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Marc Jongen, ESN Fraktion

Gelegenheit macht Diebe

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Eine altdeutsche Weisheit wußte schon immer: „Die kleinen dieb man henkken thut, vorn großen zeucht man ab den hut.“ Dieser Weisheit schien sich der italienische Justizminister auch anzuschließen. In Anbetracht des Prozesses um massive Korruption im italienischen Fußball hatte sich Justizminister Clemente Mastella mit dem Vorschlag einer Begnadigung der beteiligten Personen an die Öffentlichkeit gewandt. Das ist auch deswegen skandalös, wenn man sich vor Augen führt, welchen Schaden Korruption und Wirtschaftskriminalität anrichten kann. Allgemeiner Werteverfall als Ursache Nach einer aktuellen Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG waren von allen im Jahr 2005 begangenen Straftaten zwar nur 1,4 Prozent dem Bereich Wirtschaftskriminalität zuzuordnen. Diese Wirtschaftsdelikte machten aber die Hälfte des Gesamtschadens aller erfaßten Delikte aus. Schätzungen des Bundeskriminalamts zufolge lag der durch Wirtschaftskriminalität entstandene volkswirtschaftliche Schaden im vergangenen Jahr bei rund 4,2 Milliarden Euro. Bemerkenswert ist bei den Ergebnissen der Studie vor allem, daß die Dunkelziffer dieser Art der Kriminalität auffallend hoch ist. Sie wird von den befragten Unternehmen auf über 80 Prozent geschätzt. Nach einer Studie der Euler Hermes Kreditversicherung schätzen Unternehmer und Wirtschaftsführer die finanziellen Schäden durch illegale Machenschaften sogar auf bis zu 100 Milliarden Euro pro Jahr. Doch wie hoch die Schäden genau sind, weiß letztlich niemand. Denn neben der Dunkelzifferproblematik von 80 Prozent muß bei Wirtschaftsstraftaten auch folgendes berücksichtigt werden: Bei der einheitlichen statistischen Erfassung ergeben sich Probleme, da es sich bei der Wirtschaftskriminalität nicht um einzelne feststehende Straftaten oder um ein scharf abgrenzbares Deliktsbündel handelt. Nur Straftaten gemäß Paragraph 74c Gerichtsverfassungsgesetz werden als Wirtschaftskriminalität eingestuft. Zur Wirtschaftskriminalität zählen zum Beispiel Insolvenzdelikte, Buchführungsdelikte, Betrug, Untreue, Produktpiraterie, Bestechung, Vorteilsannahme und Insolvenzverschleppung. Relevante Strafnormen sind unter anderem die Abgabenordnung, das Strafgesetzbuch, das Geldwäschegesetz und das Wertpapierhandelsgesetz. Wirtschaftskriminelle Handlungen können grundsätzlich in drei Bereiche aufgeteilt werden: zunächst die klassischen Vermögensschäden, dann die Manipulation von Finanzinformationen oder Jahresabschlüssen und zuletzt die Delikte im Bereich Korruption/ Verstöße gegen das Kartellrecht. Sowohl die KPMG-Studie als auch eine Analyse der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers in Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg bestätigen, daß die häufigsten Delikte klassische Vermögensschädigungen sind; wie Unterschlagung, Diebstahl, Betrug und Untreue. Allerdings verursachen Delikte aus den beiden anderen Kategorien (Manipulation, Fälschungen oder Korruption) meist signifikant höhere Schäden. Doch warum werden Wirtschaftsdelikte überhaupt begangen? Dafür gibt es die unterschiedlichsten Ansätze und Motive. Nach der Untersuchung der Euler-Hermes-Versicherung sehen fast 90 Prozent aller Unternehmen schwindendes Unrechtsbewußtsein als einen Grund für die Wirtschaftskriminalität. Somit wäre der allgemeine Werteverfall ein Argument bei der Suche nach den Ursachen. Als weitere Ursachen werden die zunehmende Internationalisierung und die Unternehmensgröße genannt. 