Über 100 Texte der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel sollen sich auf der Internetseite des Kulturstaatsministers Wolfram Weimer befunden haben – unter anderem (JF berichtete). Es ist ein wilder Mix aus übernommenen Pressemitteilungen, Beiträgen in den sozialen Netzwerken oder Rundmails. Gekennzeichnet wurden die Quellen fast nie. Ein klarer Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht. Weidel geht mittlerweile auch juristisch dagegen vor (JF berichtete).
Doch tatsächlich handelt es sich dabei nicht um den ersten Plagiatsvorfall des Verlegers. Bereits im Mai war durch die Zeit bekannt geworden, daß Weimer in seinen eigenen Büchern Textausschnitte anderer Personen verwendet hatte – ohne Kennzeichnung.
So recycelte er etwa Teile einer Rede des ehemaligen Papstes Joseph Ratzinger aus dem Jahr 2000 (als Ratzinger noch Kardinal war): „Europa scheint in dieser Stunde seines äußersten Erfolgs von innen her leer geworden, gleichsam von einer lebensbedrohlichen Kreislaufkrise gelähmt, sozusagen auf Transplantate angewiesen, die dann aber doch seine Identität aufheben müssen.“
Joseph Ratzinger wird ohne Angabe zitiert
Weimer setzte den Satz weder in Anführungszeichen, noch ließ er irgendwie durchblicken, daß er ihn nicht selbst verfaßt hatte – und das gleich zweimal. Denn sowohl in Weimers „Das konservative Manifest“ als auch in „Sehnsucht nach Gott“ taucht das Zitat ungekennzeichnet auf.
Und noch ein weiteres Zitat Ratzingers findet sich in beiden Veröffentlichungen. Der Satz ist dabei derart lang und spezifisch, daß es geradezu bizarr erscheint, daß Weimer ihn ungekennzeichnet übernahm: „Mit dem Sieg der posteuropäischen technisch-säkularen Welt, mit der Universalisierung ihres Lebensmusters und ihrer Denkweise verbindet sich weltweit, besonders aber in den streng nicht-europäischen Welten Asiens und Afrikas, der Eindruck, daß die Wertewelt Europas, seine Kultur und sein Glaube, worauf seine Identität beruhten, am Ende und eigentlich schon abgetreten sei; daß nun die Stunde der Wertesysteme anderer Welten, des präkolumbianischen Amerikas, des Islams, der asiatischen Mystik, gekommen sei.“
Teilweise sind dabei lediglich einzelne Wörter ausgetauscht
Ebenfalls geklaut wurde vom ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber. Sein Name taucht in keiner von Weimers Veröffentlichungen je auf, dennoch tauchen zwei verschiedene, nur leicht abgeänderte Absätze Hubers in den beiden zuvor genannten Büchern auf. Einem der Sätze aus dem 2001 veröffentlichten Text „Europa als Wertegemeinschaft“ – Huber schreibt dort gegen einen zu radikal gefaßten Werterelativismus an – fügte Weimer lediglich ein „für den Konservativen“ hinzu.
Am häufigsten aber zitiert Weimer sich selbst. Beide zuvor erwähnten Bücher – „Das konservative Manifest“ und „Sehnsucht nach Gott“ enthalten mehrere Wort-für-Wort recycelte Seiten, ohne daß dies für den Käufer irgendwie ersichtlich wäre. Während ersteres Buch „Zehn Gebote der neuen Bürgerlichkeit“ vorstellen will und laut Werbetext auf weltliche Maximen des Konservatismus fokussiert, ist „Sehnsucht nach Gott“ ganz auf das Thema der Religion gerichtet.
Teilweise sind dabei lediglich einzelne Wörter ausgetauscht: So heißt es im konservativen Manifest: „Werte schätzt der Konservative ohnedies mehr als andere.“ In der Sehnsucht nach Gott schreibt Weimer hingegen: „Werte schätzt der Religiöse ohnedies mehr als andere.“
Weimer sieht sich als Mehrfachverwerter eigener Texte
Seine Texte, verteidigte sich der Kulturstaatsminister damals, hätten „bewußt keinen wissenschaftlichen Charakter und auch nicht diesen Anspruch“. Es handele sich um „essayistische Texturen mit sehr freien Zitationen“, bei denen er für gewöhnlich dennoch die Urheber benenne. Das tue er „in der Regel sogar besonders intensiv und gerne“, um „Bezüge klarzumachen“. Daß weder Ratzinger noch Huber als Zitatgeber genannt würden, müsse ein Versehen sein.
Auf die Ähnlichkeit seiner eigenen Bücher angesprochen, erwiderte Weimer, er sei „immer ein Vielfachverwerter“ seiner eigenen Texte gewesen. Seine Artikel seien immer mehrfach veröffentlicht worden, auf mehreren digitalen Plattformen und später, in Absprache mit den Verlagen, in Buchform. (lb)