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Der letzte Diktator Europas

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„Der letzte Diktator Europas“, so wurde vor ein paar Wochen der Präsident Weißrußlands, Alex-ander Lukaschenko, im US-Magazin Parade bezeichnet. In der Top-Liste der Diktatoren rangierte der „Batska“ – unter diesem weißrussischen Wort für Vater ist der 48jährige Ex-Sowjetfunktionär in den GUS-Ländern bekannt – auf Platz zehn. Die Rangfolge wurde auf Grundlage von Berichten internationaler Organisationen wie Freedom House, Amnesty International und Human Rights Watch erstellt. Lukaschenko wird darin der Machtusurpierung durch rechtswidrige politische Machenschaften sowie der Oppositionsverfolgung bezichtigt. Die Erwähnung Lukaschenkos in der Diktatoren-Liste kam nicht von ungefähr: Am 25. März 2003 debattierte der US-Kongreß über die „Akte zur Demokratie in Weißrußland“. Der Autor dieses Dossiers, der Vizechef der „Helsinki Commission“ des Kongresses, der Republikaner Christopher H. Smith, verlangte mit diesem Dokument nicht nur eine moralische, sondern auch die materielle Unterstützung einer demokratischen Entwicklung in Weißrußland. Zu diesem Zweck sollen in den Jahren 2004 und 2005 40 Millionen Dollar aus dem US-Staatshaushalt an die unabhängigen oppositionellen Bewegungen in der Ex-Sowjetrepublik fließen. Weitere fünf Millionen Dollar sollen dafür verwendet werden, die Arbeit der weißrussischsprachigen Redaktionen der US-Radiosender The Voice of America und Radio Liberty in Prag zu forcieren. Für den Fall, daß die Verfolgung Andersdenkender – darunter fallen auch Massenmedien – nicht gestoppt, politische Häftlinge nicht befreit und die Fälle des Verschwindens einiger Oppositionsführer nicht aufgeklärt werden, sollen Weißrußland vom US-Kongreß Sanktionen angedroht werden. Außerdem beabsichtigt man, die Handlungen der Minsker Regierung in bezug auf ihre Waffenverkäufe an „Schurken-Staaten“ schärfer zu beobachten sowie strategische Exporte und Investitionen nach Weißrußland zu reduzieren. Diese Initiative des Kongreßabgeordneten Smith für mehr Demokratie wird in Weißrußland jedoch mit Zwiespalt aufgenommen. Einerseits, so läßt das offizielle Minsk verlauten und hat damit sogar nicht ganz unrecht, bedeutet eine solche Handlung gegenüber einem souveränen Staat eine direkte Einmischung in seine inneren Angelegenheiten. Andererseits befürchtet die Opposition, durch diese Handlungsweise von den (zumeist unpolitischen) Bürgern noch mehr entfremdet zu werden. Den oppositionellen Bewegungen wurde in der Regierungszeit Lukaschenkos schon immer propagandistisch vorgeworfen, Gelder fremder Staaten zu kassieren. Nach Ansicht des Chefs der sozialdemokratischen Partei „Narodnaja Gramada“, Nikolaj Statkewitsch, besteht der wesentlichste Mangel der weißrussischen Opposition vor allem in ihrer unzureichenden Pressearbeit, da zur Zeit praktisch alle freien Medien durch Erlasse des Präsidenten verboten seien. Daher wäre es viel sinnvoller, wenn diese demokratiefördernden Initiativen des US-Kongresses die Unterstützung von unabhängigen Massenmedien und nicht das Sponsoring der Opposition zum Ziel hätten. Die „Beschenkung“ der Opposition gäbe Lukaschenko einen Grund mehr dafür, die Oppositionellen als „Söldner des amerikanischen Imperialismus“ zu bezeichnen. Hinzu kommt, daß der „letzte Diktator Europas“ in letzter Zeit in Westeuropa einem etwas milderen Urteil unterliegt als bisher. Nicht zuletzt wird dies durch eine Entscheidung bestätigt, die im Laufe des letzten Treffens der EU-Außenminister in Luxemburg getroffen wurde: Lukaschenko und die Mitglieder seiner Regierung können – nach einem fünfmonatigen Verbot – nun wieder in die Staaten des Schengener Abkommens ungehindert einreisen. Nach Ansicht der EU-Politiker scheint sich die Menschenrechtslage in Weißrußland zum Besseren gewendet zu haben. In der öffentlichen Meinung in Minsk