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Rechts überholt?

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Zufälle gibt’s. Ausgerechnet am Dienstag vergangener Woche, also an jenem Tag, an dem Papst Benedikt XVI. seine konfliktträchtige Reise in die Türkei antrat, veröffentlichte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine Handreichung unter dem Titel „Klarheit und gute Nachbarschaft – Christen und Muslime in Deutschland“ (siehe den Auszug unten). An Klarheit hat das neue EKD-Papier gegenüber früheren Verlautbarungen der evangelischen Kirche in der Tat gewonnen. Und auch der Grund wird freimütig eingeräumt: Habe, so heißt es in der Einleitung, die evangelische Kirche ihre Verhältnisbestimmung zum Islam in den sechziger und siebziger Jahren noch vornehmlich als „Gesellschaftsdiakonie“ verstanden, sei erst „im Laufe der Zeit“ das „Ausmaß der Integrationsaufgabe“ bewußt geworden: Eine „andere Religion“ und eine „andere Kultur“ entfalteten sich mitten in deutschen Städten und Dörfern. Daß es vor allem protestantische Theologen waren, denen das so spät bewußt geworden ist, wird zwar diskret verschwiegen, aber immerhin: Das Problem ist erkannt und benannt. Zwischen der letzten, noch wesentlich laxeren Handreichung der EKD zum Islam aus dem Jahre 2000 („Zusammenleben mit Muslimen“) und der nun vorgelegten liegen die weltweiten Terroranschläge seit dem 11. September 2001, der Kopftuchstreit, die Debatte über die Zulässigkeit des Schächtens und die zunehmende Kritik am christlich-islamischen Dialog. Sie alle haben zu einer deutlichen Klimaveränderung zwischen beiden Religionen geführt. Das schlägt sich auch unmittelbar in den Empfehlungen nieder, die die EKD nun für den Umgang mit Muslimen gibt. Von „Spannungsbereichen“ der gesellschaftlichen Integration und des praktischen Zusammenlebens ist da die Rede. Hatte die Handreichung des Jahres 2000 gemeinsame Gebete von Christen und Muslimen noch nicht rundheraus abgelehnt, sondern von „Begegnung“ und „Konvivenz“ als „Wesens­merkmalen der Kirche“ gesprochen, ist es nun die „Mission“, die – im Einklang mit der kirchlichen Tradition – als zum Wesen der Kirche gehörig benannt wird und gemeinsame Gebete mit Muslimen kaum noch möglich erscheinen läßt. Ja, man staunt: Der gemeinsame „Glaube an einen Gott“ – bislang Grundlage aller interreligiösen Gespräche zwischen den monotheistischen Religionen – trage angesichts des christlichen Bekenntnisses zum dreieinigen Gott nicht weit: „Die Verständigung über Gemeinsamkeiten darf (…) nicht dazu führen, daß man sich ausschließlich auf die konvergierenden Aussagen der jeweiligen Religion beschränkt und die Unterschiede beiseite läßt. (…) Es würde nicht der Begegnung unterschiedlicher Religionen entsprechen, sondern eine allgemeine religiöse Gemeinsamkeit zur Sprache bringen, die sich unterschiedlicher Religionen auszugsweise bedient.“ Gerade letztere Aussage bezeugt den protestantischen Sinneswandel in der Haltung gegenüber dem Islam. Darüber hinaus beinhaltet sie jedoch auch ein nicht zu unterschätzendes ökumenisches Kalkül gegenüber der katholischen Kirche. Denn während die evangelische Kirche sich anschickte, die Rede vom „Glauben an einen Gott“ als untauglich für die interreligiöse Verständigung abzustufen, war es kein Geringerer als Papst Benedikt XVI., der bei seiner Ankunft in der Türkei mit ebendieser Formel die Mißhelligkeiten auszubügeln suchte, die seit seiner Regensburger Vorlesung das christlich-islamische Verhältnis belasteten. Dabei ließ es Benedikt durchaus darauf ankommen, in einem populären, ja populistischen Sinne mißverstanden zu werden. Denn die Rede vom „Glauben an einen Gott“ hat im Zusammenhang der römisch-katholischen Lehrtradition einen anderen Zungenschlag als in der evangelischen. Für die griechische Antike, in der sich der biblische Glaube beheimaten mußte, und mehr noch für die Theologie des lateinischen Mittelalters war die Vorstellung von der „Einheit der Wirklichkeit“ so selbstverständlich, daß es schwerfiel, im Gottglauben der Religionen etwas anderes als den – freilich verkürzten und „unwissenden“ (Apg. 17,23) – Glauben an den dreieinigen Gott des Christentums zu erblicken. Diese Vorstellung konnte von den Reformatoren an der Schwelle zur Neuzeit nicht mehr nachvollzogen werden. Sie findet sich gleichwohl noch in den Lehrdokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils, insbesondere in der Erklärung „Nostra aetate“ über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, denen ebenfalls eine gewisse Erkenntnis des „alleinigen Gottes“ zugebilligt wird. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht mehr, daß ein gewisser Joseph Kardinal Ratzinger im Jahre 2000 in einer Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre von der „Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche“ sprechen konnte. Diese „Einzigkeit“ – nicht: Einzigartigkeit – war es, die Benedikt XVI. auch in der Türkei zur Sprache bringen wollte. Wenn man angesichts der jüngsten Äußerungen des Rates der EKD einerseits und Papst Benedikts XVI. andererseits also zu dem Eindruck gelangt, die EKD wolle in ihrer Abgrenzung vom Islam den deutschen Papst gewissermaßen noch „rechts überholen“, so trifft das nur mit Einschränkungen zu. Denn mindestens ebenso wichtig wie ihre Stellung zum Islam ist der evangelischen Kirche derzeit ihr selbstbewußtes Auftreten gegenüber Rom. Das hat seit der Wahl Ratzingers zum Papst im vergangenen Jahr nicht unerheblich gelitten, war sie doch von seiten der evangelischen Kirche als Bestätigung seines (vermeintlich) konservativen Kurses und als Rückschlag für die Ökumene gewertet worden. Seither bemüht sich die evangelische Kirche, sich mit einem deutlichen Profil in der Öffentlichkeit darzustellen. Für das Gran evangelischer Restökumene hat sich unterdessen ein klangvoller Name gefunden: Profilökumene. War es also wirklich nur Zufall, daß die EKD ihr islamkritisches Papier just an jenem Tage veröffentlichte, als der deutsche Papst sich in heikler Mission in die Türkei begab? Wohl kaum. Wissend, daß Benedikt aus politischen wie theologischen Gründen gar nicht anders konnte, als auf die christlich-islamischen Gemeinsamkeiten zu verweisen, war es für die protestantischen Profilökumeniker ein leichtes, in diese offene Flanke zu stoßen. Ob die evangelische Kirche mit ihrer Handreichung dem christlich-islamischen Konflikt näher kommt als Benedikt, bleibt trotz aller Klarheit abzuwarten. Immerhin hat das Essener Zentrum für Türkeistudien in einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Studie gezeigt, daß zwar der islamistische Terror, nicht aber der Islam selbst als gesellschaftliche Bedrohung empfunden wird (siehe Seite 4). Diese Empfindungen mag der überraschend erfolgreich heimgekehrte Benedikt ein wenig aufgefangen haben. Ob und wie sich dagegen das EKD-Papier im Alltag der migrationspolitisch engagierten Gemeinden niederschlägt, muß sich erst noch erweisen. Foto: Glauben an einen Gott: Papst Benedikt XVI. und islamische Geistliche in der Blauen Moschee in Istanbul

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