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„Er war ein wirklich armer Kerl“, …

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… sagt Carsten Pusch vom Tübinger Institut für Anthropologie und Humangenetik über den ägyptischen Pharao Tutanchamun. Eine Gaumenspalte, ein Klumpfuß und vor allem eine Osteonekrose  sind die traurigen Befunde, die der Molekulargenetiker als Mitglied der Forschungsgruppe um den Leiter der ägyptischen Altertümerverwaltung Zahi Hawass vor einigen Tagen der Weltöffentlichkeit präsentierte.

Wahrscheinlich war es dieses Absterben von Knochen infolge mangelnder Blutzufuhr (auch „Knocheninfarkt“ genannt), das in Verbindung mit einer Malaria-Infektion zum Tod des neunzehnjährigen Herrschers führte; die Ursachen für diese schweren Degenerationserscheinungen liegen wohl in der inzestuösen Verbindung seiner Eltern: Die erstmals durchgeführten DNS-Tests bestätigen, daß Echnaton, wie bislang von vielen Ägyptologen vermutet, sein Vater war, während dessen Ehefrau Nofretete als Mutter nicht in Frage kommt; statt dessen war es die sogenannte „Younger Lady“, eine Mumie mit der Bezeichnung KV35YL, deren historische Identität noch nicht eindeutig geklärt ist – möglicherweise war sie eine Tochter Echnatons.

Schritt zum Monotheismus

Das eigentlich Bemerkenswerte an den Untersuchungsergebnissen liegt meines Erachtens jedoch weder in diesen, im alten Ägypten nicht unüblichen, Verwandtschaftsbeziehungen noch in der Entschlüsselung der DNS, die nach Jahrtausenden nur schlecht erhalten und eventuell durch andere genetische Spuren (etwa von Einbalsamierern, Grabräubern oder Forschern) kontaminiert ist, sondern in der symbolischen Bedeutung: Der mit acht Jahren inthronisierte Kindpharao siechte als Krüppel, der keine leiblichen Nachfolger hatte – unter seinen Grabbeigaben fanden sich zwei totgeborene Föten, die vielleicht seine Kinder waren – durch sein kurzes Leben, und mit seinem Tod im Jahr 1324 v. Chr. endete seine Dynastie.

Die vorangegangenen Jahrzehnte der Amarna-Könige waren die Glanzzeit des Neuen Reiches, die unser Bild des alten Ägyptens bestimmt. Nofretete repräsentiert in ihrer makellosen Schönheit ein zeitlos-mythisches Königtum, und Echnaton wirkt durch seine „religiöse Revolution“ bis heute fort: In seiner Bevorzugung des Sonnengottes Aton, dem er seine neugegründete Stadt Achet-Aton weihte, vor dem Fruchtbarkeitsgott Amun als bisherigem Hauptgott sehen Sigmund Freud („Der Mann Moses und der Monotheismus“) und der Ägyptologe Jan Assmann einen ersten Schritt zum späteren Glauben an nur noch einen Gott, denn während die meisten Götter lokal und funktional begrenzt vorgestellt werden, tendiert eine solare Gottheit aufgrund der scheinbaren Allgegenwart des Lichtes zu einer Universalität, die andere Götter letztlich überflüssig macht.

Von Tutanchamun wurden diese Neuerungen unter dem Einfluß der die Regierungsgeschäfte versehenden Beamten und der mächtigen Priesterschaft wieder zurückgenommen, die Nachfolger belegten den „Ketzerpharao“ und seinen früh verstorbenen Sohn gar mit einer „damnatio memoriae“ und löschten ihre Namen von den Grabstelen.

Vergreisung des Kindes und Verkindung des Greises

Worin besteht aber, jenseits der gewaltigen Prachtentfaltung, die durch seine geringe politische Wirkung nicht erklärbare düstere Faszination, die von Tutanchamun ausgeht? – In der für Dekadenzzeiten charakteristischen Einheit von Kindheit und Greisentum.

Der Gottkönig an der Spitze der wie eine Pyramide aufgebauten Gesellschaft war ein kümmerliches, ältliches Kind, das sich an Krücken durch goldglänzende Gemächer schleppte und durch seine Totenmaske unsterblich wurde. Zwar veranschaulicht diese dürftige Existenz, die offenbar nur der Vorbereitung auf das Jenseits diente, eindrucksvoll die unerbittliche kultische Herrschaft des Todes im alten Ägypten, aber Vergreisung des Kindes und Verkindung des Greises sind die zu allen Zeiten hervorstechenden Phänomene der Dekadenz.

Was ein Pharao als Monarch in einer Person und immerhin noch in edlen Formen repräsentierte, erscheint in der modernen Massengesellschaft auf Millionen Köpfe verteilt als modisch-poppiger Jugendkult bei gleichzeitiger demographischer Vergreisung, als Mangel an Innovation, übertriebenes Sicherheitsdenken, Trägheit und Versorgungsmentalität schon bei jungen Menschen, sowie als ich-bezogene Gleichgültigkeit gegenüber Zukunft und künftigen Generationen bei Turnschuhe und Schirmmütze tragenden, kinder- und enkellosen Alten.

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