Herr Dr. Juhnke, wird linksextreme Gewalt in Deutschland verharmlost?
Juhnke: Auf jeden Fall ist das hier in Berlin der Fall. Wenn in der Landesregierung, dem Senat, eine linksradikale Partei wie die Linke mit am Kabinettstisch sitzt, muß man sich nicht wundern, daß diese ihr Augenmerk kaum auf die Aktivitäten ihrer linksextremen Gesinnungsfreunde richten möchte.
Das heißt, Ihre Kritik gilt nur für Berlin?
Juhnke: Nein, die Verharmlosung des Linksextremismus hängt nicht nur mit berlinspezifischen Gründen zusammen. Tatsächlich hat der „Marsch durch die Institutionen“ seit den siebziger Jahren dazu geführt, daß überall damalige Extremisten heute als satisfaktionsfähige Demokraten gelten. Das eigentliche Problem ist also die Verschiebung des politischen Koordinatensystems: Positionen, die früher links waren, sind heute „Mitte“ und solche die früher Mitte waren gelten heute als rechts.
Übrigens kommen so immer wieder auch ehrliche Konservative, obwohl sie sich politisch nicht einen Millimeter bewegt haben, plötzlich in den Ruch des Rechtsradikalismus. Nach rechts werden also Demokraten ins radikale Lager hinausgeschoben, von links werden Radikale ins demokratische Spektrum hineingesaugt. Das ist ein Phänomen, das wir nicht nur in Berlin, sondern mehr oder weniger in ganz Deutschland beobachten müssen.
Sie haben dagegen gefordert, „Linksradikale auch beim Namen zu nennen“.
Juhnke: Ja, denn man darf die Probleme nicht schönreden. Wenn man sich anschaut, in welcher Grauzone sich die den Berliner Senat bildenden Parteien teilweise bewegen, muß man sich nicht wundern, daß es da Abgrenzungsprobleme gibt. Es existiert eindeutig eine Korrelation zwischen dieser Verschiebung der Mitte und der Verharmlosung linksextremer Gewalt.
„Wir wissen, wo du wohnst, wir haben dich im Visier!“
Sie sprechen von „rotem Terror“, der inzwischen in Berlin regiere.
Juhnke: Denken Sie an die Krawalle, die die Stadt am 1. Mai erschüttert haben. Linksextreme Gruppen riefen dabei offen zu sozialen Unruhen auf! Ein Politiker der Linkspartei betätigte sich als Anmelder einer „revolutionären“ und später gewalttätigen Demonstration. Schon im Juni mußten wir dann die gewaltsame Besetzung des Flughafens Tempelhof erleben, wobei, wie schon im Mai, erneut Polizisten verletzt wurden.
Immer weiter schreitet auch die Verstetigung der Verübung von Straftaten im Zuge des von den Linksextremisten ausgerufenen Kampfes gegen die sogenannte „Gentrifizierung“ voran, der bundesweit bereits für Schlagzeilen sorgt. Und ebenso machtlos zeigt sich der Staat gegenüber der seit Jahren anhaltenden, stetig zunehmenden Serie von Brandanschlägen auf Autos.
Angeblich geht es dabei „nur“ gegen sogenannte Nobelkarossen – aber abgesehen davon, daß auch das inakzeptabel wäre, stimmt diese Behauptung längst nicht mehr. Das alles zeigt, daß in Berlin Freiräume für eine kontinuierliche linksextreme Gewalt entstanden sind.
Im Juni wurden Sie selbst Opfer der Gewalt.
Juhnke: Unbekannte hatten die Autos vor meiner Wohnung in Brand gesteckt. In einem Bekennerschreiben nannten sie mich einen „Hardliner“ und „Haßprediger“ und bezichtigen mich unter anderem der „Hetze gegen Linke“.
Wie gefährdet fühlen Sie sich?
Juhnke: Es erzeugt ein Gefühl der Verunsicherung, daß die Terroristen – natürlich war genau das ihre Absicht – quasi in die Privatsphäre eingedrungen sind. Das steckt man nicht so leicht weg.
