Faschismus“ liefert als Schreckgespenst und vorgestelltes Gegenbild zur liberalen Weltordnung zweifellos einen wesentlichen Beitrag zum Selbstverständnis der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Der Widerstand gegen Hitler wächst täglich, wie Johannes Gross schon vor etlichen Jahren spöttisch festgestellt hat, und wenn, wie Ernst Nolte in dem hier zu besprechenden Band formuliert, „der häufige Gebrauch von Namen schon Beweis genug für die Existenz von und Bedeutung von Sachen wäre, dann wäre der Faschismus auch heute noch und heute erst recht eine Weltmacht“. Die Geschichte dieser mittlerweile reichlich virtuellen Weltmacht dokumentiert der kombinierte Bild- und Textband „Faschismus – Von Mussolini bis Hitler“. Der Autor muß kaum vorgestellt werden, ist als Faschismusforscher weithin bekannt und kann für sich in Anspruch nehmen, mit der 1963 erschienenen Habilitationsschrift über den „Faschismus in seiner Epoche“ in jedem Fall eine Zäsur in der Interpretation des Faschismus bewirkt zu haben. Im Epochejahr 1968 wurde dann diese ganz andere Annäherung an das Phänomen „Faschismus“ herausgegeben, die in der Edition Antaios jetzt neu aufgelegt wurde und den intellektuellen Zugang der Habilitationsschrift anschaulich ergänzt. Denn Nolte weist im Vorwort darauf hin, daß es sich nicht zuletzt um ein optisch-ästhetisches Phänomen handelt. Der Faschismus sei von allen bisherigen politischen Bewegungen vielleicht diejenige, die am bewußtesten auf sinnliche Eindrücke hingearbeitet habe. So finden sich auf fast jeder Seite des Buchs Männer in Uniform, bei Massenaufmärschen oder Massenversammlungen, oder auch bei uniformierter, beinah militärisch arrangierter Arbeit. Insofern läßt sich eine faschistische Partei mit bloßem Auge erkennen. Jederzeit wird sichtbar, daß die mobilisierten Arbeiter nicht nur eine individuelle Leistung bringen, sondern Teil eines größeren Ganzen sein sollen, daß Redner wie Codreanu, Mussolini oder eben Hitler nicht einen Diskussionsbeitrag liefern, der dann von anderen Rednern einfach wieder in Frage gestellt werden kann, sondern eine Überzeugung, die von jeder weiteren Kritik ausgenommen ist. Der Band enthält mehr, als sein Titel verspricht. Nicht nur von „Mussolini bis Hitler“, also von den Jahren vor 1933 in Deutschland und Italien ist die Rede, wie man denken könnte, sondern von ganz Europa, und das vom Beginn der Weltkriegsepoche 1914 bis zum Kriegsende 1945. Angeschlossen ist auch ein Ausblick auf die Nachkriegszeit. Ausführlich werden die kleineren faschistischen Bewegungen berücksichtigt, die sich nach dem Ersten Weltkrieg europaweit bildeten und mehr oder weniger erfolgreich agierten, allerdings immer im nationalen Rahmen und damit in nationalistischer Konkurrenz zu anderen faschistischen Bewegungen. Faschismus zeigt sich hier als radikaler Nationalismus. Über die Teilnahme am demokratischen Prozeß, aber letztlich nicht ohne Gewalt und mit Hilfe der „faschistischen Konstellation“, also im Bündnis mit den konservativen Eliten, gelang mancherorts der Sprung an die Macht. In den meisten Fällen war dies aber erst während des Zweiten Weltkriegs zu beobachten, als der „unerwartete Großkrieg“, wie Nolte dies zu Recht nennt und sein Verlauf den Faschismus für einige Jahre erfolgreich machte und „europäisch“ erscheinen ließ. Auf letzteres stützte sich dann der Nachkriegsfaschismus, der Europa förmlich „entdeckte“ und sich phasenweise als rechter Flügel des demokratischen Antikommunismus in Westeuropa darstellte, dabei teilweise getragen von alten Bekannten wie Oswald Mosley, dem englischen Faschistenführer der Vorkriegszeit. Muß mit dem Faschismus weiterhin gerechnet werden, und ist der antifaschistische Grundkonsens der Nachkriegszeit mehr als nur eine zu verspottende Gespensterjagd? Nolte sagte aus der Perspektive des Jahres 1968 ja, wobei er als reale Möglichkeit einer faschistischen Neugeburt auf die USA verwies, die nach militärischen Niederlagen und inneren Rassenunruhen einmal ihre liberale Tradition in Frage stellen könnten. Dies, so Nolte in seinem aktuellen Vorwort, sei eine Fehlprognose gewesen, auch wenn die Notstandsgesetze der Regierung Bush von ihren Kritikern, wie konnte es anders sein, als „faschistisch“ gebrandmarkt worden seien. In den Konflikten der globalisierten Welt sei die Rückkehr eines Phänomens wie des Faschismus aber dennoch nicht zu erwarten. Unabhängig von solchen Prognosen bleibt seine virtuelle Weltmacht wohl erhalten. Ihren Ursprung greifbar zu machen, dazu trägt die Neuausgabe von Noltes Band zweifellos bei. Fotos: „Giovane Italiane“ auf dem Foro Mussolini: Am bewußtesten auf sinnliche Eindrücke hingearbeitet / Militärische Erziehung von klein auf: Teil des größeren Ganzen sein Ernst Nolte: Faschismus. Von Mussolini bis Hitler. Edition Antaios, Schnellroda 2003, 350 Seiten, 300 Schwarz-Weiß-Abbildungen, kartoniert, 39 Euro