Nachdem das Bundesverfassungsgericht am 18. Juli verkündet hatte, daß die Leistungen für Asylbewerber zu niedrig sind, entbrannte eine Diskussion über die Folgen dieser Entscheidung für den deutschen Staat und seine Steuerzahler. Auch auf der Facebook-Seite des Rechtsmagazins Legal Tribune Online (LTO) wurde von den Lesern umgehend die jeweilige Meinung kundgetan.
Die LTO bietet juristische Inhalte und aktuelle Nachrichten zu Rechtsprechung und Gesetzgebung. Nun hatte ich bisher immer angenommen, da es sich bei den Lesern eines Rechtsmagazins um juristisch interessierte und gebildete Menschen handelt, würden gerade diese deswegen sachlich(er) diskutieren als andere, denen das Argumentieren im Studium nicht nähergebracht wurde. Weit gefehlt. Wie sehr kann man sich täuschen.
Menschenunwürdig
Es begann mit einem Kommentar, in dem die Meinung vertreten wurde, daß hinsichtlich des Existenzminimums 220 Euro „großzügig bemessen“ sind und daß es „sinnvoll wäre“, „diesen Menschen ein Dach über dem Kopf, sowie Nahrung zur Verfügung zu stellen – andere notwendige Anschaffungen könnten über entsprechende ‘Sozial-Gutscheine’ angeschafft werden. Bargeld sollten diese Menschen nur im absoluten Mindestmaß erhalten. Ein solches System hätte garantiert Einfluß auf den Zustrom von Asylbewerbern – dann würden nämlich diejenigen wegbleiben, die nur vorhaben, dieses wohlgenährte Sozialsystem ausnutzen zu wollen. Wer wirklich ernsthaft in seiner Heimat verfolgt wird, der kommt trotzdem und ist dankbar dafür, daß er hier ein freies Leben führen kann.“
Dieser Meinung wurde umgehend von einer Dame widersprochen. Man dürfe diese Menschen nicht „in einem Heim auf engstem Raum mit mehreren Leuten zusammenzupferchen wie Vieh“. Zudem wurde bei den Vor-Kommentatoren die Kompetenz angezweifelt durch die Frage: „War hier irgendeiner der ‘Sozial-Gutschein’-Empfehlenden schon mal in einem Asylantenheim? Ich bezweifle das.“
Wer anderer Meinung ist, muß ein Rassist sein
Auch ein anderer Diskussionsteilnehmer fragte: „Warst Du jemals in einem Asylantenheim und (hast) mit eigenen Augen gesehen, wie sie leben? Nein? Glaub mir, zwölf Quadratmeter für eine Familie und monatlich 40 Euro pro Person und abgelaufene Milch … sind nicht wirklich menschenwürdig.“
Ergo: Nur derjenige, der ein Asylantenheim besucht hat, darf über Asylleistungen diskutieren.
Der nächste Diskussionsteilnehmer wurde noch deutlicher: Diejenigen, die das Urteil und die Erhöhung der Leistungen für Asylbewerber kritisieren, „können nur von Glück reden, daß sie in der ‘richtigen’ Region des Globus geboren wurden … Sie haben bestimmt immer selber alles in den ‘A’ geschoben bekommen … Wahrscheinlich denken sie: ‘Die sind ja auch zum Teil einer ganz anderen Hautfarbe und haben hier nichts verloren, sie sollten sich freuen, daß wir sie nicht direkt in eine Gemeinschaftsdusche stecken?“
Ergo: Wer das Glück hatte, in Frieden und Wohlstand aufzuwachsen, darf nicht über Asylleistungen diskutieren. Wer anderer Meinung ist, ist zudem insgeheim Rassist und begrüßt die Verbrechen des Nationalsozialismus.
Wer anderer Meinung ist, muß NPD-Sympathisant sein
Nachdem ein weiterer Leser der LTO meinte, daß „Deutschland und Wohlstand keine Synonyme“ darstellen würden und daß diejenigen, die asylsuchenden Menschen helfen möchten, dies auch privat oder innerhalb einer Hilfsorganisationen tun könnten, wurde ihm vorgeschlagen, es stehe ihm frei „zu gehen“, wenn es ihm (hier) nicht gefällt – und er solle Grüße ausrichten an seine „Kumpanen im sächsischen Landtag“. Und auf Nachfrage präzisierte die Dame: „Wäre doch zu schön, wenn Menschen Deines Schlages einfach weg wären.“
Ergo: Wer anderer Meinung ist, muß NPD-Sympathisant sein und es wäre schön, wenn Menschen mit konträren Meinungen „einfach weg wären“.
Es war naiv zu glauben, daß eine solche Diskussion ohne die bekannten Reaktionen und ohne Emotionen auskommt.