Scheibchenweise kommt die Wahrheit ans Licht über den Einsturz des Kölner Stadtarchivs vor knapp einem Jahr. Gestohlene Stahlbefestigungen, Murks bei den Betonstützwänden, manipulierte Prüfberichte – was die Ermittler über die Kölner U-Bahn-Katastrophe zutage fördern, klingt eher nach Mafia als nach deutscher Wertarbeit.
Wenn in Ostanatolien öffentliche Gebäude beim nächstbesten Erdbeben wie Kartenhäuser zusammenfallen, weil ein raffgieriger Bauunternehmer statt Armierungseisen leere Olivenölkanister einbetoniert hat und die Behörden mit allen Augen wegschauen, ist man geneigt, das als normal anzusehen. Aber mitten im überregulierten Deutschland?
Nun ist der Kölner Klüngel seit jeher ein eigen Ding, und man hat in diesen Kreisen reichlich Übung darin, die Verantwortung so lange von einem Akteur auf den anderen zu schieben, bis irgendwann nichts mehr davon übrig ist. Die forsche Aufklärerpose der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) kann dennoch nur Naive davon ablenken, daß die Stadt als Bauherr auch die Verantwortung trägt.
Profit geht vor Qualität
Respektive ihre Verkehrsbetriebe. In dem Maße, wie an die Stelle von Spitzenbeamten Managerdarsteller mit Parteibuch treten, hält auch deren lockeres Verhältnis zur persönlichen Verantwortung Einzug in das öffentliche Wirtschaften. Man fühlt sich ja nicht so sehr als Staatsdiener, eher als privilegierter Angestellter auf Zeit, da zählen nur die schnellen Zahlen.
Profit geht vor Qualität, Kosteneinsparung vor Langlebigkeit, es wird ausgelagert und fremdbeauftragt, wo es nur geht, den Zuschlag kriegt sowieso der Anbieter mit den billigsten Subunternehmern, kostspielige unabhängige Kontrollen spart man sich gerne, und wenn’s doch mal schief geht, will’s keiner gewesen sein.
Zwei Tote und Milliardenschaden gab es allein beim Einsturz des Stadtarchivs neben der U-Bahn-Baugrube am Waidmarkt. Was der danach herausgekommene Betrug am Bau nach Inbetriebnahme der neuen U-Bahn-Linie hätte anrichten können, wäre er unentdeckt geblieben, weiß kein Mensch.
Und dennoch kein Rücktritt in Köln, natürlich, keiner, der zu seiner Verantwortung steht. Und niemand wundert sich darüber. Auch ein Symptom für das, was der Burschenschafter und Oberstaatsanwalt a. D. Rudolf Samper einmal treffend als die allgemeine „Vergaunerung der Gesellschaft“ bezeichnet hat.
Vernichtung des tausendjährigen Gedächtnisses der Stadt
„Türken-Fritz“ Schramma, der nicht einsehen wollte, daß eine Katastrophe wie der Verlust des Stadtarchivs etwas mit dem Oberbürgermeister zu tun hat, trat zwar angesichts öffentlicher Kritik im Herbst nicht mehr zur Wahl an, fühlt sich deshalb aber heute noch als Opfer.
Mag immerhin sein, daß Schramma inzwischen sogar froh ist, daß er nicht mehr auf dem Chefsessel der Domstadt sitzt. Das wird nichts daran ändern, daß der Name dieser Zierde der Politikerzunft in der Kölner Chronik für immer mit zwei Großtaten verbunden sein wird: Dem Durchboxen der Ehrenfelder Großmoschee gegen alle Bedenken und Proteste der Bürger, und der Vernichtung des tausendjährigen Gedächtnisses der Stadt, dessen Schätze Pest, Kriegszüge und selbst den Bombenterror des Zweiten Weltkriegs überstanden hatten, in dem 98 Prozent der Altstadt ausradiert worden waren.
Aber damals saßen ja auch verantwortungsbewußte Beamte an den Schalthebeln, die über den Tag hinaus dachten und dafür Sorge trugen, daß den kulturellen Reichtümern des historischen Archivs nichts geschehen konnte.