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Der Mann für deutsche Themen

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Als sein Debütfilm „Herbstmilch“ Anfang 1989 in den westdeutschen Kinos startete, war Regisseur Joseph Vilsmaier bereits fünfzig Jahre alt; am 24. Januar wird er nun siebzig. Schon seit 1961 war der gebürtige Münchner in der Filmbranche tätig, ab 1970 arbeitete er vorwiegend fürs Fernsehen als Kameramann („Tatort“-Folgen, Serie „Auf Achse“). Für seinen Wechsel ins Regiefach wählte Vilsmaier einen denkbar unspektakulären Stoff. Während eines Aufenthalts im Rottal, wo er aufgewachsen ist, lernte er die 1919 geborene Bäuerin Anna Wimschneider kennen, die gerade eben ihre in kunstloser Sprache verfaßten Lebenserinnerungen veröffentlicht hatte. Ihr Bericht über das harte Leben auf dem Land während der dreißiger und vierziger Jahre enthielt kaum Ungewöhnliches. Gerade die Durchschnittlichkeit von Wimschneiders Biographie machte sie jedoch zu einer exemplarischen Figur ihrer Generation: Dies war ein Schicksal, wie es Hunderttausende selbst erlebt hatten, wie es aber bisher kaum im deutschen Film erzählt worden war. Bereits 1985 hatte Edgar Reitz’ elfteilige TV-Serie „Heimat“ beim westdeutschen Publikum diesen Nerv getroffen. Hier wurde die eigene Geschichte reklamiert, verortet, wiedererinnert und wiedererzählt, jene Geschichte, die nach dem traumatischen Bruch des Zweiten Weltkrieges in den Untergrund der oral history verbannt worden war. Reitz’ Konzept des realistischen Neo-Heimatfilms ebnete den Weg für „Herbstmilch“, der zu einem der erfolgreichsten Filme des Jahres wurde und Anna Wimschneiders Autobiographie an die Spitze der Bestsellerlisten katapultierte. In „Herbstmilch“ stimmte jedes Detail: die Schauplätze, der Habitus, die Gesichter, die Sprache der Menschen. Nach Jahrzehnten der „Vergangenheitsbewältigung“, die von den Achtundsechzigern prosekutorisch ausgeweitet worden war, zeigte „Herbstmilch“ die Kriegsgeneration in ihrer Lebenswelt, in der Nationalsozialismus und Weltkrieg fast schon banale Bestandteile waren. In einer Szene marschiert die erschöpfte, schwangere Anna Wimschneider, die nach Einberufung ihres Mannes die härtesten Arbeiten am Hof allein verrichten muß, zum selbstherrlichen Provinz-Nazi des Dorfes und fordert aufgebracht, doch nun endlich auch einen „Russen“, also einen Fremdarbeiter, geschickt zu bekommen. Aus heutiger Sicht wirkt die Szene zugleich schockierend und komisch. Vilsmaier verurteilt seine Protagonistin jedoch nicht mit den besserwisserischen Zeigefinger des Nachgeborenen, sondern versucht sie aus ihrer Zeit heraus zu verstehen. Auch sein nächster Film, „Rama dama“ (1991), zeigte emphatisch Durchschnittmenschen der vierziger Jahre, die typische Schicksale erleiden: an der Ostfront verschollene Väter und Ehemänner, alleingelassene Mütter, nächtliche Bombenangriffe, „Trümmerfrauen“ und Wiederaufbau. So manchem Kritiker erschien das als dubioser Rückschritt hinter die Errungenschaften des „Neuen Deutschen Films“. Gegenüber motivisch ähnlichen Arbeiten wie Rainer Werner Fassbinders „Die Ehe der Maria Braun“ (1978) oder Helma Sanders-Brahms’ „Deutschland, bleiche Mutter“ (1980) wirkte „Rama dama“ versöhnlich, altbacken, frei von Zynismus und quälender Selbstbefragung.  Vollends zum überwunden geglaubten „Opas Kino“ zurückgekehrt schien Vilsmaier mit „Stalingrad“ (1993), der pünktlich zum 50. Jahrestag der Schlacht erschien und mancherorts als „reaktionäres Machwerk“ verunglimpft wurde. Auch dieser Film war eine Art Wiederan­eignung: Das „Landser“-Subgenre war seit Anfang der sechziger Jahre gänzlich aus den deutschen Kinos verschwunden und durch amerikanische Produktionen ersetzt worden. Bis auf wenige Ausnahmen wie „Das Boot“ gab es seither kaum deutsche Filme, die den Weltkrieg aus der Perspektive der deutschen Soldaten behandelten. „Stalingrad“ griff auf das stereotype Muster von „08/15“ (1954) und „Hunde, wollt ihr ewig leben?“ (1959) zurück: hier der einfache, aber anständige Soldat als verheiztes Frontschwein, in den höheren Rängen dagegen die fanatischen und verbrecherischen Nazis. Eine simplifizierende Regelung, die allerdings bereits in den Fünfzigern einen Spielraum ließ, der heute nicht mehr offen ist. Er erlaubte Vilsmaier, auch die Soldaten der Wehrmacht als Opfer des Krieges und des Regimes zu zeigen. In „Stalingrad“ stieß er allerdings an die Grenzen seiner Kapazität. Gegenüber dem Schauwert des mit Blut, Schnee, Eis, Dreck und Schlamm evozierten Leidens und Krepierens kommen die Charakterzeichnungen und die Dramaturgie zu kurz; das Spektakel erschöpft sich in einer flachen „Krieg ist die Hölle“-Botschaft. „Stalingrad“ leidet wie viele folgende Vilsmaier-Filme an einer unentschlossenen Erzählhaltung. In seinem jüngsten Historiendrama, der TV-Produktion „Die Gustloff“ (JF 10/08), reduziert sich die Tragödie des mit Flüchtlingen vollgepackten Schiffes zur bloßen Hintergrundstaffage eines drögen Melodramas. Einerseits ist Vilsmaier im heimischen Kino der Mann schlechthin für dezidiert „deutsche“ Stoffe: mystische Dramen („Schlafes Bruder“, 1995), alpine Märchen („Bergkristall“, 2004;  „Die Geschichte vom Brandner Kaspar“, 2008), biographische Epen („Comedian Harmonists“, 1997; „Marlene“, 2000), Nationalsozialismus und Holocaust („Leo und Claire“, 2001; „Der letzte Zug“, 2006) . Andererseits ist Vilsmaiers Inszenierung seinen Stoffen selten gewachsen. Er bleibt vor allem ein professioneller TV-Kameramann, der als Regisseur dem Konventionellen verhaftet ist und letztlich wenig zu sagen hat: Selbst seine Kinofilme sehen immer so aus, als wären sie fürs Fernsehen gemacht, sind schlimmstenfalls nicht mehr als perfekte „Ausstattungsfilme“ mit „schönen Bildern“, ohne dramaturgisches Herz und wahrhaft künstlerischen Zugriff. Die Ausnahme bilden seine beiden ersten Filme: „Herbstmilch“ und „Rama dama“, die vielleicht einzigen in seinem Werk, die wirklich gemacht werden mußten. Foto: Jospeh Vilsmaier bei Dreharbeiten zu „Die Geschichte vom Brandner Kapsar“: Konventionell

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Marc Jongen, ESN Fraktion
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