden Reitervolkes, sondern an die vielen Menschen in Deutschland, die mit ihrem Fleiß, ihren Ideen und ihrer Kreativität das Rückgrat dieser Nation bilden und von dem autoritären Befehlsgehabe der sich selbst so definierenden „Zivilgesellschaft“ die Nase voll haben.
Die Saat des Wortes geht auf
Sie wollen nicht gegängelt werden, wollen in den Schulen das Leistungsprinzip für ihre Kinder, die lesen, schreiben und rechnen, aber nicht ihren Namen tanzen lernen sollen. Sie wollen keine Frauen-Quoten, keine Gender-Toiletten und keine staatlich bezahlten Schwulen- und Islam-Versteher. Sie wollen, wie der Papst sagt, das „Gesetz der Wahrheit“ und Gerechtigkeit.
Die Saat des Wortes geht auf: Auch durch den harten Beton des Reichstages bricht sich ein noch zarter, aber stärker werdender Trieb. Nachdem Merkel die Alternativlosigkeit der Euro-Rettungspolitik und in der Konsequenz daraus die Preisgabe weiterer demokratischer Rechte an Europa festgestellt hat, liegt die Erinnerung an den Besuch des SED-Generalsekretärs Erich Honecker 1987 in Bonn nahe. Damals galt die Koexistenz beider Staaten in Deutschland als alternativlos. Keine zwei Jahre später skandierten Hunderttausende: „Wir sind ein Volk.“
Zulauf zur „Alternative für Deutschland“ ist beispiellos
Jetzt macht sich wieder das Volk auf, eine Avantgarde zuerst. „Nach der Studentenrevolte der sechziger Jahre kommt nun der Aufstand der Professoren“, ahnt der Spiegel mit Blick auf die akademisch gut aufgestellte „Alternative für Deutschland“ (AfD) des Hamburger Volkswirtschaftlers Bernd Lucke. Gewiß gab es gescheiterte Vorgänger wie den Bund freier Bürger oder die oberhalb der kommunalen Ebene außerhalb Bayerns erfolglosen Freien Wähler.
Aber der Zulauf zur AfD ist beispiellos für die jüngere Vergangenheit, auch wenn es der Protest gegen den politisch-medialen Komplex noch nicht aus den Sälen auf die Straßen und Plätze wie den Platz des 18. März vor dem Brandenburger Tor geschafft hat. 24 Prozent der Wähler können sich aber vorstellen, die AfD zu wählen.
Gefahr für schwarz-gelbes Kartell
Und schon läuft die Kampagne nach altbekanntem Strickmuster. „Euro-Gegner könnten Schwarz-Gelb die Macht kosten“, warnte Springers Welt ihr bürgerliches Publikum vor dem Spiel mit dem Feuer. Wie zum Beweis für den Gleichklang der offiziellen Medien erinnerte auch der Spiegel an die Niedersachsen-Wahl, die die CDU dank Lucke vergeigt habe: „Hätte es Lucke und seine Euro-Kritiker damals nicht gegeben, so wäre der CDU-Ministerpräsident David McAllister heute wohl noch im Amt.“
Da nicht nur in der Währungspolitik, sondern auch in Sachen EU, Ausländer, Energie, Wirtschaft, Familie und wo auch immer kaum noch Unterschiede zwischen Union, SPD, FDP und Grünen feststellbar sind, geht die Argumentation ebenso ins Leere wie die Stellungnahme des CDU-Generalsekretärs Hermann Gröhe zur AfD: „Wir nehmen sehr ernst, daß sich viele Bürger um die Zukunft des Euro sorgen.“ Genau das tut Gröhes CDU nicht, für die der Euro ein Dogma ist; sonst wäre seine Rettung wohl nicht alternativlos.
Eine echte Opposition im Parlament ist möglich
Was in Deutschland fehlt, ist eine parlamentarische Opposition, die die AfD sein könnte. Im Bundestag werden nicht einmal mehr die richtigen Fragen gestellt. Die wenigen opponierenden Politiker wie Frank Schäffler (FDP) und Klaus-Peter Willsch (CDU) haben als einzelne Abgeordnete nur eingeschränkte Fragerechte. Kein Verfassungsgericht, sondern nur eine kraftvolle Oppositionsfraktion kann eine Regierung treiben und letztlich zwingen, in Europa nicht mehr länger Verträge zu Lasten des deutschen Steuerzahlers einzugehen. Und sie kann demokratische Rechte vor dem Zugriff der Regierenden schützen.
Wer über Deutschland nachdenkt und etwas ändern will, muß sich von der Vorstellung befreien, im Bundestag vorhandene bürgerliche Parteien würden noch einen Beitrag gegen europäischen Zentralismus und Verlust der Freiheit leisten. Herrschende Kräfte, mögen sie selbst im grünen Gewande daherkommen, waren immer schon so reform-unfähig wie der Hochadel des 19. Jahrhunderts. Mit dem ersten lauen Frühlingslüftchen 2013 liegt auch ein Hauch von Vormärz in der Luft.
JF 16/13