Als am 20. Juli 1944 um 12:40 Uhr im Besprechungsraum des ostpreußischen Führerhauptquartiers Wolfsschanze der in einer Aktentasche von Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg untergebrachte Sprengstoff detonierte, vollzog sich der erfolgversprechendste Versuch, das NS-Regime in Deutschland aus eigener Kraft abzulösen. Noch immer wird die Bedeutung der weitreichenden Verschwörung der Männer um Stauffenberg nicht angemessen gewürdigt. Es scheint leichter und routinierter von der Hand zu gehen, deutsche Untaten in Staatsakten zu beklagen und die Dämonen der Vergangenheit zu beschwören, um in desto hellerem Licht zu erstrahlen, als großer Gestalten zu gedenken, neben denen man blaß auszusehen droht. Das erstaunliche vor allem am militärischen Widerstand im Dritten Reich, der Träger des 20. Juli war, ist, daß er sich in einer Armee vollzog, die auf den „Führer und Reichskanzler“ der nationalsozialistischen Bewegung vereidigt war, die einer Gesellschaft eingegliedert war, die die Nationalsozialisten politisch weitestgehend gleichgeschaltet hatten. Gibt es aus dem kommunistischen Machtbereich im Entferntesten eine dem 20. Juli 1944 vergleichbare Verschwörung? In Henning von Tresckow, Fritz Dietlof von der Schulenburg, den Brüdern Stauffenberg tritt uns die Gestalt des ethisch handelnden preußisch-deutschen Offiziers in seiner idealen Verkörperung entgegen. Und es treten uns Männer entgegen, die aus religiös-ethischen Motiven äußerstenfalls bereit waren, ihr Leben einzusetzen, nicht allein um eine verbrecherische Regierung abzulösen, sondern die dies taten, um das Reich zu retten, um Deutschlands Überleben zu verteidigen. Wie sehr das NS-Regime den Boden der ethischen Überzeugungen verlassen hatte, auf denen Deutschland politisch und kulturell groß geworden war, war den Patrioten des Widerstandes in unterschiedlichen Etappen deutlich geworden und hatte sie auf unterschiedlichen Wegen zusammengeführt. Der Ausruf Stauffenbergs vor seiner Erschießung im Bendlerblock am Abend nach dem Scheitern des Umsturzes – „Es lebe das heilige Deutschland“ – kontrastiert scharf die Untergangsphantasien Hitlers, der bereit war, das deutsche Volk bei seinem politischen Bankrott mit sich in den Abgrund zu ziehen. Noch immer hat es das heutige, wiedervereinigte Deutschland nicht vermocht, den Patriotismus und Widerstandsgeist des 20. Juli 1944 ins Zentrum der nationalen Erinnerung zu stellen. Immer noch befindet sich das Land im Banne einer kollektivistischen Schuldhaftung, wie sie in ihrer Totalität dem Tyrannen, der vor 60 Jahren beseitigt werden sollte, wohl gefallen hätte. Die Zusammenarbeit, die die deutschen Kriegsgegner einer möglichen Regierung des deutschen Widerstandes versagt haben, das Pochen auf die bedingungslose Kapitulation, verweist auch darauf, daß es im Zweiten Weltkrieg nicht in erster Linie darum ging, eine verbrecherische Regierung zu beseitigen und Deutschland zu befreien, sondern das Deutsche Reich zu zerschlagen und zu besetzen. Das macht den 20. Juli so sperrig – es kostet Mut, ihn der ausgeleierten Liturgie deutscher Selbstgeißelung einzufügen: Zu ehrfürchtig ragen die Gestalten empor. Sie stellten die Loyalität zu ihrem Volk und ihrer Nation über die politische Ideologie. Hierfür waren sie bereit, ihr Leben zu geben. Schließlich heißt es deshalb auf der Gedenktafel für die Hingerichteten im Berliner Bendlerblock nicht etwa „Sie starben für Frieden und Menschenrechte“, sondern: „Sie starben für Deutschland“.
- Deutschland