Zwischen den Jahren gab der Greifswalder Althistoriker Egon Flaig dem Online-Magazin Telepolis ein umfängliches Interview, in dessen Mittelpunkt die Thesen seines Buches „Weltgeschichte der Sklaverei“ standen. Flaig gehört, dies sei hier am Rande eingeflochten, zu den wenigen deutschen Wissenschaftlern, die sich gegen das Märchen von der „islamischen Toleranz“ wenden. Im Verlauf des Gesprächs kam Flaig auch auf die islamische Sklaverei zu sprechen. Engländern, Amerikanern und Franzosen gelang es im 19. Jahrhundert, einen der Hauptträger islamischer Sklaverei, nämlich die maghrebinische Piraterie, erfolgreich zu bekämpfen.
Bezeichnend ist, was Flaig über die kulturellen Folgen dieses Vorgangs sagte: „Und genau als die Gefahr nachließ, begann die Romantisierung … Das ist typisch für die europäische Kultur: Alle anderen Kulturen werten das Fremde rigoros ab; die Europäer kennen die Abwertung auch, aber sie haben auch eine lange Tradition des Verklärens und Romantisierens … Die europäische Kultur ist selbstkritisch wie keine andere: Sie kritisiert das Eigene und konfrontiert es mit dem Fremden, das zum Ideal stilisiert wird.“
Konfrontation bis zum Selbsthaß
Diese „Konfrontation“ steigerte sich nicht selten bis zum Selbsthaß, der, so formulierte es der französische Philosoph Pascal Bruckner in seinem nach wie vor lesenswerten Essay „Das Schluchzen des weißen Mannes“ (Berlin 1984), „zum zentralen Dogma unserer Kultur geworden ist“. Das Thema Sklaverei ist ein bezeichnender Aspekt dieses Selbsthasses; bis vor kurzem galt es nämlich als mehr oder weniger ausgemachte Sache, daß die Sklaverei eine Domäne Europas bzw. der Vereinigten Staaten war. Erst in den letzten Jahren ist es hier zu einer differenzierteren Sichtweise gekommen; so unter anderem durch die Arbeiten des muslimischen, algerisch-französischen Anthropologen und Psychoanalytikers Malek Chebel.
Die Abwertung des Eigenen
Die Idealisierung des Fremden, verbunden mit der gleichzeitigen Abwertung des Eigenen, begann im 16. Jahrhundert mit dem „guten Wilden“ und erreichte Ende der 60er Jahre mit der Vergötzung von Dritte-Welt-Bewegungen einen Höhepunkt. Selbst ein Staatsverbrecher wie Mao Tse-tung mutierte in dieser Zeit zum Messias. Im gleichen Maße wurde der Westen zum „Hort der größten Verbrecher der Geschichte“ – so der 1982 zum Islam konvertierte französische Philosoph Roger Garaudy. Das Bewußtsein, das der heutige, politisch korrekte „Euroamerikaner“ an den Tag zu legen hat, umreißt Bruckner ironisierend wie folgt: „Wir, die Verwöhnten dieser Erde, die wir den Kolonialismus, den Sklavenhandel, den Völkermord an den Indianern hervorgebracht haben und die wir allein durch die Auswirkungen des ungleichen Tauschs [gemeint sind die Mechanismen des „Kapitalismus“] jedes Jahr ‘50 Millionen’ Menschen vernichten, wir besitzen das Monopol des Völkermords.“
Als Konsequenz dieser einzigartigen Verbrechen hat sich der heutige „Euroamerikaner“ für die gesamte Menschheit verantwortlich zu fühlen; ihm wird von „Oberstaatsanwälten“ der politischen Korrektheit auferlegt, „zu einer Art Held der Selbstlosigkeit“ zu werden: „… ich soll am selben Tag eintreten für die Kämpfer in El Salvador, die Guerilleros in El Salvador, die verstümmelten Frauen des Islam, außerdem gegen die Vivisektion von Katzen, Hunden und Mäusen“ und so weiter und so fort. Nur dann kann es Linderung in einer Welt geben, die einer der penetrantesten Dauerankläger der Euroamerikaner, nämlich der von den Medien stets hofierte, unvermeidliche Schweizer Soziologe Jean Ziegler in seinem Buch „Afrika: Die neue Kolonisation“ (Darmstadt 1980) als „riesiges Vernichtungslager“ bezeichnet hat.
„Patentinhaber der Reinheit“
An die Stelle der Dritte-Welt-Solidarität ist als aktueller Vertreter der „Verdammten dieser Erde“ (Frantz Fanon) der „Migrant“ bzw. die „Migrantin“ getreten, die uns, um eine weitere Formulierung Bruckners zu gebrauchen, einmal mehr als „Patentinhaber der Reinheit“ vorgeführt werden. Aufgrund unserer historischen Bürden, so der Sirenengesang der politisch Korrekten, sollten wir gefälligst allen „MigrantInnen“, die an Europas Tore klopfen, eine Heimstatt bieten.
Aus europäischer Sicht wäre es indes überlebensnotwendig, wenn endlich ein Weg aus der masochistischen Selbstzerfleischung aufgezeigt werden würde, der nicht nur die Bewahrung des kulturellen Erbes Europas ermöglicht, sondern auch den Fortbestand in gewachsenen Völkern, an deren Stelle bezeichnenderweise das Abstraktum „Gesellschaft“ getreten ist, in der es keine Rolle spielt, welche Herkunft und Identität deren Mitglieder haben. Eine Besinnung auf die Identität Europas muß deshalb schon bei der kritischen Analyse des Begriffs „Gesellschaft“ beginnen.