Warum eigentlich,“ fragt der Autor, „produzieren deutsche Bauern nicht Tomaten und Petersilie statt Weizen?“ Ja, was hindert sie daran? Die Antwort ist einfach: die ökonomische Vernunft. Diese Massen an Petersilie und Tomaten wären am Markt gewinnbringend noch weniger unterzubringen als die Weizenüberschüsse. Die Bauern wissen das. Gleichwohl sieht der Autor das Heil für die deutschen Landwirte ganz offensichtlich darin, flächendeckend auf ihren Ackerfluren Obst, Gemüse und Zierpflanzen zu erzeugen – oder etwas anderes Schönes mit hoher Wertschöpfung, nur bitte kein Getreide. Der Statistik hat er nämlich entnommen, daß sie Gemüse nur auf 1,2 Prozent der Ackerfläche anbauen, aber auf dieser winzigen Fläche nahezu 33 Prozent ihrer Verkaufserlöse erwirtschaften, und zwar im Durchschnitt je Hektar 8.000 Euro. Dagegen werfe der Anbau von Getreide und Ölsaaten auf etwa 71 Prozent der Ackerfläche im Durchschnitt nur einen Erlös von durchschnittlich 500 Euro ab. Außerdem enthielten die 8.000 Euro im Gemüseanbau nur 2,6 Prozent Subventionen, die 500 Euro Getreideanbau aber zwanzig Prozent. Aber die Landwirte halten sich an die von der europäischen und deutschen Agrarpolitik gegebenen Umstände. Die sind für sie maßgebend, und an ihnen orientieren sie sich. Sie verhalten sich insofern durchaus rational. Doch gerade diese Agrarpolitik will der Autor geändert wissen. Mit einigem Recht. Er ist auch nicht der erste, der danach verlangt. Gefordert wird eine grundlegende Reform seit Jahrzehnten, gerade auch von den Agrarökonomen, denen Kemper allerdings vorwirft, ihre Strategie sei nach wie vor einseitig auf Flächenausweitung und Arbeitskräfteabbau ausgerichtet. So hätten auch sie eine vernünftige Agrarpolitik verhindert und die Bauern in immer größere Subventionsabhängigkeit gebracht. Die Agrarpolitik sei zwar stets in Bewegung gewesen, aber wirklich bewegt habe sie nichts, und das „Gros der Agrarwissenschaftler“ sei mit dieser bewegungslosen Bewegung „mehr als zufrieden“. Die werden sich zu wehren wissen. Tatsächlich nämlich hat sich das Gros immer wieder für eine wirkliche Reform eingesetzt, ist damit aber an den Berufsverbänden und politischen Interessen gescheitert. Erst die Hinwendung in der EU-Agrarpolitik in jüngerer Zeit zu als Übergang gedachten Direktzahlungen an die Landwirte und die damit bezweckte schrittweise Abkehr von Preisstützung und Dauersubventionierung können diese Agrarwissenschaftler als einen Teilerfolg ihrer langjährigen Bemühungen ansehen, wenn auch nicht durch ihr Zutun mit ihren ökonomischen Argumenten, sondern als Folge von fiskalischen, handelspolitischen und außenpolitischen Zwängen. Gewiß ist es notwendig, eine bessere Agrarpolitik herbeizuführen, mit der staatliche Subventionen eines Tages entfallen können. Zwar hat es in den vergangenen dreißig, vierzig Jahren immer wieder Änderungen der staatlichen agrarpolitischen Regulierungen gegeben, von Politikern und EU schönfärberisch jeweils als Reform dargestellt. Aber die wirklich notwendige Reform, in Teilschritten langfristig festgelegt, war nicht dabei; eine solche nachhaltige Orientierungshilfe wurde den Landwirten versagt. Kemper konzentriert sich bei dem, was er als reformnotwendig ansieht, auf die gegenwärtigen Direktzahlungen. Ihre gegenwärtige Bezugsgröße, die bewirtschaftete Fläche, hält er für falsch. Die richtige sei der real erzielte betriebliche Umsatz. Dann werde den Landwirten endlich die tatsächlich erbrachte Leistung honoriert, unabhängig vom Inhalt der Produktion. Auch würde ihnen dann klar und unmißverständlich zu erkennen gegeben, daß sie ihre Einkommen künftig nur dann verbesserten, wenn sie eine höhere Leistung, einen höheren Umsatz erzielten. Zugleich mit dieser Umstellung soll sich die staatliche Agrarpolitik darauf festlegen, diese Subventionen in zeitlich