60 Prozent der Fälle werden zufällig entdeckt Laut KPMG geben die befragten Unternehmen als Gründe für die steigende Zahl von Wirtschaftsdelikten in erster Linie die zunehmenden Einkommensgefälle in der Gesellschaft an. Weiterhin gebe es ein unterschiedliches Werteverständnis auf internationalen Märkten und abnehmende Loyalität zwischen Mitarbeitern und Unternehmen. Dahinter folgen erst Jobunsicherheiten sowie gesteigerte Konsumwünsche des Einzelnen. Nach Angaben von Euler Hermes sind für zwei Drittel der Unternehmen Schwierigkeiten auf privater Ebene verantwortlich für das Fehlverhalten: Schulden, Ehekrisen, Spiel-, Drogen-, Alkohol- oder Geltungssucht führen demnach in die Kriminalität. Die Motivation für eine kriminelle Handlung kann aber sehr differieren: Bei den klassischen Vermögensschäden wie zum Beispiel Diebstahl steht die unmittelbare Bereicherung im Vordergrund. Bei einer Manipulation von Finanzinformationen liegt das Hauptaugenmerk darauf, bestimmte Kennzahlen zu erreichen und als guter Manager dazustehen. Bei Verstößen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen ist die Motivation der Täter häufig, zum Wohl des Unternehmens zu handeln. Zahlreiche Unternehmen werden jedes Jahr Opfer von Wirtschaftskriminalität. Jedes zweite Großunternehmen war laut der KPMG-Studie in den letzten Jahren von Wirtschaftskriminalität betroffen. Dabei läßt sich die einfache Formel aufstellen: Je größer das Unternehmen, desto häufiger kriminelle Handlungen in oder gegenüber diesem Unternehmen. Waren von den großen Unternehmen in den letzten drei Jahren nach eigenen Angaben 55 Prozent betroffen, sind es bei den mittleren Unternehmen 31 Prozent. Bei den kleineren Unternehmen seien 19 Prozent Opfer krimineller Handlungen geworden. Diese Zahlen kommen jedoch auch dadurch zustande, daß bessere Kontrollmechanismen in den größeren Unternehmen zu höheren Aufklärungsraten führen. Trotzdem werden rund 60 Prozent der entdeckten Fälle nur zufällig bekannt und nicht durch systematische Kontrollen entdeckt. „Kommissar Zufall“ deckt somit immer noch die meisten Delikte auf. Gegenüber 1999 mit 16 Prozent ist die Zahl der zufällig entdeckten Delikte sprunghaft angestiegen, nämlich auf 44 Prozent im Jahr 2003. KPMG-Partner Dieter John hält dies deshalb für eine dramatische Tendenz, da über 60 Prozent der Unternehmen angaben, erste Anzeichen für wirtschaftskriminelle Handlungen überhaupt nicht erkannt zu haben. Zwei von drei Unternehmen befürchten, daß diese Straftaten zukünftig zunehmen werden. Grundsätzlich geht man aber davon aus, daß nicht das eigene Unternehmen, sondern nur andere von Wirtschaftskriminalität bedroht sind. Damit geben sich viele Unternehmen weiterhin einer trügerischen Sicherheit hin. Sie befinden sich laut PricewaterhouseCoopers in einem Teufelskreis trügerischer Sicherheit. Dabei ist die Logik folgende: Die Unternehmen meinen, sie haben keine Wirtschaftskriminalität oder nur in geringem Maße. Deswegen hätten sie auch keine Beratung hinsichtlich präventiver Maßnahmen gegen Kriminalität nötig, hört man oft. Doch eben weil sie nicht beraten werden, erlangen diese Unternehmen nicht das notwendige Wissen für präventive Maßnahmen. Da sie das notwendige Wissen nicht erlangen, haben diese Unternehmen nur ein durchlässiges Kontroll- und Sicherheitssystem. Da sie nur ein durchlässiges Kontroll- und Sicherheitssystem haben, klären sie keine Wirtschaftskriminalität in ihrem Unternehmen auf, oder wenn nur in geringem