kann man derzeit hören, daß die Aussöhnung Lukaschenkos mit der EU nicht zuletzt ein Verdienst des russischen Präsidenten Wladimir Putin sei. Die EU-Sanktionen gegen weißrussische Regierungsvertreter wurden im November 2002 eingeführt, weil die OSZE-Vertretung in Minsk Lukaschenkos Regierung zahlreiche grobe Menschenrechtsverletzungen und die Verweigerung der Zusammenarbeit mit den internationalen Organisationen vorgeworfen hatte. Die OSZE-Vertreter wurden daraufhin aus Minsk „ausgeladen“: die Beamten des Außenministeriums weigerten sich, dem Gebot des Präsidenten nachkommend, den OSZE-Diplomaten ihre abgelaufenen Visa zu verlängern. In den offiziellen Medien wurde die OSZE-Tätigkeit in Minsk als eine „Einmischung in die inneren Angelegenheiten unseres Staates“ diffamiert. Als sich die Beziehungen wieder zu bessern begannen, suchte Lukaschenkos Propaganda-Apparat nach einer Erklärung für die Bürger, warum die „Einmischer“ jetzt doch zurückkommen durften. Wie in Diktaturen üblich fiel die „Erklärung“ genauso einfach wie primitiv aus: die OSZE wird sich in Minsk angeblich mit Menschenrechten in Weißrußland nicht mehr befassen. Doch die offizielle Propaganda erzielt inzwischen immer weniger Wirkung, und weißrussische Oppositionelle hoffen, daß der „blinde Zustand“ des Volkes nicht mehr andauern wird. Eine der wenigen freien Organisationen Weißrußlands, das Unabhängige Institut für sozialwirtschaftliche und politische Forschungen in Minsk (NISEPI), hat in den letzten zwei Monaten eine repräsentative Umfrage zur Erforschung politischer Stimmungen in der weißrussischen Bevölkerung bei 1.488 Personen durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung lassen ein nahendes Ende der Lukaschenkischen Despotie erahnen: Wenn in Weißrußland bereits heute Präsidentschaftswahlen stattfänden, würden nur 26,2 Prozent der Befragten ihre Stimme für den jetzigen Präsidenten abgeben. Die Frage, ob man das vom Präsidenten initiierte Referendum zur Verfassungsänderung über die Ermöglichung einer dritten Amtszeit des Präsidenten unterstütze (laut gültiger Verfassung darf ein Präsident in Weißrußland nur zweimal gewählt werden), haben nur 17,1 Prozent der Befragten mit Ja beantwortet, 47 Prozent wären dagegen und 27,5 Prozent der Umfrage-Teilnehmer „haben sich noch nicht festgelegt“. Der Direktor dieses Forschungsinstitutes, Oleg Manajew, erklärte gegenüber den Vertretern der Presse, daß Lukaschenkos Sympathiewerte von Tag zu Tag sinken würden, was unabhängig von solchen sozialen Faktoren wie Geschlecht, Einkommen, Wohnort und Glaubensbekenntnis geschähe. Früher hingegen wären diese Faktoren unter Lukaschenkos Anhängern und bei seinen Gegnern entscheidend gewesen. „Heute wäre die Mehrheit der Bürger bereit, für einen anderen Kandidaten zu stimmen. Das bedeutet, daß der jetzige politische Kurs des Staatschefs für alle enttäuschend war“, sagte Manajew. Die russische Zeitung Iswestija kommentierte die Umfrageergebnisse im benachbarten Weißrußland (das mit Rußland seit 1999 in einer lockeren „Union“ verbunden ist) folgendermaßen: „Die Weißrussen verbinden ihre Erwartungen nicht mehr mit dem jetzigen Staatschef. Seine Figur ist nach und nach immer peinlicher geworden“. Eine Frage ist naheliegend: Gibt es in der weißrussischen Gesellschaft zur Zeit eine Alternative zu Lukaschenko? Ja, meinen die Soziologen, jedoch käme diese Alternative nicht aus den Reihen der Opposition, sondern von weit her: laut NISEPI gaben 42 Prozent der Befragten an – und das wären über drei Millionen Menschen -, unter der Bedingung einer engeren Union mit Rußland für Wladimir Putin stimmen zu wollen. Die Soziologen haben dafür zwei Erklärungen: zum einen habe Putin ein enormes Charisma, das auch bis jenseits der russischen Grenzen reiche, zum anderen seien die Weißrussen der finsteren Gestalt ihres immerwährenden Batskas überdrüssig geworden.

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