In kompletter Kampfausrüstung robben die US-Soldaten durch die drückend heiße Wüste. Neben ihnen dröhnen die Kampfpanzer, und über ihnen rotieren die Kampfhubschrauber. Die Richtung ist klar: Bagdad! Plötzlich erspäht der ermattete GI einen Henkel. Er wischt den Wüstensand und entdeckt eine Kühlbox. Zögernd öffnet er sie – erfrischend dampft es ihm entgegen. Die Box ist gut gefüllt mit eiskalten Getränkedosen: Cola Turka. Mit skeptischem Blick nimmt er sich eine, öffnet sie und genießt. Während um ihn herum das Getöse weitergeht, hält er inne. Dann wirft er das Gewehr in den Boden, nimmt seinen Rucksack ab, entledigt sich seines Pistolenhalfters und läßt den Helm in den Wüstensand rollen. Derart abgerüstet macht er kehrt – die Kühlbox unterm Arm und die Cola Turka in der Hand, während über ihm der Wahlspruch der Türkei „Yurtta Sulh, Cihanda Sulh“ (Frieden in der Heimat, Frieden in der Welt) erscheint. Deutlicher konnte die Botschaft des Cola-Turka-Werbespots, ein erfolgreiches Produkt des türkischen Lebensmittelriesen Ülker, kaum sein. Die türkische Bevölkerung, die türkischen Politiker und Militärs machten keinen Hehl aus ihrer Ablehnung des im März 2003 begonnenen US-Krieges gegen den Irak. Schon im Vorfeld hatte es erhebliche Dissonanzen gegeben, als die Türkei dem politischen und finanziellen Druck der USA widerstand und den US-Truppen den Weg über türkisches Territorium verwehrte. Dabei ging es nicht nur um Souveränitäten und gute Nachbarschaft, sondern auch um den türkischen Einfluß im kurdischen Nordirak, der den USA seit Beginn des Irak-Feldzuges ein Dorn im Auge ist. Doch Ankara fühlt sich seit eh und je für die Sicherheit im Nordirak zuständig, kämpft gegen die PKK, will die Gründung eines kurdischen Staates verhindern und den Griff der verwandten Turkmenen auf den Ölreichtum Kurdistans gesichert sehen. Die Zeichen standen also auf Sturm und entwickelten sich zu einem Orkan, als US-Truppen Anfang Juli 2003 ein Verbindungsbüro der türkischen Armee in der nordirakischen Stadt Sülemaniye stürmten. Die verblüfften elf Soldaten einer türkischen Spezialeinheit, die zunächst an einen Freundschaftsbesuch der Verbündeten geglaubt hatten, wurden entwaffnet und unter höchst unwürdigen Verhältnissen – mit einem Sack über dem Kopf – zu einer US-Basis gebracht. Im Anschluß hielten sich die USA bedeckt, türkische Medien berichteten, die US-Truppen hätten die Gefangennahme mit einem angeblich geplanten türkischen Mordanschlag auf den von den Amerikanern eingesetzten kurdischen Gouverneur von Kirkuk begründet, und die türkische Führung schäumte. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sprach von einem inakzeptablen, „häßlichen Vorfall“, und der türkische Generalstabschef Hilmi Özkök erklärte, dieser habe zur bisher schwersten Vertrauenskrise geführt, die so schnell nicht überwunden werden könne. In der Türkei schlugen die emotionalen Wellen gegen die Amerikaner hoch. „Unser Nationalstolz ist gekränkt“, hieß es; just zu diesem Zeitpunkt kam dann – ob Zufall oder nicht – als Konkurrenz zur US-Coca- und Pepsi-Cola die Cola Turka auf den Markt und simultan als Werbespot ins türkische Fernsehen. Als Ausdruck der erheblichen antiamerikanischen Gefühle in der Türkei heißt es seitdem: „Cola Turka weckt den Türken in dir!“ Schießwütige Söldner und zwielichtige Kurdenführer Ortswechsel: Februar 2006 im Foyer des Karli-Kinos in Berlin-Neukölln. Eines der vielen Multiplex-Kinos, die es überall gibt. Aber eben doch ein etwas anderes. Denn schon ein Blick auf das Programm offenbart den kleinen Unterschied: „Hababam Sinifi 3,5 – Die chaotische Klasse 3,5“; Original mit Untertiteln (OmU); Komödie, Türkei. „Keloglan karaprens’e karsi – Keloglan gegen den schwarzen Prinzen“; OmU; Komödie, Türkei. „Organize Isler – Krumme Dinger am Bosporus“; Komödie, Türkei. Alles in allem Filme, die zwar nie ein breiteres Publikum erreichen, aber aufgrund der Bevölkerungsstruktur in Neukölln Zuspruch finden. Doch dann kam der Film „Kurtlar vadisi – Tal der Wölfe“, OmU, Action, Türkei, und nichts ist, wie es mal war. Ausverkaufte Vorstellungen, ein breites Medienecho und passend dazu ein Heer von Journalisten, die, den deutschen Untertiteln vertrauend, einen kritischen Blick auf die türkischen Zuschauer werfen. Gibt es Applaus? Gar Jubelrufe, wenn der türkische Held dem US-amerikanischen Bösewicht zum Finale einen Krummdolch ins Herz rammt und genüßlich wendet? Doch Applaus hin, Jubelrufe her, das generationsübergreifende türkische Publikum ist, dem