Nach dem Erdbeben schlage man auf die Seismographen ein, meinte Ernst Jünger. Ein solcher Seismograph ist Heinz Buschkowsky. In seinem soeben erschienenen Buch „Neukölln ist überall“ will er den Schleier der politischen Korrektheit fortreißen, der den Blick auf eine Gesellschaft im demographischen und ethnischen Umbruch verstellt.
„Es soll später keiner sagen können, er hätte es nicht gewußt“ – dieser Satz eines Bürgers habe ihn motiviert, sich noch einmal deutlich zu Wort zu melden.
Es ist bemerkenswert, daß es neben dem Sozialdemokraten Thilo Sarrazin mit Buschkowsky wiederum ein Politiker der SPD ist, der – im Gegensatz zu „bürgerlichen“ Politikern – Tacheles redet. Offenbar findet öffentlich nur Gehör, wer als „Linker“ linke Lebenslügen entzaubert. Buschkowsky weiß: „Links, das sind die Guten, voller Verständnis und Hinwendung“, wer sich dem verweigere, sei „rechts, konservativ, latent oder in echt rassistisch und überhaupt von gestern“.
Buschkowsky will „den Laden zusammenhalten“
Der barocke Bezirksbürgermeister, der mit seiner klaren Aussprache auch hartgesottenen Arabern und Türken Respekt abnötigt, will, daß endlich durchgegriffen wird. Er will „den Laden zusammenhalten“, dafür sei jedoch notwendig, mit dem „vollmundig-inhaltsleeren Gequatsche“ aufzuräumen. Ein „devoter Gesellschafts-Masochismus“ und eine „Sozialromantik“ des „Alles-Entschuldigens, der Nachsicht, des Laisser-faire“ verhindere, die Dinge beim Namen zu nennen.
Buschkowsky steht in Neukölln buchstäblich an der Front. Hier bündeln sich wie in einem Brennglas soziale und ethnische Tendenzen, die auch in anderen Regionen Deutschlands abzusehen sind, wo der Anteil der Einwanderer die 50-Prozent-Grenze erreicht oder schon überschritten hat. Er sieht sowohl „deutsche Multiproblemfamilien, seit Generationen Arbeitsplatzsicherer im Sozial- und Jugendamt“ als auch Familien mit der „eingeflogenen Importbraut“, die sich in einem Leben auf Kosten des Sozialstaates einrichten.
In was für eine Gesellschaft soll integriert werden?
Von der schnörkellosen Lageanalyse führt Buschkowsky den Leser jedoch wieder auf sozialdemokratische Holzwege. So wenn er für alle Kinder verpflichtend Ganztagsschulen und die Abgabe von Einjährigen in der Kindertagesstätte als Patentrezept fordert und für weitere Einwanderung plädiert.
Buschkowsky erzählt von seiner Jugend, wo „niemand von uns auch nur im Traum auf die Idee“ gekommen sei, für privaten Konsum im Rathaus „die Kohle anzufordern“. Als Arbeiterkind hat er sich hochgekämpft. Er will einen Staat, der eine härtere Integration einschlägt und konsequent auftritt, statt Sozialleistungen wie Sedativum oder Schutzgeld zu verteilen, um Unruhen zu vermeiden. Doch hier wird es dünn. Denn: In was soll integriert werden? Eine Gesellschaft, die sich „auflöst“ (Sarrazin), einfach nur „bunt“ sein will, wirft Neubürger auf ihre eigene Identität zurück.
JF 40/12