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Künder des Geheimen Deutschland

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Kein moderner Dichter hat auf das deutsche Bildungsbürgertum des zwanzigsten Jahrhunderts einen so tiefgreifenden Einfluß ausgeübt wie der am 12. Juli 1868 in Büdesheim bei Bingen geborene Stefan George, der zu Lebzeiten nicht nur von seinen Anhängern in eine Reihe mit Dante, Goethe oder Hölderlin gestellt wurde, nach seinem Tode jedoch einem weitreichenden Vergessen sowie einer Verdrängung anheimfiel, die aus der Gegensätzlichkeit von Georges Person und Werk zu allen modernen egalitären Bestrebungen resultiert. Georges Personenkult führte angeblich zum Führerstaat Siebzig Jahre nach seinem Ableben ist der Blick gelassener geworden, dominiert seine Behandlung als neuerdings wiederentdeckter Gegenstand philologischer Forschung, doch eine polarisierende Wirkung geht noch immer von ihm aus: War es früher der prophetische Gestus seines Auftretens, die Unbedingtheit seiner Forderungen und Verwerfungen sowie der vereinnahmende Anspruch, mit dem der „Meister“ im Kreise seiner „Jünger“ und aus ihm heraus in die Allgemeinheit wirkend, sein Ideal eines „schönen Lebens“ verwirklichen wollte, was die Zeitgenossen irritierte, so ist es heute sein Verhältnis zum Dritten Reich. Während die linksliberale Publizistik nicht müde wird, ihm vorzuwerfen, daß er mit dem Kult um seine Person, den er entweder selbst inszenierte oder von manchen Jüngern wie seinem Biographen Friedrich Wolters inszenieren ließ, dem Führerstaat den Weg geebnet oder, mit Max Weber, das Prinzip der charismatischen Herrschaft an die Stelle des verfahrenslegitimierten Institutionendenkens gesetzt habe, weisen seine Verteidiger darauf hin, daß gerade der ernstzunehmenste Versuch, Hitler zu beseitigen, derjenige des Grafen Stauffenberg, wesentlich von Georgeschem Geist inspiriert war. Darüber hinaus sei gerade seine elitäre Ablehnung von Massenpolitik und Massenpropaganda, von Sozialismus in jeder Form, dem Nationalsozialismus grundsätzlich entgegengesetzt gewesen. George selbst hat sich zu diesem Problem nicht eindeutig geäußert. Einerseits ließ er das Ansinnen des nationalsozialistischen Kulturministers Bernhard Rust, ihn zum Präsidenten der preußischen Dichterakademie zu ernennen, von seinem jüdischen Freund Ernst Morwitz mit der Bemerkung zurückweisen, er habe seit „fast einem halben jahrhundert deutsche dichtung und deutschen geist verwaltet ohne akademie“, andererseits bekannte er sich ausdrücklich zu seiner „Ahnherrschaft für die neue nationale Bewegung“ – nicht jedoch für die nationalsozialistische. Zwar stiftete Goebbels kurz nach dem Tod des Dichters 1933 einen Stefan-George-Preis als höchste literarische Auszeichnung des Dritten Reiches, und die NS-Publizistik versuchte anfangs noch, eine Analogie zwischen „Meister“ und „Führer“ zu konstruieren, die sich vor allem am Titel von Georges letztem Gedichtband „Das Neue Reich“ (1928) festmachte, doch ließ das offizielle Interesse an George in den folgenden Jahren schnell nach: 1936 wurde der George-Preis in „Nationaler Buchpreis“ umbenannt, verschiedene Autoren attackierten den Dichter wegen seiner zahlreichen jüdischen Freunde und warfen ihm unpolitischen Ästhetizismus vor, und anläßlich seines 75. Geburtstags 1943 wies das Propagandaministerium die Presse an, ihn nur noch als „zeitgebundene Persönlichkeit“ zu würdigen. Tatsächlich bewegt sich George in einem merkwürdigen – aber für seine Generation nicht untypischen – Spannungsfeld zwischen der antipolitischen Haltung der l’art pour l’art-Bewegung, an der der Sohn eines Winzers und Gastwirts mit seinen dichterischen Anfängen (besonders „Hymnen – Pilgerfahrten – Algabal“, 1890 ff., sowie noch dem „Jahr der Seele“ von 1897, seinem erfolgreichsten Buch) partizipierte, und einem Wirkungswillen, der vor allem aus den späteren Werken „Der Stern des Bundes“ (1914) und „Das Neue Reich“ (1928) spricht. Dazwischen liegen „Die Bücher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und Sänge und der Hängenden Gärten“ (1895), „Der Teppich des Lebens“ (1899) und Georges Hauptwerk „Der Siebente Ring“ (1907), in denen er sich der gültigen Traditionen versichert, die ihn prägenden Bildungswelten aufruft und Personen der Geschichte sowie Freunden literarische Denkmäler setzt. Von Anfang an ist Georges Bestreben auf eine Gemeinschaft Gleichgesinnter gerichtet; unermüdlich knüpft er an dem Netzwerk seines Kreises, der in der Zeit seiner größten öffentlichen Wirkung während des Ersten Weltkriegs und in den zwanziger Jahren neben vielen anderen so bedeutende Männer wie die Germanisten Friedrich Gundolf, Max Kommerell und Ernst Bertram, den Dichter Karl Wolfskehl, den Historiker Ernst Kantorowicz, den Bildhauer Ludwig Thormaelen, den Maler und Illustrator von Georges Büchern Melchior Lechter sowie in seinen letzten Lebensjahren die Brüder Stauffenberg umfaßte. Das Vorbild für diese Schaffung eines geistigen „Staates“ bildete der Pariser Zirkel um Stephane Mallarmé, in dem der junge George um 1890 die Repräsentanten der symbolistischen Bewegung kennenlernte; 1892 gründete er seine Zeitschrift Blätter für die Kunst, die bis 1919 erschien und aufgrund der neuen „fühlweise und mache“, die er in Frankreich erfahren hat, auch hier zu einer kulturellen Erneuerung führen sollte. Suche und Sehnsucht nach dem „Geheimen Deutschland“ In München lernte er 1902 Maximilian Kronberger kennen, der, gerade sechzehnjährig, zwei Jahre später an Meningitis verstirbt; George verklärt ihn zu seinem Literaturgott „Maximin“ und stiftet dem Kreis einen antikisierenden und dabei doch ganz privaten Mythos einer ewig-unvergänglichen Jugend, aus der heraus sich das Gemeinwesen erneuern soll. Der Erste Weltkrieg und die nachfolgende Krisenzeit bewirkte auch bei George, wenngleich er die allgemeine Kriegsbegeisterung geißelte und im Krieg nur den Untergangstaumel der alten Ordnung sah, eine verstärkte thematische Wendung zum Deutschtum; während manche seiner Jünger wie Wolters mit seinen „Vier Reden über das Vaterland“ (1927) explizit politisch Stellung bezogen, erhoffte er sich die nationale Erneuerung nicht von dem konkreten, sondern aus dem Geiste eines „Geheimen Deutschland“, das er im gleichnamigen Gedicht seines „Neuen Reichs“ verkündet. Am 4. Dezember 1933 verstarb Stefan George in Minusio bei Locarno, wohin er sich vor dem Werben der nationalsozialistischen Kulturbürokratie zurückgezogen hatte; einige seiner Anhänger suchten den Anschluß an das neue Regime, andere verhielten sich passiv, wieder andere emigrierten. Sein Kreis zerstob.

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Marc Jongen, ESN Fraktion
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