Cola-Motto „… weckt den Türken in dir“ folgend, begeistert. In der Türkei bricht „Tal der Wölfe“ alle bisherigen Zuschauerrekorde, und auch in Deutschland ergatterte der Streifen, seinen Untertiteln zum Trotz, mit nur 65 Kopien einen überraschenden sechsten Platz bei den Besucherzahlen (230.000 Zuschauer). Worum geht’s? Dreh- und Angelpunkt des effektvollen Action-Films ist das moderne türkische Trauma – die oben genannte „Sackaffäre“. Dem ersten Offizier des festgesetzten türkischen Sonderkommandos, Leutnant Süleyman Aslan, ist diese unwürdige Behandlung und die Beleidigung der Ehre der türkischen Armee einfach zuviel. Er verfaßt einen Brief an seinen besten Freund, den Geheimagenten Polat Alemdar, und begeht Selbstmord. Alemdar, ein mit allen Wassern gewaschener Agent des türkischen Geheimdienstes, sieht sich in der Pflicht und macht sich mit zwei Kampfgenossen auf in den kurdischen Nordirak um die Ehre Aslans und der Türkei wiederherzustellen. Alemdar sinnt auf Rache, denn er kennt sein Ziel genau – Sam William Marshall. Marschall ist unumschränkter Herrscher im Irak und das Böse in Person. Umgeben von einer Horde schießwütiger Söldner und GIs und unterstützt durch zwielichtige Kurdenführer, drangsaliert er die arabische und turkmenische Bevölkerung. Auch spielt er mit gierigem Blick auf die ölreichen Gebiete Kurdistans die Kurden, Turkmenen und Araber geschickt gegeneinander aus und unterhält ganz nebenbei einen blühenden Organhandel, bei dem ein jüdischer Arzt den Einheimischen Organe entnimmt, um sie nach Israel, in die USA oder nach England zu schicken. Mit dem Lied „Freude schöner Götterfunken“ auf den Lippen goutiert Marschall, stets seinen brutalen Adlatus Dante an der Seite, alle Übel im besetzten Irak. Ob Folterungen in Abu-Ghraib, ob ein Blutbad auf einer friedlichen Hochzeit oder die Zerstörung eines Sufi-Klosters: „Sam“, der fanatische Christ, wähnt sich im Namen Jesu auf dem Kreuzzug gegen das Böse. Im Gegensatz dazu lebt, als stiller Held des Films, der Sufi-Scheich Abdurrahman Halis Kerkuki den Islam als überlegene Religion des Friedens. Unter Hinweis auf den Koran spricht er sich gegen Selbstmordkommandos aus und unterbindet die Hinrichtung eines US-Journalisten durch ein Terror-Kommando. Doch kann auch der fromme Scheich die Zerstörung seines Klosters für die Armen und Alten nicht verhindern. Die Frage ist nur: Wird es dem türkischen Rächer gelingen, das „Böse“ zu stoppen? Es wird! Nach unzähligen Schießereien und Explosionen bringt er „Sam“ nach zwei Stunden Hollywood-ähnlicher Action zur Strecke. Türkiye „Mashallah“ – so gefällt es Gott -, hatte ihm zuvor ein gebrechlicher Muslim mit leuchtenden Augen erklärt und ihm so eine Heimkehr in Ehre und mit wiedererlangtem türkischen Nationalstolz geebnet. Türkiye „Mashallah“- so gefällt es Gott Doch was viele Türken in ihrer gekränkten Seele erbaut, wird im Westen mit äußerster Skepsis betrachtet. Viel ist vom „Kampf der Kulturen“ die Rede: von gefährlicher Stereotypisierung und nationalistischen, antichristlichen, antisemitischen, anti-amerikanischen Tendenzen und Verboten. Das ficht den Regisseur des Films, Serdar Akar, aber nicht an. Warum man denn keinen antiamerikanischen Film drehen dürfe, war seine Antwort. Und der türkisch-deutsche Schriftsteller Feridun Zaimoglu brachte die türkische Sichtweise auf den Punkt: „Was ist schlecht daran, einen guten Action-Film zu sehen, in dem einmal die Amerikaner die schlechtere Rolle haben?“ Filmplakat: „Kurtlar Vadisi Irak“ Der türkische Geheimagent Polat Alemdar: Mehr als ein brutaler „Rambo“ denn als smarter „007“ im Nordirak unterwegs – ein mit allen Wassern gewaschener Kämpfer des Guten gegen das Böse Fotos (2): MaXXimumfilm.com Stichwort: MaXXimum Film MaXXimum Film und Kunst GmbH ist ein Verleihunternehmen, das über die europäischen Verleihrechte türkischer Kinofilme verfügt. Seit 2001 hat MaXXimum in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Belgien, Großbritannien, Dänemark, Frankreich und Holland 24 Filme mit Erfolg an die Kinotheater verliehen. Im Jahr 2004 wurden die Schwestergesellschaften Mxx Film Distribution Sarl (Schweiz) und Film ON Sarl (Frankreich) gegründet. Nach eigenem Bekunden sorgt das Unternehmen, das auch für den Verleih des Films „Tal der Wölfe“ verantwortlich zeichnet, „für die Integration der türkischen Bevölkerung in das kulturelle Leben Europas“. Chef der MaXXimum Film ist Anil Sahin. Der Sitz der GmbH ist in Poppenhausen/Rhön.
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