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Triumph emotionaler Feindbilder

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Unter den Ressentiments gehört der deutsche Selbsthaß wohl zu den produktivsten. Nicht nur hat er Romane, Gemälde, Historiographien und Gedichte hervorgebracht“, schreibt Miriam Lau in der Zeitschrift Merkur (September/Oktober 2004) über die motivierende Kraft eines Feindbildes. „Das Land war mir widerwärtig in höchstem Grade, und ich fand, es sei der Morgenthau-Plan eine vernünftige und auch sehr milde Lösung“, zitiert Jörg Lau den Schriftsteller Jean Améry in der gleichen Zeitschrift. Ähnliche Worte sind jetzt im Nürnberger Staatstheater zu hören: „Dieser schreckliche Ur- und Vor-Nazi Dürer, der die Natur an die Leinwand gestellt und getötet hat, dieser schauerliche Dürer … dieser Nürnberger Ziselier­künstler“. Auch für die Regierung Österreichs finden sich interessante Töne: „Wir haben die widerwärtigste Regierung, die man sich vorstellen kann, die verheucheltste, die boshafteste, die gemeinste und gleichzeitig dümmste …“. Und so weiter und so fort. Wer feuert solche Schimpfkanonaden auf Gott und die Welt ab? Der Musik­kritiker Reger in der Komödie „Alte Meister“ von Thomas Bernhard. Reger, ein Mann von 82 Jahren, seufzt und schimpft: „Dieses fortgesetzte, ja schon krankhafte Selbstbejammern ist mir unerträglich, aber ich komme nicht heraus.“ Besonders schlimm wurde es für Reger, als seine Frau starb. Jetzt quälen ihn Alpträume. Die einzige Lebenskraft zieht er aus seinen Besuchen des Kunsthistorischen Museums Wien. Dort sitzt er jeden zweiten Tag auf der Bank und betrachtet das Bild „Weißbärtiger Mann“ von Tintoretto. Je genauer er hinsieht, desto deutlicher erkennt er die Schwachstellen des Bildes, um so feindlicher wird seine Haltung. Dann verwandelt er sich in einen brodelnden Vulkan und spuckt seine bissige Lava aus. Jeder kriegt sein Fett weg – die alten Meister der Malerei, die Dichter, Philosophen und Komponisten, aber auch Kunsthistoriker („kunst­historische Dreckschweine und Kunstvernichter“), Wiener Toiletten und Politiker. Schließlich mutiert Reger zu einer Wiederholungsmaschine, es folgen endlose Aufzählungen, eine Litanei der immer gleichen Argumente und Schmähungen. Der geneigte Leser könnte freilich einwenden: „So etwas kann man in Nürnberg in so manchem Bierstübla erleben – dafür muß man net ins Theater“. Richtig, deswegen läßt der Regisseur Frank Behnke auch vier Schauspieler sprechen, damit es nicht zu monoton und atemlos klingt. Die vier Stimmen agieren kunstfertig für Reger und seinen Bericht­erstatter Atzberger. Und zum Luftholen für Sprecher und Zuschauer erklingen einige Klavierstücke von Mozart („aufgeblasene Ungeheuerlich­keiten“), eine Melodie von Beethoven („nicht mehr auszuhalten“) und ein Walzer von Johann Strauß. Regisseur Frank Behnke brachte von der 310seitigen Komödie (Buchfassung) etwa 70 Seiten auf die Bühne. Er wählte jene Seiten aus, so scheint es, die besonders dumpf und schroff daherwirbeln. Darüber hinaus gehen manchmal die Zwischentöne verloren, wenn die vier Herren (Jochen Kuhl, Rainer Matschuck, Michael Nowak und Hannes Seebauer) im Chor die Parolen klopfen. Das Paradoxe von Regers Thesen ist leicht zu überhören: „Die Kunst ist das Höchste und das Widerwärtigste gleichzeitig“, „Einmal sind wir Redekünstler, einmal Schweigekünstler“ oder „Von allem, was wir genau studieren, sind wir am Ende enttäuscht“. Reger plädiert für eine präzise und radikale Analyse der Dinge – und kommt zum Ergebnis, „daß alle diese sogenannten Alten Meister immer doch nur ein Detail ihrer Bilder wirklich genial gemalt haben, kein einziger von ihnen hat hundertprozentig ein geniales Bild gemalt“. Die nächsten Aufführungen finden statt am 22. Januar, 4. und 25. Februar sowie am 18. März. Kartentelefon: 0 18 01 / 34 42 76 Zum Nachlesen: Thomas Bernhard, Alte Meister, Suhrkamp Verlag 1985

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