Ihr Fraktionskollege René Stadtkewitz schilderte 2006 in dieser Zeitung, wie seine Familie bei einem Brandanschlag auf sein Haus nur durch Zufall unverletzt geblieben ist.
Juhnke: Der Kollege Stadtkewitz hatte sich für eine Bürgerinitiative engagiert, die einen Moscheeneubau verhindern wollte. Drei oder vier Minuten später – soll ihm die Feuerwehr bestätigt haben – und seine schlafenden Kinder wären am Rauch erstickt. Natürlich ist mir klar, daß der Anschlag im Juni eine Warnung war: Wir wissen, wo du wohnst, wir haben dich im Visier!
Immer öfter können also auch Unions-Politiker für normale CDU-Positionen zur Zielscheibe linksextremer Gewalt werden?
Juhnke: Egal, ob es sich um Politiker der CDU oder anderer Parteien handelt: Der Punkt ist, daß das – wenn wir nicht einschreiten – potentiell der Weg nach Weimar ist.
Nach Ihrer Ansicht trägt SPD-Innensenator Ehrhart Körting ganz konkret die Verantwortung für das Anschwellen der Gewalt.
Juhnke: Ich bin mir sicher, daß Herr Körting persönlich keinerlei Sympathien für Linksradikale hat – aber er hat jahrelang die Gefahr nicht ernst genommen. Es schlägt dem Faß den Boden aus, wenn er etwa im Juni 2008 Sätze sagte wie: „Gelegenheit macht Vandalismus.
Man sollte als Besitzer teurer Karossen nicht provozierend parken.“ Oder wenn sein Polizeichef und Parteifreund Dieter Glietsch zuvor öffentlich kundtat, man könne besserverdienenden Autobesitzern „nur abraten, nachts auf der Straße zu parken“. Das ist eine Bankrotterklärung! Im Klartext heißt das, man hat in Berlin aufgegeben.
Das Desinteresse in den Berliner Behörden scheint weit verbreitet. Gerade hat Berlins LKA-Chef für erneute Empörung gesorgt, mit dem Vergleich, ein teures Auto hier offen zu parken sei wie „einen Brillantring unter einer Straßenlaterne liegenzulassen“, da müsse man sich später „dann nicht wundern“.
Juhnke: Ich denke, daß ihm der Satz verunglückt ist. Sicher war auch sein Fehler, sich hinterher nicht deutlich genug davon zu distanzieren. Denn in der Tat, wenn er es so gemeint hat, wäre das ein weiterer Skandal, denn das hieße im Grunde erneut: Liebe Bürger, nach Einbruch der Dunkelheit seid ihr auf euch selbst gestellt!
Was steckt hinter der Strategie, massenhaft Autos anzuzünden?
Juhnke: Spätestens 2005 ist das Problem akut geworden. Bis heute wurden über 1.000 Autos in Berlin angesteckt, wobei die Quote bis Ende dieses Jahres wohl auf das Zehnfache von 2005 steigen wird. Wir vermuten, daß dahinter längst nicht mehr allein nur Linksextremisten stecken.
Aber genau das ist das Problem: Der rot-rote Senat hat dem Treiben jahrelang mehr oder weniger tatenlos zugesehen. Darüber ist das ganze „schick“ geworden. Wenn aber etwas erst einmal „schick“ geworden ist, wird man dem nicht mehr Herr. Inzwischen gibt es wohl etliche Trittbrettfahrer, für die das eine Form von Freizeitspaß oder Mutprobe ist.
„Nachsicht für linke Gewalt führt zu mehr Gewalt allgemein“
Also ähnlich wie bei den 1.-Mai-Krawallen?
Juhnke: Genau, auch die begannen 1987 als linksextremer Gewaltausbruch und sind inzwischen zu so etwas wie einem „Volkschaostag“ geworden, bei dem viele Jugendliche meinen, es sei Tradition, mal Straßenschlacht spielen zu dürfen. Man muß sich diesen Prozeß vor Augen halten: Am Anfang kommt der Gewaltvorstoß aus der linksextremen Ecke.
