Die Beschlußdebatte über den Bundeshaushalt des nächsten Jahres wird allgemein als die „Generaldebatte“ des Bundestages bezeichnet. Das ist in anderen Demokratien ähnlich. Gehört es doch zu den Grundpflichten jedes wirklich freien Parlaments, den Regierungen insbesondere beim Geld – bei den Staatseinnahmen, vor allem aber beim Geld-Ausgeben – auf die Finger und in die Kassenbücher zu sehen. Aber da Staatspolitik ja nicht nur etwas mit Geld zu tun hat, hinter der Haushaltspolitik die gesamte Staatspolitik steht, kommt in der Haushaltsdebatte eben diese in ihrer ganzen Breite zur Sprache. Daher „Generaldebatte“. Das Wort hat etwas Doppelsinniges. „General“ ist (oder sollte sein) hauptsächlich als „generalisierend“, „grundsätzlich“, „umfassend“ zu verstehen. Die Regierung sagt, wofür sie die Steuergelder braucht und was sie damit politisch und gesamtgesellschaftlich für Staat und Bürger erreichen will. Die Opposition setzt ihr Konzept dagegen und reibt dabei der Regierung unter die Nase, was diese nach ihrer Meinung falsch macht. Gerichtet sind diese Debatten nach draußen, das Wahlvolk soll auf seinen nächsten Urnengang vorbereitet werden, um dann entweder die Regierung zu bestätigen oder die Opposition ans Regierungsruder zu bringen. Dem „General“ haftet aber auch durchaus etwas Militärisches an. Beide parlamentarischen Lager ordnen ihre „Marschtruppen“, verkünden ihre „Kampfpläne“, schärfen ihre Waffen, lassen ihre Strategien erkennen, um für die nächste große (Wahl)-Auseinandersetzung „gerüstet“ zu sein. Dieser Vor-Wahlkampfgeist hat in unserer fünfzigjährigen Parlamentsgeschichte viele große Generaldebatten geprägt, insbesondere zur Halbzeit einer Legislaturperiode – und sie haben dem Land und der Demokratie nie geschadet. Die Debatte der vergangenen Woche aber hat das Beiwort „General“ nicht verdient, man zögert sogar, ihr das Wort „Debatte“ zuzuordnen. Lediglich in einem hatte Oppositionsführerin Angela Merkel recht: Die Rede Gerhard Schröders war eines deutschen Bundeskanzlers unwürdig. Da war weder vom „General“ im Verständnis von „Grundsätzlichem“ etwas zu spüren noch von dem im militant-strategischen Sinne: Wohin führe ich meine Truppen? Schröder setzte auf Waffenruhe, Kampf- und Winterpause, die er aber wohl bis zur nächsten Bundestagswahl ausdehnen möchte. Mit seiner Agenda 2010 hat er ein bestimmtes Territorium erobert, das sichert er nun ab und baut dafür nur Verteidigungslinien auf. Die Oppositionsführerin ließ nichts erkennen, womit sie die schwachen Bastionen des Gegners stürmen möchte oder könnte – und zwar weder jetzt noch bei der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2006. Ihren Generalstabschef Friedrich Merz hat sie gehen lassen, seinen Angriffsplan zu den Akten gelegt. In den Generalstab hat sie neue Offiziere berufen, die eher als Waffenstillstandsexperten und Friedensparlamentäre denn als Angriffsstrategen ausgewiesen, bekannt oder beim Gegner gar gefürchtet sind. Die Angriffswaffen (große Steuer-, Renten-, Gesundheits- und Entschlackungs-reformen) hat sie aus der Hauptkampflinie abgezogen und in rückwärtigen Feldlagern verstaut. Vor dem Angriff dieses Gegners braucht der Kanzler in seinem gut beheiztem Winterquartier nicht zu bibbern.