Christoph Schlingensief inszeniert 2004 in Bayreuth den „Parsifal“. Diese Entscheidung des Festspielchefs Wolfgang Wagner war spektakulär, ob sie vernünftig war, wird sich erweisen. An sich stehen die Chancen nicht schlecht. Der „Parsifal“ ist die Geschichte, wie ein zwar adretter und drolliger, gleichwohl strohdummer und in seiner Dummheit von anderen Nachtlichtern wohlakzeptierter junger Mann allmählich zum tugendsamen Ritter und zum Hüter des Heiligen Grals wird, eine Erfolgsgeschichte, doch auch ein Stafettenlauf mit vielen Hindernissen. Die Versuchung nun, die Wagnersche Titelfigur mit dem prospektiven Regisseur irgendwie in eins zu setzen, beide Gestalten ineinander zu spiegeln, ist groß. Auch Schlingensief, obwohl mittlerweile auch schon über vierzig, hat ja bisher vor allem Dummheiten gemacht, hat für die Medienwelt den dummen August gespielt, den „Provokateur“, der bei Lichte betrachtet vollkommen harmlos war, alle Auflagen der Political Correctness getreulich erfüllte. Aber er hatte dabei immer etwas Unschuldiges und Unkorrumpiertes um sich, wirkte tatsächlich als jener „reine Tor“, der auch Parsifal am Anfang ist. So könnte es geschehen, daß Schlingensief, indem er den reinen Toren Parsifal über steinige Wege und durch Kundrys Zaubergarten hindurch glanzvoll zur Einsicht aufsteigen läßt, selber den Status des reinen Toren verläßt und zu gewissen Einsichten kommt. Daß sich also Titelfigur und Regisseur gegenseitig beflügeln und am Ende allen Ernstes als heiliges (geheiltes) Paar dastehen. In diesem Fall hätte Bayreuth eine seriöse Sensation, die allen Seiten zugute käme. Natürlich gibt es viele Instanzen in unserem dubiosen Medienbetrieb, die das nicht gerne sähen und statt dessen auf Skandal hoffen: König Amfortas stinkt ungeheilt vor sich hin, Parsifal und die übrigen Ritter spielen grölend mit dem Heiligen Gral Fußball (oder so ähnlich), und niemand ist überrascht. Ein junger Tor würde seine Reinheit verlieren, ein alter Festspielkönig seine Reputation und die Festspiele einen Teil ihrer Stammkundschaft. Im übrigen bliebe alles beim Alten.
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