Es ist der Albtraum aller Sicherheitsexperten: Ein Krieg, der nicht in offenen Feldschlachten ausgetragen wird, sondern der aus dem Hinterhalt geführt wird – von einem unsichtbaren Gegner, der statt militärische Einrichtungen vornehmlich zivile Strukturen der Daseinsvorsorge angreift.
Seit dem Angriff Rußlands auf die Ukraine warnen Beobachter vor einer solchen hybriden Kriegsführung, mit der Moskau versuchen könnte, die Unterstützung Kiews durch den Westen zu untergraben, beispielsweise durch gezielte Angriffe auf die Trinkwasser- und Stromversorgung oder auf Kommunikationsleitungen. Doch was, wenn es gar keine feindliche ausländische Macht braucht, sondern – um im militärischen Sprachgebrauch zu bleiben – der Feind aus dem eignen Land kommt und dieser Krieg bereits in Gang ist?
Größter Stromausfall Berlins seit 25 Jahren
Berlin in der vergangenen Woche: Am frühen Dienstagmorgen schleichen sich im Schutze der Dunkelheit im Stadtteil Johannisthal im Bezirk Treptow-Köpenick unbekannte Täter an zwei Strommasten heran. Sie legen Feuer und zerstören beziehungsweise beschädigen dadurch wichtige Stromleitungen. Die Folge: Der größte Stromausfall in Berlin seit mindestens 25 Jahren, von dem 50.000 Menschen betroffen sind.
Tausende Berliner müssen bis zum Donnerstag vergangener Woche warten, bis sie endlich wieder mit Strom versorgt werden. Die Auswirkungen der Tat waren teilweise gravierend: Nicht nur Ampelanlagen und der Notruf waren betroffen, auch Straßen- und S-Bahnen blieben auf der Strecke stehen. Lebensmittelhändler und Caterer klagten über verdorbene Nahrungsmittel durch ausgefallene Kühlräume.
Schnell fällt der Verdacht auf Täter aus dem Umfeld der 2023 entstandenen linksextremistischen sogenannten „Switch off“-Bewegung, einem losen Zusammenschluß von radikalisierten Klimaaktivisten, Kapitalismusgegnern sowie Technik- und Fortschrittsskeptikern. Von dem Anschlag auf die Hochspannungsmasten in Johannisthal war auch der Technologiepark Adlershof betroffen. Bereits im vergangenen Jahr hatte es im benachbarten Brandenburg einen ähnlichen Angriff auf eine Stromleitung gegeben, der sich gegen die Fabrik des Autokonzerns Tesla richtete (JF berichtete).
Linksextremisten bezichtigen sich selbst
In einem auf der linksextremistischen Internetseite Indymedia veröffentlichten Pamphlet, das Bezüge zur „Switch off“-Bewegung erkennen läßt, bezichtigt sich Mitte vergangener Woche dann tatsächlich eine Gruppe, deren Mitglieder sich als „Anarchisten“ bezeichnen, die Tat verübt zu haben. Der Berliner Senat hält die Selbstbezichtigung für authentisch: „Wir gehen von einem Täterkreis aus dem linksextremistischen Spektrum aus“, sagte Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD), „also nicht aus dem Ausland, sondern aus dem Inland“. Die Tat sei sehr professionell ausgeführt worden.
Seit einigen Jahren schon beobachten Sicherheitsbehörden eine Zunahme von mutmaßlich von Linksextremisten verübten Anschlägen auf Infrastruktureinrichtungen in Deutschland. Längst schon belaufen sich nach Angaben der Bundesregierung die Sach- und Folgeschäden jährlich auf eine mehrstellige Millionenhöhe. Besonders häufig im Visier: das Streckennetz der Deutschen Bahn, die immer wieder von Anschlägen auf Kabelschächte betroffen ist. Durch den dadurch hervorgerufenen Ausfall von Kommunikations- und Signalanlagen kommt es dabei regelmäßig zu erheblichen Störungen im Bahnverkehr, nicht selten mit deutschlandweiten Auswirkungen.
