Der Nato-Oberfehlshaber in Afghanistan, US-General John Craddock, soll seinen Truppen die Weisung erteilt haben, Drogenhändler gezielt zu töten, auch wenn keine klaren Erkenntnisse vorliegen, daß sie die Aufständischen im Lande unterstützen. Die Empörung, die er damit in Deutschland ausgelöst hat, ist angesichts des heraufziehenden Bundestagswahlkampfes verständlich, aber letztlich unbegründet.
Craddock ging es mitnichten darum, ein Zeichen zu setzen, daß der Geist der Ära George W. Bush fortlebt. Er hat vielmehr nur eine etwas forsche Schlußfolgerung aus der Entscheidung gezogen, die von der Nato bereits im Herbst des vergangenen Jahres getroffen wurde. Angesichts der zunehmenden Stärke der Taliban, so die Auffassung des Budapester Gipfeltreffens im Oktober 2008, gelte es, ihre Finanzierungsquellen zum Erliegen zu bringen, und diese seien nun einmal in erster Linie die Erträge, die mit dem Schlafmohnanbau erzielt werden.
Diese Argumentation erscheint zwar simpel und daher einleuchtend, verkennt aber die wirklichen Zusammenhänge des afghanischen Gemeinwesens. Es sind nicht die Taliban höchstpersönlich, die Schlafmohn anbauen oder für dessen Verarbeitung und Transport sorgen. Diesen Aufgaben widmen sich vielmehr tendenziell eher unpolitische Privatunternehmer. Da viele von ihnen nicht über das nötige Kapital verfügen, um ihren landwirtschaftlichen Betrieb selbst zu schützen, zahlen sie Provisionen an jene, die ihnen glaubhaft versichern, daß sie andernfalls mit Repressalien zu rechnen hätten. Wo die Taliban genug militärische Präsenz zeigen, um diese Botschaft mit Nachdruck zu hinterlegen, sind mitunter sie die Geschäftspartner. In anderen Regionen übernehmen Gruppen, die im Lager der Kabuler Regierung und damit auch auf der Seite der internationalen Isaf-Schutztruppe stehen, diese Aufgabe.
Würde die Nato tatsächlich gar im Sinne Craddocks ihren Einsatz auf die Bekämpfung von Drogenanbau und -handel ausweiten, entzöge sie somit auch jenen dringend benötigte Ressourcen, deren Macht sie doch eigentlich stützen und ausweiten soll. Darüber hinaus nähme der zivile Wiederaufbau Afghanistans Schaden in einem dramatischen Ausmaß. In der internationalen Arbeitsteilung hat sich das Land am Hindukusch mit einem Weltmarktanteil von über 95 Prozent allein in der Schlafmohnproduktion behaupten können. Wie soll es jemals unabhängig von Hilfszahlungen der Staatengemeinschaft werden, wenn man ihm seine im fairen Standortwettbewerb erworbenen Trümpfe mit Gewalt aus der Hand schlägt?