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Mein Stadtrand

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Wie das Leben so spielt, hat es mich an den Dresdner Stadtrand verschlagen. Dieser Umstand ist weder zu beklagen noch zu bejubeln. Festzustellen ist nur, daß Stadt- und Stadtrand lebenswert sind. Dresden ist schön, die Menschen kommen mir freundlich vor und der sächsische Singsang klingt in meinen Ohren angenehm – vermittelt er doch das Gefühl, hilfsbereiten Menschen zu begegnen, die sich nicht über ihr Gegenüber erheben. Vorbehalte gegen diesen schönen Dialekt kann ich, als Westfale aus dem Ruhrgebiet, jedenfalls nicht mehr hören.

„Mein“ Stadtrand ist der Dresdner Westen in der Gegend, wo die Elbe und die eingemeindeten Dörfer zehn Gehminuten entfernt liegen. Schön. Die Schrebergärten, die Kneipen, die parkenden Autos und die Menschen, die einem entgegen kommen vermitteln den Eindruck einer kleinbürgerlichen Mittelschicht. Mein historisches Wissen über „meinen“ Stadtrand reicht nicht weit zurück – wenige Jahre nur, nämlich so lange, wie meine Frau und ich dort leben. Aber in dieser Zeit hat sich viel getan.

Die kommende Mittelschicht

Wir sind zugezogen und geblieben, weil die Mieten unschlagbar günstig waren. In einer Gegend mit etlichen unsanierten und leer stehenden Sieben- bis Achtfamilienhäusern war das sicherlich kein Wunder. Peu à peu wurden Baustellenschilder vor diese Häuser gestellt, neuer Wohnraum geschaffen, junge Leute zogen zu. So führt ein Spaziergang durch diese Gegend an einigen frisch sanierten Altbauten der vorletzten Jahrhundertwende vorbei. Das Erscheinungsbild hat sich damit erheblich verbessert. Wer aber leer stehende und sanierungsbedürftige Immobilien sehen möchte, muß hier nicht lange suchen. Eigentlich muß er gar nicht suchen.

Das Land Sachsen hat ordentliche Stadtsanierungskonzepte im Programm. Damit sind unschlagbar günstige Förderdarlehen für den Erwerb von Wohneigentum verbunden. Deshalb wird sich in „meinem“ Stadtrand die Gewichtung wohl eher weg vom Kleinbürgerlichen hin zur Mittelschicht bewegen. Wahrscheinlich werden auch Mieten und Kaufpreise steigen. Ein ähnlicher Prozeß ist seit Jahrzehnten in etlichen deutschen Stadtvierteln zu beobachten: Studenten und subkulturelle Szenen ziehen in herunter gekommene Viertel mit niedrigen Mietpreisen.

Soziologen sprechen von Gentrifizierung

Dadurch werden die Viertel interessant, die Mietpreise steigen, Alteingesessene können sich das Leben dort nicht mehr leisten und ziehen weg. „Statusniedere“ Anwohner werden durch „statushöhere“ Anwohner ausgetauscht. Freilich ist diese Beschreibung extrem verkürzt, doch so in etwa erklärt es die Stadtsoziologie und nennt es Gentrifizierung. Man denke nur an Berlin und Hamburg, das Dresdner Hechtviertel, Köln-Ehrenfeld und so weiter.

Nun ist „mein“ Stadtrand nicht gerade ein Anziehungspunkt für subkulturelle Szenen. Und angesichts der langsamen Entwicklung und des immer noch hohen Leerstandes unsanierter Häuser ist in den nächsten Jahren auch nicht mit einer Verdrängung der „statusniederen“ Anwohner zu rechnen. Aber schon der Wandel des Mischungsverhältnisses von der Mehrheit der Alteingesessenen zur Mehrheit der Zugezogenen (wie mir) wird irgendetwas am Viertel verändern. Und sei es nur ein mulmiges Gefühl der Alteingesessenen, die Auflösung sozialer Netzwerke oder die Häufung nicht-sächsischer Dialekte.

Einbringen statt wegziehen

Da die Dinge nun mal sind, wie sie sind, ist auch dieser Umstand weder zu beklagen, noch zu bejubeln. Doch vielleicht ist er beeinflußbar. Mein Vermieter ist ein Alteingesessener. Neulich habe ich mit ihm ein Bier getrunken, vielleicht auch zwei. Er hat mir eine Autowerkstatt um die Ecke empfohlen, die tatsächlich gut war.

Sonntag nach dem Gottesdienst bin ich mal zum Kaffeetrinken der Gemeinde gegangen. Ein älteres Ehepaar hat mir dort einige Dinge über die Entstehung des Viertels erzählt und mir andere Gemeindemitglieder vorgestellt. Zur selben Friseurin gehe ich sowieso immer. Die weiß, wie ich meine Haare haben möchte. Ob ich mich jetzt wohl noch für die Pacht einer Gartensparte bewerben soll? Und so in etwa kann ich vielleicht meinen bescheidenen Beitrag leisten, die Gentrifizierung „meines“ Stadtrands zu beeinflussen. Es soll ja auch schön bleiben.

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