genau festgelegten Schritten bis auf Null zu beseitigen. Die Landwirte sollen ihr Einkommen künftig vollständig selbst erwirtschaften. Mit dieser geänderten Subventionspolitik werde der Leistungsanreiz endlich genau das bewirken, was bisher die Agrarpolitik mit ihrem bisher auf Flächenexpansion ausgerichteten Strukturwandel nicht erreicht habe, nämlich den Rückzug der Landwirtschaft aus der Massen- und Überschußproduktion. Doch ob dann auf den heutigen Getreideschlägen Tomatenpflanzen stehen, wird man bezweifeln dürfen. Eine jüngere Fehlentwicklung prangert Kemper in den fünf neuen Bundesländern an. Dort hatten die Kommunisten von 1945 an die bäuerliche, auch die großbäuerliche und gutsherrschaftliche Struktur systematisch zerstört und an ihre Stelle riesige Genossenschaften (LPG) und Staatsgüter gesetzt. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik 1990 hat sich an dieser Agrarstruktur wenig geändert. Westdeutsche Agrarpolitiker, Landwirte und Bauernverband waren von den gewaltigen Betriebsgrößen fasziniert. Die anfängliche Verkündung der Bundesregierung, hier wieder eine Landwirtschaft herzustellen, die auf familienbäuerlichem Eigentum beruhte, mutierte in Windeseile zum Gegenteil: Die LPG-Strukturen wurden so weit wie möglich zementiert. Seitdem gehört das meiste Agrarland juristischen Personen. An ihrer Spitze stehen im Regelfall die einstigen LPG-Führungskader. Teilweise haben auch unternehmerische Landwirte aus den alten Bundesländern große Flächen abbekommen. Alle diese mitteldeutschen Großbetriebe bewirtschaften durchschnittlich gut 1.500 Hektar je Betrieb. Die einstigen bäuerlichen Familien dagegen, die mit ihrem Land in die LPG gepreßt worden waren und 1990 wieder einen eigenen Betrieb einrichten wollten und es teilweise auch geschafft haben, werden bis heute politisch wie agrarpolitisch links liegengelassen; politische Hätschelkinder sind nur die Großbetriebe. Von solchen Großbetrieben pflegte man in den Kleinstrukturen der alten Bundesländer nur zu träumen. Sie gelten nach wie vor als wirtschaftlich wetterfest, als die Betriebe der Zukunft: rentabler, wettbewerbsfähiger, einkommensstärker, mit nur noch geringem und dereinst keinem Subventionsbedarf mehr und deshalb als solche von größerem volkswirtschaftlichen Nutzen. Der Autor räumt mit dieser Vorstellung gründlich auf. Anhand amtlicher Zahlen rechnet er vor: Diese LPG-Nachfolgeunternehmen und die großen Personengesellschaften erwirtschaften im Vergleich zu bäuerlichen Familienbetrieben ein deutlich geringeres Arbeitseinkommen, und mehr als neunzig Prozent des Einkommens resultieren aus direkten und indirekten Subventionen; bei westdeutschen Personengesellschaften sind es statt dessen zirka dreißig und bei westdeutschen Familienbetrieben knapp 45 Prozent. Ohne Subventionen verdienen die Großbetriebe noch nicht einmal soviel, um ihre Löhne voll bezahlen zu können. In solchen Betrieben ist die Wertschöpfung je Hektar schon lange nicht mehr hoch genug, um ohne Subventionen rentabel produzieren zu können. Allein schon von der Flächenprämie, gedacht als vorübergehender Ausgleich für die schrittweise Abkehr von der Preisstützung, „läßt sich komfortabel leben, wenn nur die Fläche groß genug ist und die eigentliche Produktion keine allzu großen Verluste verursacht“. LPG-Nachfolger bekommen 222 Euro je Hektar, westdeutsche Haupterwerbsbetriebe 169 Euro. Doch diese Ausgleichszahlungen sollen eines Tages auslaufen. Dann wird, so Kemper, für jedermann offenbar, daß die Entwicklung zu immer größeren Betrieben deren Wettbewerbsfähigkeit nicht verbessert, sondern erheblich verschlechtert hat. Das sei dann die Katastrophe. Klaus Kemper: Tomaten statt Weizen. Plädoyer für eine Neuorientierung in der Agrarökonomie. Deutscher Fachverlag, Frankfurt am Main 2005, gebunden, 183 Seiten, 42 Euro