Maße. Dadurch meinen die Unternehmen, sie hätten keine Probleme mit Wirtschaftskriminalität. Und somit schließt sich der Kreis. Laut Analyse liegen deutsche Unternehmen im Bereich der Kontroll- und Entdeckungsmaßnahmen jedoch etwa auf westeuropäischem Niveau. Aus der Sicht der Berater von PricewaterhouseCoopers sollte gerade im Bereich der Wertevermittlung stärker agiert werden. Denn das mangelnde Unrechtsbewußtsein scheint die Achillesferse in der Sicherheitsarchitektur deutscher Unternehmen zu sein. Aus kriminologischer Sicht gelten ethische Richtlinien als besonders wirkungsvoll, da sie für ethische Werte sensibilisieren und rechtliche Grenzen vermitteln. Auch eine gut funktionierende interne Revision erhöht die Entdeckungschancen von Wirtschaftsdelikten. Ein Weg, der zunehmend beschritten wird, ist die Einführung von Hinweisgebersystemen (sogenannte Hotlines). 23 Prozent der befragten deutschen Unternehmen hätten mittlerweile derartige Kommunikationswege. Laut KPMG seien bei den befragten Unternehmen 28 Prozent der Fälle durch anonyme Hinweise bekannt geworden, trotzdem wären sogenannte Hinweisgebersysteme bislang wenig erfolgreich. Teilweise werden in den großen Unternehmen Schulungen zur gezielten Entdeckung von Risikobereichen und Frühindikatoren durchgeführt. Über ein Notfallmanagement würden die Hälfte der großen und ein Drittel der mittleren und kleinen Unternehmen verfügen. Versicherungs- und Kreditgewerbe an der Spitze Bemerkenswert ist auch, welche Arten von Unternehmen besonders betroffen sind. PricewaterhouseCoopers zeigt dabei auf, daß kein Wirtschaftszweig von Straftaten verschont bleibt. Jedoch habe gerade der Finanzsektor mit über 1,7 Millionen Euro die höchsten durchschnittlichen finanziellen Schäden. Gemeinsam mit dem Handel und der Telekommunikationsbranche stünde das Kredit- und Versicherungsgewerbe hinsichtlich der Anzahl geschädigter Unternehmen an der Spitze. Zu bewerten sind diese Ergebnisse der Studie allerdings auch vor dem Hintergrund eines ausgefeilten Risikomanagements und der zahlreichen implementierten Präventions- und Entdeckungsmaßnahmen dieser Branchen. Da die Finanzbranche über eine größere Anzahl rechtlicher Regularien verfüge, deren Einhaltung auch die Sicherheit und Transparenz von geschäftlichen Vorgängen erhöht, sei somit von einer höheren Entdeckungsquote in dieser Branche auszugehen. Vereinfacht ausgedrückt: In der Finanzbranche und im Kredit- und Versicherungsgewerbe arbeiten nicht mehr Kriminelle als in anderen Wirtschaftszweigen, aber in diesen Branchen werden die Wirtschaftsdelikte häufiger erkannt. Innerhalb der Unternehmen waren vor allem die geldnahen Prozesse (Einkauf, Vertrieb, Lager, Produktion sowie Finanzen) der befragten Unternehmen betroffen. Die Schäden beliefen sich dabei in den vergangenen drei Jahren bei manchen Unternehmen auf über eine Milliarde Euro, ermittelte KPMG. Gelegenheit macht Diebe. Stichwort: Phishing Das Internet hat der Wirtschaftskriminalität neue Wege eröffnet. Phishing, eine Zusammenziehung der englischen Begriffe „Pass-word“ und „Fishing“, ist eine spezielle Art davon. Hierbei werden gefälschte E-Mails einer vorgeblich seriösen Firma an die Nutzer gesendet. Mit offiziellen Formbriefen soll der Benachrichtigte eine bestimmte Internet-Adresse anklicken und dort seine persönlichen Daten eingeben. Auf diese Art „abfischend“, nutzen die Betrüger dann die Online-Konten der Opfer und bezahlen in deren Namen mit den gestohlenen Kreditkartendaten.

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