Bergländer haben es leichter, ihre Freiheit zu verteidigen, als Flächenstaaten. Diese bilden daher eher zentralistische Strukturen aus, benötigen ein starkes stehendes Heer und einen aufwendigen Verwaltungsapparat, was, wie in Preußen, Gemeinsinn und politisch-ökonomische Entwicklung fördern, aber auf Kosten von Individualität und regionaler Diversität gehen kann.
Die Schweiz ist demgegenüber natürlich das Musterbeispiel eines freiheitlich-individualistischen Staatstypus, in dem sich Selbstbestimmung völlig zwanglos – wenngleich oft genug gegen den Willen der „Eliten“ mit ihrem importierten Politikverständnis – mit der Liebe zur eigenen Kultur und Tradition verbindet; seine Wurzeln liegen aber nicht allein in der (von allen Wohlmeinenden zu Recht gelobten) direkten Demokratie, die heute vor allem einen defensiven Charakter hat, sondern in der „geokulturell“ bedingten „Nachhaltigkeit“ (um dieses etwas abgegriffene Modewort zu gebrauchen).
Zu deren Pflege bedarf es einer parteiunabhängigen staatlichen Institution, deren Horizont über den nächsten Wahltermin hinausreicht – in der Schweiz besteht sie in den regelmäßigen Plebisziten, und in der „Schweiz des Himalaja“, dem kleinen Königreich Bhutan, in der Monarchie.
„Vier Säulen des Bruttonationalglücks“
Harald Harzheim hat in seiner Kolumne kürzlich auf den Begriff des „Bruttonationalglücks“ hingewiesen, der 1972 von Jigme Singye Wangchuk, dem damaligen König Bhutans, geprägt wurde und die Orientierung seines Landes nicht primär am wirtschaftlichen Wachstum, sondern an einer „ganzheitlichen“ Entwicklung (noch ein unvermeidliches Modewort!) bezeichnen soll.
Die „vier Säulen des Bruttonationalglücks“ bestehen in sozialer Gerechtigkeit, der Bewahrung und Förderung traditioneller Kultur, dem Schutz der Natur und der Ausbildung effektiver, dezentraler Verwaltungsstrukturen. So gutmenschlich dieser Paternalismus auf den ersten Blick klingen mag, führt er doch, ebensowenig wie die Schweizer Plebiszite (von denen die gutmenschlichen europäischen „Demokraten“ nichts wissen wollen), keineswegs notwendig zu „politisch korrekten“ Ergebnissen, im Gegenteil.
Die Politik des Himalaya-Königreiches ist nach unseren vorherrschenden Maßstäben reaktionär und minderheitenfeindlich, denn die zu bewahrende Kultur ist in erster Linie der durch starke nepalesische Zuwanderung gefährdete und repressiv verteidigte Buddhismus der Ngalong-Volksgruppe.
Carl Schmitt hätte es besser wissen müssen
Anstatt aber das Konzept des Bruttonationalglücks zu loben und gleichzeitig die Diskriminierung von Hindus, Muslimen und Christen zu beklagen, sollte verstanden werden, daß das eine nicht ohne das andere zu haben ist: Demokratie ist nicht bloß das individuelle Abstimmungsverhalten Einzelner, sondern ethnische und kulturelle Selbstbestimmung, die freilich an den allgemeinen Menschenrechten ihre Grenzen finden muß, denn so wie der Mensch nicht nur Individuum ist, ist er auch nicht nur Teil eines Volkes, sondern zugleich auch der Menschheit, die – wie der Katholik Carl Schmitt es besser hätte wissen müssen – keine rein zoologische Kategorie darstellt.
Gerade die buddhistische Leitidee der „Shunyata“, die oft mit „Leerheit“ – richtiger: „Substanzlosigkeit“ – übersetzt wird und aus dem Konzept des „abhängigen Entstehens“ folgt, führt dazu, Volk, Nation oder Kultur nicht zu verabsolutieren, da prinzipiell alles mit allem zusammenhängt und sich nichts aus sich selbst heraus im Dasein erhalten kann; andererseits darf auch das Individuum nicht verabsolutiert werden, weil es ebenso schlechthin abhängig beziehungsweise „leer“ von Eigenexistenz ist wie alle kollektiven Phänomene. Das Streben nach dem Bruttonationalglück steht daher durchaus im Gegensatz zu der Formel vom „pursuit of happiness“ der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, die allein auf individuelles und primär ökonomisch verstandenes Glück abzielt.
Das eine Glück ist ganzheitlich, gemeinschaftlich und seinem Wesen nach immer gegeben, das andere ein isolierter, individueller Zustand, der erst in einer utopischen Zukunft herzustellen ist, in der man sich aus allen überholten Bindungen befreit haben soll. Immer wieder zeigen Umfragen oder Volksabstimmungen, welche Glücksvorstellung tiefer in der menschlichen Natur verwurzelt ist.