Portugals 20jähriger König Manuel II. ahnte nichts Böses, als er am 4. Oktober 1910 den brasilianischen Präsidenten beim offiziellen Staatsbesuch bewirtete. Zwar schien es ungewöhnlich, daß in der Tejo-Mündung vor der königlichen Residenz, dem Palácio das Necessidades, am Nachmittag zwei Kreuzer der Kriegsmarine – die „São Rafael“ und die „Adamastor“ – Anker warfen. Was dies bedeutete, wurde dem Monarchen erst in der Nacht gegen 2 Uhr klar, als mehrere Geschützsalven seine Privatgemächer in Trümmer legten.
Manuel II. zog es noch am 5. Oktober vor, mit seiner Familie auf einer Yacht nach Gibraltar zu fliehen. Portugal war quasi über Nacht zur Republik geworden. Der 67jährige Literaturprofessor Teófilo Fernandes Braga ließ sich zum provisorischen Staatsoberhaupt ausrufen.
Das Land am Atlantik wurde seit den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts von einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise geschlagen. Hinzu kam eine selbst für iberische Verhältnisse ungewöhnlich skrupellose Korruption. Vor allem das Königshaus Bragança wurde dafür verantwortlich gemacht. Eine sehr agile Opposition der Republikaner, die seit 1888 auch im Parlament (Cortes) vertreten war, agitierte gegen die Monarchie. Namentlich in den Ballungszentren von Lissabon und Porto stieß sie auf Gehör, weniger bei der Landbevölkerung.
Attentat auf die königliche Kutsche
Als König Carlos I. im Mai 1906 den ultrakonservativen Politiker João Franco zum Ministerpräsidenten berief und dieser das Parlament auflöste und sich diktatorische Vollmachten übertrug, war das Wasser auf die Mühlen der Republikaner. Am 1. Februar 1908 verübten sechs Anarchisten auf dem Lissaboner Handelsplatz ein Attentat gegen die königliche Kutsche. Im Kugelhagel ihrer Karabiner starben Carlos I. und sein ältester Sohn Ludwig Philipp. Dessen jüngerer Bruder Manuel II. entließ Franco und berief ein liberales Ministerium, aber die Radikalen gaben sich damit nicht zufrieden.
Für große Empörung sorgte im April 1910 ein Skandal um das Zuckermonopol der Atlantik-Insel Madeira. Diese lukrative Einnahmequelle ging an den englischen Geschäftsmann Harry Hinton, der zuvor Schmiergelder an hohe Würdenträger Portugals gezahlt hatte. Von London und Paris aus bereiteten die Republikaner den Aufstand vor.
Er brach vorzeitig los, als am 3. Oktober 1910 in Lissabon der Parlamentarier Miguel Bombarda, ein Führer der republikanischen Partei, erschossen wurde. Angeblich hatte ein geistesverwirrter Offizier, ehemaliger Patient des Irrenarztes Bombarda, den Anschlag verübt. Man vermutete hinter dem Attentat eine gezielte Aktion des Königshauses und so brach eher spontan eine Revolte der Kriegsmarine aus, deren Offiziere großenteils den Republikanern zuneigten. Bewaffnete Zivilisten warfen Handgranaten auf mehrere Ministerien und ein Infanterie-Regiment ging auf die Seite der Revolutionäre über.
Sieben Staatsoberhäupter in zehn Jahren
Wäre der König nicht so überstürzt geflüchtet, hätte man den wilden Aufstand sicher niederschlagen können. Doch nun gewannen die Republikaner binnen 24 Stunden die Oberhand. Sie schafften zwar Monarchie und Adel ab, grundlegende soziale Reformen erfolgten aber nicht.
Vielmehr geriet Portugal von einer Staatskrise in die nächste. Binnen zehn Jahren wechselten sich sieben Staatsoberhäupter und 24 Regierungschefs ab. Im Parlament kam es nicht selten zu Prügelszenen zwischen den verfeindeten Fraktionen. Erst im Sommer 1932 führt Antonio de Oliveira Salazar das Land zur politischen Stabilität. Er amtierte bis 1968 als gemäßigter Diktator des „Estado Novo“ (Neuer Staat).