BERLIN. 31 Künstler, Politiker, Schriftsteller, Bürgerrechtler, Wissenschaftler und Maueropfer haben die Führung der Linkspartei in einem offenen Brief aufgefordert, sich von der Tageszeitung Junge Welt (JW) zu distanzieren. Am Ende des zweiseitigen Schreibens werden Gesine Lötzsch, Klaus Ernst und Gregor Gysi aufgefordert, der JW keine Interviews mehr zu geben und in ihr keine Anzeigen mehr zu schalten.
Hintergrund ist die Titelseite der JW vom vergangenen Sonnabend, dem Jahrestag des Mauerbaus. Über einem Foto von einer bewaffneten DDR-Einheit vor dem Brandenburger Tor hatte die Redaktion geschrieben: „Wir sagen an dieser Stelle einfach mal: Danke“. Darunter standen vermeintliche Gründe dafür. Zum Beispiel „für 28 Jahre Hohenschönhausen ohne Hubertus Knabe“, „für 28 Jahre ohne Obdachlosigkeit, Suppenküchen und Tafeln“ oder „für 28 Jahre Bildung für alle“.
Wörtlich heißt es in dem Brief: „Da die Verherrlichung kommunistischer Verbrechen in Deutschland nicht verboten ist, stellen wir uns mit diesem Brief vor die Opfer von Mauer und Staatssicherheitsdienst.“ Das Titelblatt sei an Zynismus nicht zu überbieten, klagen die Autoren, unter denen sich Vertreter aller Parteien außer der Linkspartei befinden: zum Beispiel Vera Lengsfeld (CDU), Markus Meckel (SPD), Christian Lindner (FDP), oder Michael Cramer (Grüne). Zu den wichtigsten Unterzeichnern gehören Henryk M. Broder, Sigmar Faust, Freya Klier, Andreas Nachama und Michael Wolffsohn.
In der Linkspartei ist inzwischen eine Debatte über die Rechtfertigung des Mauerbaus losgetreten worden. Die Vorsitzende Gesine Lötzsch kritisierte die Zeitung. „Ich halte die Titelseite für nicht akzeptabel“, sagte sie gestern in Berlin. Auch der frühere Vorsitzende Lothar Bisky nannte Teile seiner Partei „verbissen“ und „verblendet“. Er warnte die „Ideologie-Ajatollahs“ seiner Partei vor einer Relativierung des Mauerbaus. (rg)