Wie sieht die Zukunft der Rechtschreibreform aus? Sie wird weiter reformiert, wenn es nach der Duden-Fraktion im Rechtschreibrat geht. Das legen Äußerungen der Dudenredaktion und der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) nahe. Am deutlichsten äußerte sich kürzlich Werner Scholze-Stubenrecht, der Leiter der Dudenredaktion. Sein Vortrag „Rechtschreibung damals, heute, morgen“, gehalten am 10. September auf einem Symposion der GfdS zum 100. Todestag Konrad Dudens, ist nun in der GfdS-Zeitschrift Sprachdienst 6/2011 veröffentlicht worden.
Die zaghaften Versuche des Reformretters und Konrad-Duden-Preisträgers Peter Eisenberg, die Regeln mittels einer Neuformulierung nachzubessern, hatte die Mehrheit im Rechtschreibrat vor der jüngsten Neufassung Ende 2010 allerdings abgeblockt. Umgestaltungen haben nämlich nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie den im Rat vertretenen Wörterbuchverlagen keine Kosten verursachen. Kosmetische Änderungen bei der Schreibung einzelner Wörter, wie sie der Rat zum Beispiel vor einem Jahr bekanntgab, stören das Geschäft hingegen nicht; im Gegenteil, sie liefern ein willkommenes Verkaufsargument für Neuauflagen.
GfdS wirbt für Duden
So verbot der Rat zuletzt unter anderem die Wörter „Sketsch“, „Butike“ und „Scharm“ und ließ nur noch die Schreibungen „Sketch“, „Boutique“ und „Charme“ zu. Vor diesem Hintergrund ist eine Behauptung der GfdS-Geschäftsführerin Andrea-Eva Ewels erstaunlich. Sie erklärte nämlich am 28. Juli 2011 dem Wiesbadener Kurier: „Dudens Prinzip ‚Schreibe, wie du sprichst‘ – also der phonetische Ansatz – kommt in der neuen Rechtschreibung voll [!] zur Geltung.“ Anscheinend hat sich Ewels mit der Reform nur wenig beschäftigt.
Das Gespräch mit der Zeitung liefert jedoch nicht nur einen Hinweis darauf, wie eng die als gemeinnützig anerkannte GfdS mit der Dudenredaktion verbunden ist, etwa wenn Ewels ganz unverhohlen wirbt: „Die Dudenredaktion ist seit über 130 Jahren die maßgebliche Instanz für alle Fragen zur deutschen Sprache und Rechtschreibung … Der Duden ist der ‚König‘ unter den Wörterbüchern.“ (Der Duden ist nicht maßgeblich; für die Rechtschreibung ist er es seit 1996 nicht mehr, für „alle Fragen zur deutschen Sprache“ war er es noch nie.)
Duden- und Wahrig-Fraktion
Ewels deutet darüber hinaus auch die nächste Stufe der Reform an: „Nicht gefallen würden ihm [Konrad Duden] die vielen Ausnahmen und Sonderregelungen.“ Die nächste Reform läuft demzufolge auf eine Verringerung der Doppelschreibweisen hinaus. Diese entstanden bei der Nachbesserung von 2006, als man einige traditionelle Schreibweisen wieder zuließ, ohne die reformierten wieder abzuschaffen.
Werner Scholze-Stubenrecht führt als Leiter der Dudenredaktion in seinem Beitrag für den Sprachdienst das Reformvorhaben etwas genauer aus: „Die politischen Stellen werden noch einige Zeit lang kein besonderes Interesse an erneuten Regeländerungen haben, wollen aber auf Einzelfälle beschränkte kleinere Modifizierungen der Entscheidung des Rechtschreibrates überlassen. Das wäre vielleicht eine Chance, die derzeitige Variantenvielfalt wieder ein bißchen abzubauen, die aus Sicht des Dudens und des größeren Teils seiner Kundschaft schlicht unpraktisch ist.“
Doch sogar die scheinbar einfache Verringerung der Variantenzahl birgt Zündstoff. Der Rechtschreibrat ist hier nämlich in eine Duden- und in eine Wahrig-Fraktion geteilt. Zu letzterer gehört zum Beispiel der Ratsvorsitzende Hans Zehetmair höchstpersönlich, der für die Wahrig-Wörterbücher die Vorworte schreibt. Wie erwähnt, hatte die 2006er-Reform zahlreiche bewährte Schreibungen wieder zugelassen, die reformierten Schreibweisen allerdings daneben weitergelten lassen. Für rund 3.000 Wörter gibt es nun zwei mögliche Schreibweisen.
Das Geschäftsinteresse bestimmt die Rechtschreibung
Dies nutzten Duden und Wahrig aus, um 2006 unterschiedliche und willkürliche Empfehlungen zu geben und sich ein sogenanntes Alleinstellungsmerkmal zu sichern. Während Duden dabei eher die reformierten Formen von 1996 bevorzugte („bei Weitem“), neigte Wahrig eher den traditionellen Schreibweisen zu („bei weitem“).
In der Wahrig-Auflage von 2009 schloß sich dann Wahrig allerdings der Schreibweise der Nachrichtenagenturen an, die wiederum eine Mischung aus den Empfehlungen von Duden und Wahrig aus dem Jahr 2006 darstellt: Wo Duden- und Wahrig-Empfehlungen nicht übereinstimmten, entschieden sich die Nachrichtenagenturen für die traditionelle Schreibweise. So ist ein heilloses Durcheinander entstanden, dem die Zeitungen nur mit Hilfe von Korrekturprogrammen Herr werden können. Diese Programme werden von Duden und Wahrig bereitgestellt.
Wenn Duden nun das Ziel vorantreibt, die Zahl der Varianten zu senken, dann deutet dies darauf hin, daß sich das Unternehmen gegenüber Wahrig im Nachteil sieht und ihm einen Wettbewerbsvorteil entziehen will. Wieder einmal wird nicht die Sprachrichtigkeit, sondern das geschäftliche Interesse im Vordergrund stehen. Scholze-Stubenrecht schließt seinen Beitrag mit den Worten: „Vielfalt ist nicht dasselbe wie Beliebigkeit.
Das muss keineswegs zur Pedanterie führen – Konrad Duden hat zu seiner Zeit mit seinen Mitteln viel erreicht, weil er sich stets den Blick für das Machbare und Vernünftige bewahrt hat. Nicht zuletzt darin kann er uns auch heute noch ein Vorbild sein.“ Ob der Blick fürs Vernünftige nun endlich in den Rechtschreibrat einziehen wird, dürfen wir indes getrost bezweifeln.