Die Anschläge betreffen immer häufiger die Bevölkerung
Das Problem: Die betroffenen Kabelschächte und Verteileranlagen sind in der Regel leicht zugänglich und lassen sich kaum flächendeckend schützen und überwachen. Täter wählten gezielt jene Objekte, die „bei geringstmöglichem Risiko den größtmöglichen Schaden versprechen“, teilte das Innenministerium des besonders häufig von solchen Attacken betroffenen Nordrhein-Westfalen der Welt mit. Viele Schadensobjekte des Bahnverkehrs lägen ungesichert im Freien oder seien nur gering gesichert. Die Aufklärung sei wegen „komplexer Spurenlagen und konspirativ agierender Täter“ besonders schwierig.
Allein in diesem Sommer hat es mehrere Anschläge dieser Art gegeben, unter anderem auf die wichtige Nord-Süd-Bahnstrecke zwischen Düsseldorf und Duisburg. Mittlerweile gehen Beobachter wie der Bahnexperte Lukas Iffländer von der Dresdner Hochschule für Technik und Wirtschaft davon aus, daß es in Deutschland global betrachtet die meisten Angriffe auf Eisenbahnstrecken und Infrastrukturen gebe. „Man wird sich auch nicht absolut dagegen schützen können“, sagte er dem ZDF. Generell gebe es nur wenige Abwehrmaßnahmen gegen Angriffe auf das Bahnnetz, sagt Iffländer. Es sei beispielsweise nicht realistisch, „ein paar 10.000 Kilometer Bahnnetz permanent mit Drohnen“ zu überwachen.
Die Sicherheitsbehörden und der Verfassungsschutz haben die neuartige Gefahr von links bereits seit einiger Zeit im Blick. „Angriffe auf Infrastrukturen, Kritische oder sonstige, treffen nicht nur Unternehmen. Zunehmend ist auch die Bevölkerung von Ausfällen und Beeinträchtigungen der Energie- und Telekommunikationsinfrastruktur oder des öffentlichen Personenverkehrs betroffen, die durch linksextremistische Anschläge verursacht werden“, heißt es dazu im aktuellen Verfassungsschutzbericht. Eine Beschreibung, die auf den aktuellen Angriff in Berlin paßt.
Betreiber müssen bald alle Vorfälle melden
Auch das Bundesinnenministerium warnt vor einer Bedrohung für die öffentliche Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch gewaltorientierte Linksextremisten. Doch trotz der treffenden Problemanalyse wirken die Reaktionen von Politik und Sicherheitsbehörden bislang weitgehend hilflos. Eine zielgerichtete Strategie des Staates zur Bekämpfung dieser neuen Form des linken Terrorismus ist nicht zu erkennen, Fahndungserfolge blieben bislang aus.
Wenig ändern dürfte daran das sogenannte „Kritis-Dachgesetz“, das vergangene Woche vom Kabinett beschlossen wurde. Danach zählt zur Kritischen Infrastruktur alles, was mehr als 500.000 Personen versorgt. Künftig müssen dort Mindestanforderungen eingehalten und sämtliche möglichen Risiken bewertet werden. Außerdem werden die Betreiber Kritischer Infrastrukturen dazu verpflichtet, Vorfälle auf einem gesonderten Onlineportal zu melden.
Die Reaktion der Berliner Wissenschafts- und Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) auf den jüngsten Anschlag blieb denn auch entsprechend vage: „Es gehört zur Wahrheit dazu, daß wir uns auf Anschläge und Sabotagen gezielter vorbereiten müssen, um die Sicherheit für die Menschen in Berlin und die Infrastruktur zu gewährleisten.“ Denn alle Beteiligten wissen: Der nächste Anschlag von Linksextremisten auf die kritische Infrastruktur ist nur eine Frage der Zeit.