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Widerstand als Innere Mission begreifen

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Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) gehört unbestritten zu den herausragenden Persönlichkeiten des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Umstritten ist allerdings noch immer, ob er unter dem Rubrum „christlicher Märtyrer“ oder „politischer Widerständler“ eingeordnet werden soll. Es liegen überzeugende Urteile kirchlicher Persönlichkeiten vor, die bei allem Respekt diese Unterscheidung beachtet wissen wollen, um die „wahren“ Märtyrer, also allein um ihres Glaubens willen Getötete, nicht in eine Reihe mit politisch motivierten Widerstandskämpfern zu stellen. So hat seine eigene Landeskirche, die Berlin-Brandenburgische, anläßlich einer Erklärung zum ersten Jahrestages des 20. Juli 1944 auf die Nennung seines Namens verzichtet. Hingegen fand in London am 27. Juli 1945, also nur wenige Wochen nach Kriegsende, ein Gedenkgottesdienst statt, den George Kennedy Allen Bell, Bischof von Chichester, hielt und der von der BBC auch nach Deutschland übertragen wurde. Damit sind die Spannungen angedeutet, die das Urteil damals und noch viele Urteile heute bestimmen. Tatsächlich hat Bonhoeffer nicht unbedingt eigenwillige, aber sehr wohl eigenständige Positionen vertreten, die sich aus seinem persönlichen und akademisch-kirchlichen Werdegang erklären lassen. Hitler als Satan in der Maske des Engels des Lichtes Bonhoeffer entstammte einem liberal-akademischen Milieu. Sein Vater war ein bekannter Ordinarius der Psychiatrie, zunächst in Breslau, ab 1912 in Berlin. Mehrere Verwandte und Freunde der Familie bekleideten einflußreiche Stellungen in Gesellschaft, Politik und Militär, aus denen sich Bonhoeffers späteren Verbindungen in die engeren Kreise des Widerstandes gleichsam von selbst ergaben. Die entscheidenden Anstöße für seinen Widerstand gegen den Nationalsozialismus empfing Bonhoeffer schon sehr bald in der wissenschaftlichen und kirchlichen Auseinandersetzung mit den Herausforderungen des allgemeinen Säkularismus und des politischen Totalitarismus. Nach dem Theologiestudium in Tübingen und Berlin, das er mit beiden Staatsexamen, Promotion (mit 21 Jahren) und Habilitation (mit 24 Jahren) abschloß, folgten zwischen 1930 und 1934 mehrere Auslandsaufenthalte: das Vikariat in der deutschen Gemeinde in Barcelona, ein Studienjahr am berühmten Union Theological Seminary in New York, eine Vertretung an der deutschen Gemeinde in London sowie maßgebende Teilnahme an wichtigen ökumenischen Begegnungen und Konferenzen in der Schweiz, den Niederlanden und in Skandinavien. Sie verschafften Bonhoeffer nicht nur wichtige Kontakte, die in späteren Jahren für die gesamte Widerstandsbewegung von Belang sein sollten, sondern auch einen realistischen Eindruck von den Einschätzungen der politischen Entwicklung Deutschlands nach 1933 im allgemeinen, des Widerstandes im besonderen. Dabei mußte Bonhoeffer auch im Ausland, wie schon in Deutschland, ein weitverbreitetes Unvermögen einflußreicher politischer Persönlichkeiten und Kreise feststellen, das Wesen des Nationalsozialismus zu erkennen – was wiederum unmittelbare, lähmende Rückwirkungen auf die innere Verfassung des deutschen Widerstandes haben mußte. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen konnte Bonhoeffer noch im Jahre 1941 in einer Denkschrift ausländische Politiker als „Hitlers Helfer gegen den deutschen Widerstand“ bezeichnen. „Auf diese Weise ist es erklärlich, daß es für die deutsche Nation immer schwieriger geworden ist, den wahren Charakter des Regimes zu begreifen, und daß nur verhältnismäßig wenige in ihrer Überzeugung unerschüttert geblieben sind, daß es Satan in der Maske des Engels des Lichtes darstellt.“ „Notfalls mit Gewalt die Zügel aus der Hand reißen“ Bonhoeffer spricht damit das für ihn entscheidende Problem der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus an: daß sie in einem durch ideologische und politische Determinanten fixierten Rahmen stattfand – und wie man heute hinzufügen darf: noch immer stattfindet. Dadurch wird die für Bonhoeffer entscheidende Dimension der Herausforderung nicht erkannt: die radikale Säkularisierung des christlichen Abendlandes und die dadurch bedingte Ausprägung innerweltlicher Erlösungsideologien in Gestalt von totalitären Ideologien und Herrschaftsformen. So richtig es im Sinne christlicher Verantwortung für die Welt