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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Wer nicht hören will …

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Eigentlich wollte er nur Weihnachtsgeschenke für seine Kinder kaufen. So klapperte der Arzt Heinrich Hoffmann in der Vorweihnachtszeit des Jahres 1844 Frankfurts Buchhandlungen ab. Doch nichts gefiel ihm, nichts war gut genug für den Nachwuchs. Also kaufte er ein leeres Schreibheft und begann, ein Bilderbuch zu zeichnen – den „Struwwelpeter“. Ein Welt-Bestseller war geboren.

Ob die Geschichte wirklich stimmt, ist gelegentlich bezweifelt worden – sie stammt aus Hoffmanns „Lebenserinnerungen“. In jedem Fall ist sie schön. Und so wollte es der Erzähler, der sich als erster mit einer Mischung aus Bildern und Texten an ein kindliches Publikum wandte. Weltberühmt wurden der Dau-menlutscher, der fliegende Robert, der Hans-Guck-in-die-Luft und das kleine Paulinchen. Millionenfach brachten sie Kinderaugen zum Leuchten, und manches Großmutterherz schlug ebenfalls schneller, wenn sie abends aus dem Struwwelpeter vorlas.

Zum 200. Geburtstag Heinrich Hoff-manns (1809–1894) will nun in Frankfurt am Main eine Ausstellung die Arbeit des großen Deutschen würdigen und überdies Hoffmanns Einfluß auf die zeitgenössische Literatur untersuchen.

Dabei werden auch weithin unbekannte Details deutlich: so die vielen anderen Werke, die Hoffmann neben seiner Arbeit als Arzt schrieb. Etwa „Die Mondzügler“, eine Satire auf Hegels Naturphilosophie. Oder „Bastian der Faulpelz“ und „Prinz Grünewald und Perlenfein“, weitere Bilderbücher, die aber die Auflagen des Struwwelpeter nie erreichen konnten.

Ohne das berühmte Bilderbuch wären sicher auch Hoffmanns politische Aktivitäten vergessen: Im Vorparlament der Paulskirche zählte der Erzähler zu den zehn von der Stadt Frankfurt gewählten Mitgliedern.

Doch als seine „Lebensaufgabe“ sah er weder die „poetische Produktion“ noch die Politik, sondern den Arztberuf. Zunächst praktizierte er an einer Armenklinik. Dann gründete er als Leiter die „Anstalt für Irre und Epileptische“ in Frankfurt/M., die im Volksmund „Irrenschloß“ genannt wurde – ein modernes Krankenhaus, in dem Hoffmann sich bis zu seiner Pensionierung für eine menschliche psychiatrische Versorgung der Kranken einsetzte.

Sein Krankenhaus wurde abgerissen – der Struwwelpeter aber ist unsterblich. Dabei bekennt der Bilderbuch-Autor, daß viele „Struwwelpeter“-Episoden nur als ein Nebenprodukt seiner ärztlichen Arbeit entstanden. Etwa der Langhaarige, um ängstliche Kinder abzulenken – weil sie sich von ihm nicht die Temperatur messen lassen wollten. So schuf Hoffmann den Struwwelpeter auch als eine Art gezeichnete Sprechstundenhilfe.

Nach dieser „Sprechstundenhilfe“ hat heute die Germanistik eine eigene literarische Gattung benannt: die „Struwwelpetriaden“. Gemeint sind Parodien, Nachdichtungen oder Bearbeitungen des Hoffmannschen Werks, von denen es so viele gibt wie von kaum einem anderen. Dabei tauchen bisweilen auch recht abstruse Kontrafakturen auf: „Struwwelhitler“, „Punkerpeter“, „Struwwelliese“ oder „Motor Car Peter“ – und sie alle erschöpfen oder reiben sich an der nachhaltig-drastischen Wort-Bild-Wirkung der Hoffmannschen Geschöpfe. Man denke an den Schneider im „Daumenlutscher“, der mit seiner scharfen Schere den bösen Buben straft: „Als die Mutter kommt nach Haus, / sieht der Konrad traurig aus. / Ohne Daumen steht er dort, / die sind alle beide fort.“

Mit dem Aufkommen pädagogischer Experimente rückte auch der Struwwelpeter ins Visier der Kritik. Im Rahmen der sogenannten Reformpädagogik brachte Fried Stern 1914 seine Struwwelpetriade heraus, die sich gegen re-pressive Erziehungsmethoden richtete. Ihm konnten Fingernägel und Haare gar nicht lang genug sein. Den langhaarigen Bengel auf der Titelseite versah er mit einem sakralen Kranz, der gleichsam eine würdige Anmutung vermitteln sollte. So sollten „natürliche Kinder“ aussehen.

Für die 1968er war der Struwwelpeter geradezu eine „exemplarische Feindfigur“ als Inbegriff „Schwarzer Pädagogik“ (Katharina Rutschky). Auch Wilhelm Buschs „Max und Moritz“ und Grimms Märchen fielen diesem reformpädagogischen Fallbeil zum Opfer – nicht jedoch den vielen Elternpaaren, die Hoffmanns und Buschs Werke für ihre Kinder unverändert kauften. Der „Anti-Struwwelpeter“, den F. K. Waechter dann 1970 zum antiautoritären Vorbild erhob, liegt heute in der Verkaufsrangliste bei Amazon weit abgeschlagen hinter dem Original.

Derzeit scheinen die Verfasser von Struwwelpetriaden mit antiautoritärem Gezänk kaum noch Schwierigkeiten zu haben: Geradezu einfühlsam beschreibt Wilfried von Bredow in seinem neuesten Buch „Lola rast“ die üblichen kindlichen Regelverstöße und ihre Folgen. Seine Heldin Lola läßt er allerlei Unfug machen, durch Pfützen rasen, Damen bespritzen, Mülltonnen umwerfen und Kellner ärgern. So kommt sie zur Ampelkreuzung – und von Bredow formuliert fast wie Hoffmann: „Ja nun, die Ampel stand auf Rot./ Wer weiterrast, ist eben tot“.

An Heinrich Hoffmann werden sich noch manche Autoren abarbeiten. Bedeutsamer aber wäre es, wenn sein Titelheld weiter lehrreich bleibt – und für manchen wieder wird.

Die Ausstellung „Peter Struwwel – Heinrich Hofmann“ ist bis zum 21. September im Historischen Museum, Saalgasse 19, in Frankfurt am Main täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 21 Uhr, zu sehen. Der Eintritt kostet 6 Euro. Telefon: 069 / 21 23 55 99

Die Ausstellung „Struwwelpeters Nachfahren. Starke Kinder im Bilderbuch der Gegenwart“ ist bis zum 26. September in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main zu sehen.

Wilfried von Bredow: Lola rast und andere schreckliche Geschichten. Klett Kinderbuch, Leipzig 2009, gebunden, 32 Seiten, farbig illustriert, 13,90 Euro

Foto: Struwwelpeter nach der ersten Fassung von 1845: Heinrich Hoffmanns Werk hat über Generationen – bis heute – weithin Erziehungswerte festgestellt, Böses und Gutes unterschieden und Grenzen gesetzt. Dort, wo es notwendig war, dort mußte in der Kindererziehung auch Strafe sein – für frühere Generationen eine pure Selbstverständlichkeit. Insofern hat der erfolgreiche Erzähler Erziehungsmuster beschrieben, die sich bewährt hatten.

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