Politiker und Teile der Öffentlichkeit zeigen Verständnis für die „gerechten“ Motive. Folge: Der Staat schaut weg oder beschränkt sich aufs „Deeskalieren“, gibt also der Gewalt die Möglichkeit, sich zu etablieren. Diesen Freiraum nutzen aber irgendwann nicht mehr nur Linksextreme, sondern auch andere, die merken, daß der Staat nicht mehr absolut auf dem Gewaltmonopol besteht.
Fazit: Wer meint, er müsse linksextreme Gewalttäter schonen, weil er aus politischer Nähe Sympathie mit ihren übergeordneten Zielen hat, der leistet der Erosion der Ächtung von Gewalt in der Gesellschaft insgesamt Vorschub! Denn das Vorbild macht Schule und springt auf immer weitere Bereiche der Gesellschaft über.
In Frankreich ist dieser Zustand schon viel weiter fortgeschritten.
Juhnke: Ich weiß nicht genau woher die Mode kommt, Autos anzuzünden. Aber es ist in der Tat gut möglich, daß sie aus Paris übernommen wurde, wo das Problem bekanntlich in noch viel gewaltigerem Ausmaß besteht. Es ist durchaus vorstellbar, daß wir in Berlin das Problem nur haben, weil es die Franzosen zuvor nicht in den Griff bekommen haben und die Idee als „Erfolgsmodell“ auch bei uns Schule gemacht hat.
Und das gleiche kann man nun auch in Deutschland beobachten, denn nach jüngsten Meldungen scheint das Phänomen nach Hamburg überzuspringen. Wenn dem so wäre, dann wären die Behörden in Berlin auch verantwortlich für die sukzessive Ausbreitung des Problems in anderen deutschen Großstädten, da sie den Infektionsherd Berlin nicht entschlossen genug eingedämmt haben.
Die linksextreme Szene Berlins sieht sich als Sieger, in Veröffentlichungen wertet sie ihre Erfolge bereits als Beweis, daß ihre Bezirke nicht mehr „regierbar und kontrollierbar seien“.
Juhnke: Partiell ist das der Fall! Tatsächlich scheinen wir hier bereits No-Go-Areas zu haben, nämlich für Demokraten, wenn man an die Erlebnisse der CDU im Mai in Kreuzberg oder an die Flucht Innensenator Körtings vor Monaten aus einer Kneipe vor einer Meute Linker denkt, bzw. für bestimmte bürgerliche Lebensformen, die in einigen Kiezen mit Angriffen zu rechnen haben.
Sie haben inzwischen einen „Aufstand der Anständigen“ gegen Linksextremismus gefordert.
Juhnke: Ja, denn es gibt eine Kumpanei zwischen Teilen der Gesellschaft und dem Linksextremismus. Der Berliner Polizeichef Glietsch, wie gesagt SPD-Mitglied, zog im Juni angesichts seiner Erkenntnis, daß allein mit der Polizei „bei der Bekämpfung des gewaltbereiten Linksextremismus auf Dauer kein durchgreifender Erfolg zu erzielen ist“, das höchst bemerkenswerte Fazit:
„Ich würde mir wünschen, daß die Abgrenzung zum gewaltbereiten Linksextremismus in der Gesellschaft und in der Politik genauso konsequent betrieben wird wie gegen den Rechtsextremismus.“ Das sagt doch alles! Und wenn sein Chef, Herr Körting, inzwischen einräumt, daß die Gewalt von links genauso zu betrachten sei wie die Gewalt von rechts, dann ist das ein enormer Fortschritt! Denn so eine Aussage hätte er – noch vor Wochen! – vehement verneint.
Warum reden beide plötzlich so?
Juhnke: Weil die Serie von Brandanschlägen Polizei und Senat vorführt, ihr wachsendes Ausmaß die Sicherheitsbehörden inzwischen der Lächerlichkeit preisgibt.
