Frau Sabuschko, in Ihrem Buch „Feldstudien über ukrainischen Sex“ erzählen Sie die Geschichte eines ukrainisches Liebespaares, das es nach Amerika verschlagen hat. Woher kam Ihnen die Idee dazu? Sabuschko: Ich habe in den Neunzigern als Fulbright-Stipendiatin und Gastprofessorin an den Universitäten von Harvard, Yale und Pittsburgh unterrichtet. Ohne meine amerikanische Erfahrung wären die „Feldstudien“ nicht möglich gewesen. Amerika – das ist die Quintessenz des westlichen Geistes, ein reiner Geist ohne die Jahrtausende alten kulturellen Schichten, auf die man in Europa unentwegt stößt. Deshalb fand ich es faszinierend, vor dem amerikanischen Bühnenbild eine ukrainische Love-Story sich entwickeln zu lassen. Meine Helden, zwei junge Ukrainer, kommen sich in Amerika vor wie von innen nach außen gestülpt und stets mit ihrer eigenen Identität konfrontiert. Der Selbstentfremdungseffekt war für mich in diesem Roman sehr wichtig. Während der orangenen Revolution haben Sie für die westliche Presse Essays und Artikel geschrieben und viele Interviews gegeben. Nun hat die neue politische Führung der Ukraine einige Fehltritte begangen. Sind Sie von Präsident Wiktor Juschtschenko nicht enttäuscht? Sabuschko: Nein, keinesfalls. Die Revolution hat sich vor allem im Bewußtsein unserer Menschen abgespielt. Wir haben das größte Hindernis für unsere weitere Entwicklung überwunden – die Entfremdung des Volkes von der Macht. Bei den Bürgern hat sich eine neue Denkweise etabliert: Die Politiker vertreten mich, ergo habe ich über deren Taten zu urteilen, ob sie etwas gut oder schlecht machen. Machen sie es schlecht, werde ich sie nächstes Mal nicht wählen. Machen sie es gut, bin ich auf sie stolz. An welche Literaturgestalt erinnert Sie Juschtschenko? Sabuschko: Unser Präsident wird im Volksmund nicht umsonst „Bienenzüchter“ genannt. Denn Bienenzucht ist Juschtschenkos Hobby. Ich glaube, diese Bezeichnung kommt auch dem Typ Helden aus der ukrainischen Literatur des 18./19. Jahrhunderts nahe – so einem Hetman, dem Kosakenführer, der nach dem Motto regiert: Mein Staat ist gleich mein Gutshof ist gleich mein Bienenhaus. Darin sehe ich nichts Verwerfliches. Würden Sie Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko zur Heldin eines Ihrer Bücher machen? Sabuschko: Nein, als Literaturheldin ist Timoschenko für mich nicht interessant. Ihre Psychologie ist nicht so kompliziert, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Das ist die Psychologie einer leidenschaftlichen Spielerin. Ihr Archetyp ist der des schönsten Mädchens in der Klasse, die weiß, daß sie dem Lehrer jede Frechheit ins Gesicht sagen kann, weil alle Jungs in der Klasse nach ihr verrückt sind. Julia Timoschenko ist ein Syndrom unserer patriarchalischen, vom Feminismus unberührten Gesellschaft. Woraus schließen Sie das? Sabuschko: Julia Timoschenko glaubt nach wie vor, daß die orangene Revolution ihretwegen stattgefunden habe und die Menschen sich nur versammelt haben, um sie zu bewundern. Sie macht sich damit so einzigartig und rar, doch in Wirklichkeit ist sie eine Politikerin von gestern. Oksana Sabuschko , Jahrgang 1960, lebt in Kiew und gilt als die wichtigste Schriftstellerin der modernen ukrainischen Literatur. Zur Leipziger Buchmesse im März dieses Jahres erschien auf deutsch ihr Roman „Feldstudien über ukrainischen Sex“ im Grazer Literaturverlag Droschl. weitere Interview-Partner der JF