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Die Amöbe und der Minister

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Die Amöbe und der Minister

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Weihnachts-Abo, Weihnachtsbaum, Zeitungen

„Die Verteidigung des Eigenen“ heißt das kleine rote Büchlein von Martin Lichtmesz, das soeben in der bald schon legendären Reihe Kaplaken der Edition Antaios erschienen ist. Selbstverständlich ist der Umschlag das einzige, was an dem Bändchen rot ist. Wenn ich überlege, welche Farben ich mit ihm assoziiere, komme ich sofort auf schwarz-weiß mit grünen Flecken. Schwarz-weiß sind seine fünf Traktate aufgrund der Schärfe, mit der Lichtmesz Eigenes und Fremdes, Freund und Feind – das heißt vor allem Selbst- und Fremdbestimmung beziehungsweise in letzter Konsequenz: geistige Kolonisierung – unterscheidet.

Der Säuberlichkeit seiner Trennlinien widerspricht allerdings nicht der „grüne Eiter des Ekels“ (Ernst Jünger), der hier und da auf den reinen, weißen, schonungslos ehrlichen Flächen seine Blasen wirft. Er ist vielmehr ihre Voraussetzung, denn nur wer an der Pathologie unserer Zeit, ihrer Verlogenheit, Niedrig- und Nichtigkeit leidet, verspürt einen Wunsch nach Reinigung.

Anders als der ebenfalls gerade erschienene, von Lichtmesz und Manfred Kleine-Hartlage herausgegebene Essayband des norwegischen Starbloggers Fjordman, der den Leser mit faktengesättigter Sorge zurückläßt, verspritzt Lichtmesz durchaus einigen Witz, wenn er eine Eiterblase aufsticht. Meist braucht man die Vertreter des politischen Mainstreams ja nur zu zitieren oder ihren Jargon nachzuahmen, um Heiterkeit zu erwecken, was aufgrund ihrer Austauschbarkeit wenig parodistisches Talent erfordert, und nur selten verzapft einer ihrer „Vordenker“ etwas, das genauere Aufmerksamkeit lohnt.

Bildungsexperte und Rotweintrinker

Einen kleinen inneren Reichs- (oder sagen wir lieber nur Gau-)Parteitag hatte ich bei der Lektüre einer philosophischen Ausführung von Mathias Brodkorb, der für SPD-Verhältnisse als Bildungsexperte gilt und sich als prominenter Kämpfer gegen Rechts vom Heer der übrigen staatlich besoldeten und gehätschelten Denunzianten dadurch unterscheidet, daß er gerne Rotwein trinkt, Texte, deren Autoren er an den Pranger stellt, wenigstens liest und einen in politischen Kreisen unüblichen Sinn für Humor (freilich auch nur auf Kosten anderer) hat.

Lichtmesz zitiert ihn ausführlich zum Thema „Abstammungsprinzip“: „Philosophiestudenten des ersten Semesters würden sich nun vor Kichern auf dem Boden kringeln“, weil die Auffassung, daß „deutscher Abstammung“ sei, wer „deutsche Eltern“ habe, „schlicht zirkulär“ sei. „Denn wenn ‚deutsch‘ ist, wer ‚deutsche‘ Eltern hat, muß wiederum gefragt werden: Wann sind denn die Eltern eines Menschen ‚deutsch‘? Die einzig mögliche Antwort: Wenn die Eltern dieser Eltern wiederum ‚deutsch‘ sind. […] So könnte man fast bis ins Unendliche fortfahren und würde irgendwann, die Gültigkeit der Evolutionstheorie vorausgesetzt, bei ‚deutschen‘ affenähnlichen Vorfahren ankommen und schließlich bei so etwas wie der ‚deutschen‘ Amöbe.“

Der neue Kultusminister von Mecklenburg-Vorpommern hat also, wahrscheinlich im ersten Semester seines Philosophiestudiums, etwas von einem „infiniten Regreß“ gehört, aber er hätte sich ab dem zweiten etwas weniger bei SPD-Veranstaltungen herumtreiben sollen. Dann säße er jetzt zwar nicht auf einem Ministersessel, hätte jedoch etwas von den Eleaten und den Zenonischen Paradoxien gehört, bei denen es, grob gesagt, um die logische Nichterfaßbarkeit des Kontinuums geht.

Das logische Problem der Evolution

Offenkundig sind Veränderungen auch dann möglich, wenn es keine abrupten Wechsel, sondern nur allmähliche Wandlungen gibt, die sich mit der Wahrnehmung einer in der Zeit fortdauernden Identität durchaus vertragen. Der Verstand erfaßt nur distinkte Einheiten beziehungsweise stellt solche her, indem er die Welt begrifflich unterteilt, aber der heraklitische Fluß, der niemals „derselbe“ ist, weil immer neues Wasser durch sein Bett strömt und dieses dabei verändert, ist doch beispielsweise der Rhein und nicht plötzlich die Donau.

Philosophisch ist das Abstammungsprinzip, außer für Brodkorbs Erstsemester-Logik, kein Problem. Ebensowenig historisch, zumal es in Deutschland nicht wegen einer besonderen Neigung zu „Blut und Boden“ eingeführt wurde, sondern sich aus der territorialen Zersplitterung des Reiches ergab, die es sinnvoll erscheinen ließ, die Staatsangehörigkeit an Herkunft und Abstammung zu knüpfen. Darüber hinaus ergänzt es sich gut mit dem Prinzip der Nation als Schicksalsgemeinschaft.

Und hätte Brodkorb sich als Student nicht so viel gekringelt und amüsiert, dann hätten wir jetzt keinen Minister, der aus logischen Gründen eigentlich die von ihm bemühte Evolutionstheorie ablehnen muß: Ein Mensch ist doch schließlich, wer von Menschen abstammt. Diese stammen wiederum von Menschen ab und so weiter. Wie soll man da je zur Amöbe gelangen?

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