Das große und mächtige Byzanz, als es nicht mehr so groß und mächtig war, was hat es nicht alles an Abkommen und Friedensverträgen geschlossen. Mit den Kreuzfahrern, mit den Türken, immer lief es auf das Gleiche hinaus: die Tore gingen auf, fremde Truppen strömten hinein und als die Tore wieder geschlossen waren, konnte sich niemand mehr an irgendwelche Vereinbarungen erinnern. Und jedesmal wurde Byzanz ein wenig schwächer.
Man kann es nicht häufig genug betonen: Es gab nicht einen einzigen Zeitpunkt in der deutschen Politik, an dem man irgendein Interesse daran gehabt hätte, den hohen, ländlichen Bevölkerungsüberschuß der Türkei in Deutschland aufzunehmen. Es war einzig und allein das Ausland, welches hier überaus starken Druck auf Deutschland ausgeübt hatte und noch ausübt. Von deutscher Seite bestand dazu niemals eine Veranlassung.
Ganz im Gegenteil sperrte sich die deutsche Politik, wo sie nur konnte. Man schaue sich nur das deutsch-türkische Anwerbeabkommen von 1961 an. Was hat man da nicht alles hineingeschrieben. Nur Türken aus dem europäischen Zipfel des türkischen Staatsgebietes sollten einreisen dürfen und auch nur für zwei Jahre. Eine Familienzusammenführung wurde ausdrücklich ausgeschlossen und so weiter. Und was wurde davon eingehalten?
Unternehmer und Funktionärselite nehmen dargebotene Möglichkeiten an
Es war nicht das deutsche Großkapital, welches einen Strom billiger Arbeitskräfte in den Industriestandort Deutschland einleitete. Denn so lautet häufig ein Vorwurf der politischen Linken mit dem üblichen Klassenkampf-Vokabular. Zugegeben, wo sie nun einmal hier waren, nahmen Unternehmer gerne die Möglichkeit an, mit diesen Menschenmassen Druck auf die deutsche Arbeiterschaft auszuüben. Was dieser natürlich nicht entging.
Aus heutiger Sicht ist es amüsant zu lesen, was man damals in den 60er und 70er Jahren in Gewerkschaftskreisen, in SPD-Kreisen sagte, als man sah, wie fremde Völkerschaften in die Fabrikhallen gespült wurden. Aber doch, eine lohnenswerte Aufgabe wäre es, einmal aufzuzeigen, wie von SPD-Funktionären relativ bald ein anderer Ton angeschlagen wurde. Denn auch diese Funktionärselite nahm gerne die dargebotene Möglichkeit an.
Ein Parteifunktionär wird für gewöhnlich als ein Interessenvertreter betrachtet. Das stimmt aber so nicht. Wie gezeigt wurde, vertritt er zunächst einmal seine eigenen Interessen, die er mit anderen Parteifunktionären abstimmt. Die Interessen der Arbeiterschaft sind daher für einen SPD-Funktionär nur insofern bedeutsam, als sie ihm zu mehr Wählerstimmen und damit mehr politischer Macht verhelfen.
Ein System mittelalterlicher Pfründe in der Gegenwart
Mit diesem Machtgewinn hat dann der SPD-Funktionär – es könnte der Funktionär einer beliebigen Partei sein – die Möglichkeit, sich und seinen in Netzwerken miteinander verbundenen Parteigenossen Versorgungsstellen anzueignen und untereinander aufzuteilen. Man schaue sich nur einmal Deutschland an, diese ganzen ebenso wohldotierten wie überflüssigen Pöstchen, auf denen Unfähige mit dem passenden Parteibuch sitzen.
Dieses, den mittelalterlichen Pfründen durchaus nicht unähnliche System bedeutet aber für den Funktionär, daß er aus seinem Egoismus heraus möglichst viele Wählerstimmen oder sonstige Möglichkeiten des Machtgewinns erstreben muß. Die Vorstellung hinter diesem System ist natürlich, daß der Funktionär dann besonders viele Stimmen bekommt, wenn er die Interessen seiner Wählerschaft besonders gut bedient. Aber stimmt das wirklich?