Jeder, der schon einmal Bewerbungen schreiben mußte, kennt das Problem: Wie schätze ich mich und meine Fähigkeiten ein? Teamfähig, belastbar und überdurchschnittlich engagiert ist heutzutage jeder. Das schreibt sich auch schnell mal hin, sind diese Fähigkeiten doch nur schwer meßbar.
Viel komplizierter wird es bei praktischen Fertigkeiten, wie beispielsweise den Fremdsprachen. Was soll jemand wie ich sagen, der bei der Bewerbung nach seinen Französischkenntnissen gefragt wird? In der Schule besuchte ich drei Jahre den Grundkurs.
Für Bewerbungen gibt es standardisierte Stufen: Grundkenntnisse, gute Kenntnisse, sehr gute Kenntnisse, fließend, verhandlungssicher und Muttersprachler. Meine Französischnote war immer „ausreichend“, laut Auskunft meines Lehrers auch nur deshalb, „weil dich kein Kollege ein Jahr länger hier haben will“. Also gab ich immer „Grundkenntnisse“ an, obwohl manche meiner französischsprechenden Kollegen auch das schon für geprahlt halten.
Muß ein EU-Kommissar zwingend Englisch sprechen?
Was mag sich aber Günther Oettinger gedacht haben, als er nach seinen Englischkenntnissen gefragt wurde? Gegenüber der EU hat der lustige Schwabe seine Sprachkenntnisse mit „gut“ angegeben, was bei einer normalen Bewerbung eher als unterdurchschnittlich gelten würde. Gelogen hat unser neuer EU-Kommissar also nicht, was seinem peinlichen Gestammel zu entnehmen ist.
Es stellt sich aber auch eine andere Frage: Muß ein deutscher EU-Kommissar zwingend Englisch sprechen? Meines Erachtens nicht. Viele EU’ler kommunizieren nur in ihrer Muttersprache. Franzosen oder Engländer würden sich nie dazu herablassen, nur für die Union Deutsch zu lernen, womit sie auch recht haben. Wäre es nicht schlauer, wenn sich diese Politiker auf die Inhalte ihres Fachgebietes konzentrierten, dort gute Arbeit leisteten und die Übersetzung den zahlreichen Dolmetschern überließen, die etwas davon verstehen?
Für jeden anderen Politiker würde ich diesen Einspruch gelten lassen. Nicht aber für Günther Oettinger. Schließlich meinte er doch einst gegenüber dem Südwestrundfunk: „Englisch wird die Arbeitssprache. Deutsch bleibt die Sprache der Familie und der Freizeit, die Sprache, in der man Privates liest.“ Daß Oettinger nicht Hochdeutsch kann, wird ihm jeder Schwabe vergeben. Daß er aber Prinzipien proklamiert, die er selbst nicht beherzigt, ist einfach nur erbärmlich.