auch ist, dagegen in sehr konkreten Notsituationen Widerstand zu leisten, so falsch ist es, darin die Lösung der bestehenden Not zu sehen. Bonhoeffer hat zur Veranschaulichung dieses Problems gelegentlich an Luthers Bild vom betrunkenen Kutscher erinnert, dem man notfalls mit Gewalt die Zügel aus der Hand reißen müsse, damit die Pferde nicht durchgehen und Schaden verursachen. Deshalb kam es Bonhoeffer nicht allein und nicht in erster Linie auf die Bekämpfung des Nationalsozialismus an und auch nicht auf die Abwehr politisch-ideologischer Angriffe auf die Kirche – dies selbstverständlich auch! -, sondern auf die Frage, wie in der total säkularisierten, entchristlichten Welt die Botschaft des Christentums verkündigt und geglaubt werden kann. Nachdem ihm 1936 die Lehrbefugnis an der Berliner Universität entzogen worden ist, widmete er sich dieser Frage sehr intensiv als einer der maßgebenden Theologen der Bekennenden Kirche, insbesondere als Direktor ihres Predigerseminars in Finkenwalde (Pommern). In diese Zeit fallen die ersten Kontakte zum politisch-militärischen Widerstand. Sie wurden vermittelt durch seinen Schwager, Hans von Dohnanyi, der nach längerer Tätigkeit im Reichsjustizministerium und im Reichsgericht Leipzig zum Abteilungsleiter in der Abwehr unter Admiral Canaris avancierte. Bonhoeffer gelangte auf diese Weise schon sehr früh in den inneren Kreis des politisch-militärischen Widerstandes um Admiral Canaris und Oberst Oster. Ihm fiel die Aufgabe zu, die bereits bestehenden Kontakte zu ausländischen Kirchenführern und Theologen zu aktivieren, um durch deren Vermittlung eine Unterstützung des deutschen Widerstandes seitens der Alliierten zu erreichen, vor allem durch Zusagen einer veränderten Haltung gegenüber einem Deutschland nach einem erfolgreichen Umsturz. In diesem Sinne unternahm Bonhoeffer bis 1942 als V-Mann der Abwehr mehrere Reisen nach Schweden, Norwegen und in die Schweiz. Noch kurz vor Kriegsausbruch, im Juni 1939, trat er eine für längere Zeit geplante Vortragsreise in die USA an; aufgrund der sich zuspitzenden politischen Lage brach er sie aber im Juli 1939 ab, um nach Deutschland zurückzukehren. Das Angebot amerikanischer Freunde, in den USA zu bleiben, lehnte Bonhoeffer ab. Er begründete seinen Entschluß in einem Brief an den bekannten amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr, daß er „diese schwierige Periode unserer nationalen Geschichte mit den Christen in Deutschland durchleben“ müsse. Er gebe sonst das Recht auf, nach dem Kriege an der „Wiederherstellung des christlichen Lebens in Deutschland mitzuwirken“. Am 5. April 1943 wurde Bonhoeffer wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ verhaftet und in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel eingeliefert. An den unmittelbaren Vorbereitungen des Attentats auf Hitler hat Bonhoeffer deshalb nicht mehr teilnehmen können. Im Zusammenhang mit den Verhaftungen nach dem 20. Juli 1944 wurden allerdings seine Verbindungen zum Widerstand bekannt. Er wurde daraufhin dem Reichssicherheitshauptamt überstellt. Anfang Februar 1945 wurde er in das KZ Buchenwald, Anfang April 1945 in das KZ Flossenbürg (Bayern) verbracht. Dort wurde er auf persönliche Weisung Hitlers durch ein Standgericht zum Tode verurteilt und am 9. April 1945 zusammen mit Admiral Canaris und Oberst Oster gehängt. Bonhoeffers Denken und Handeln ist bereits vielfach, in der Regel aber zu einfach gewürdigt worden. Es sollte gerade bei ihm nicht nur bedacht werden, wogegen er kämpfte, sondern auch für die Wiederherstellung eines christlichen Lebens in Deutschland. Dieses Vermächtnis ist noch nicht erfüllt. Foto: Bonhoeffer in London, Juli 1939: Schwierige Periode durchleben Eberhard Bethge (Hrsg.): Dietrich Bonhoeffer. Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Chr. Kaiser Verlag, München 1956, 809 Seiten, 99 Euro Eberhard Bethge: Dietrich Bonhoeffer. Eine Biographie. Chr. Kaiser Verlag, München 1967, 1.128 Seiten, 49,95 Euro Hanfried Müller: Von der Kirche zur Welt. Köhler & Amelang Verlag, Leipzig 1961, 574 Seiten, nicht mehr lieferbar Georg Huntemann: Der andere Bonhoeffer. Die Herausforderung des Modernismus. R. Brockhaus-Verlag, Wuppertal 1989, 318 Seiten, nicht mehr lieferbar In dieser Reihe wurden bisher Eduard Wagner, Karl-Friedrich Goerdeler, Ulrich von Hassell, Helmuth James Graf von Moltke, Carl-Heinrich von Stülpnagel und Julius Leber porträtiert.

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