Also ist es nicht die Einsicht in die Gefahrenlage, sondern die Angst um den Ruf?
Juhnke: Dessen bin ich mir sicher, leider. Letztlich ist es nichts als notgedrungener Populismus. Ohne die Presse und – wenn ich das sagen darf – das unermüdliche Aufgreifen des Themas durch die CDU-Opposition würde der Senat versuchen, das Problem weiter auszusitzen.
Welche Rolle spielt der „Kampf gegen Rechts“?
Juhnke: Nur insofern, als die Fokussierung auf den Rechtsextremismus dazu führt, daß der Blick vom Linksextremismus abgelenkt wird. Denn so wie der Kampf gegen Rechts unter dem Einfluß der Linken betrieben wird, nämlich antifaschistisch und nicht antitotalitär, führt er unterschwellig zur Verharmlosung des Linksextremismus, als legitimer Gegenkraft zum Rechtsextremismus.
Das kann aber keine demokratische Position sein! Zu diesem Problem zählt auch, daß die Linke versucht, mit überlauter Schelte gegen demokratische Konservative davon abzulenken, wo die tatsächliche Aufweichung zum Extremismus stattfindet, nämlich am linken Rand! Etwa die voraussehbaren Angriffe auf mich, wenn ich mich in Ihrer Zeitung, die meines Erachtens nach fest auf dem Boden des Grundgesetzes steht, äußere.
Müßten Sie da aber nicht auch Ihre eigene Partei kritisieren, denn diese Instrumentalisierung des „Kampfs gegen Rechts“ wird in der CDU doch gar nicht begriffen?
Juhnke: Ich kann nicht für die ganze Union sprechen, sondern nur für die Berliner CDU. Da ist diese Erkenntnis aber schon weit fortgeschritten.
Es kann Ihnen nicht verborgen bleiben, wie einseitig sich die Union insgesamt verhält: Vom „Grillen gegen Rechts“ durch Ortsverbände bis zum von der CDU-geführten Bundesregierung finanzierten „Kampf gegen Rechts“?
Juhnke: Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, daß die Berliner Union da schon weiter ist, weil wir als Landesverband eines urbanen Zentrums, wo der Linksextremismus grassiert, eher sensibilisiert sind. Die Union ist aber eine Partei, die vor allem auch in ländlichen Gebieten stark ist, wo die Wechselwirkungen zwischen linker Gewalt, Linksextremismus und Kampf gegen Rechts nicht so zutage treten.
Deutsche Gesetze als einzig legitime Ordnung
Ob durch „Kampf gegen Rechts“-Gelder oder etwa über die Bundeszentrale für politische Bildung, immer wieder unterstützt die Bundesregierung aktiv auch linksradikale Projekte. Das ist keine Frage von Stadt und Land.
Juhnke: Nun, ich bin als Landespolitiker mit diesen Bundesthemen nicht so eng vertraut. In Berlin werden wir uns jedenfalls jede Mühe geben, solche Verquickungen bei Landesmitteln aufzudecken.
Quantitativ ist die Ausländergewalt höher als die der Linksextremisten – diskutieren wir also hier eigentlich die richtige Frage?
Juhnke: Sie stellen sicher auf die Fälle ab, wo sich bei der versuchten Festnahme von Personen aus Migrantenkreisen spontan eine Zusammenrottung ergibt, mit dem Ziel, die Polizisten unter Druck zu setzen und die Gefangennahme zu verhindern bzw. Gefangene zu befreien.
Das ist leider ein in jüngster Vergangenheit häufiger auftretendes Problem. Auch auf diesem Feld ist es erforderlich, daß wir deutlich machen, daß es nur eine legitime Ordnung geben kann: nämlich unsere deutschen Gesetze.
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Dr. Robbin Juhnke ist innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, dem Parlament des Landes Berlin. Geboren wurde der Doktor der Betriebswirtschaft 1967 in der Hauptstadt.
JF 39/09