STADE. Ein 35jähriges Mitglied des Miri-Clans ist wegen der Ermordung eines konkurrierenden Al-Zein-Clan-Anhängers zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Nach der Urteilsverkündung des Landgerichts Stade kam es zu Tumulten zwischen den türkisch-arabischstämmigen Familien. Justizwächter mußten Pfefferspray einsetzen, um die verfeindeten Gruppen in Schach zu halten.
Familienangehörige des Opfers hatten versucht, die Sicherheitsglaswand zu überwinden und den Verurteilten zu attackieren. Auch außerhalb des Gerichtssaals kam es trotz hoher Sicherheitsauflagen zu Auseinandersetzungen zwischen dem Miri- und dem Al-Zein-Clan. Eine Gerichtssprecherin sagte der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, eine solche Eskalation noch nie erlebt zu haben.
Die niedersächsische Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) kündigte rechtliche Konsequenzen für die Randalierer an. Eine Pressesprecherin des Justizministeriums betonte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, daß Niedersachsen gezielt gegen kriminelle Clanstrukturen vorgehe. Konkret hat das Bundesland vier Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften „zur Bekämpfung krimineller Clanstrukturen“ eingerichtet.
Miris und Al-Zeins konkurrierten um Shisha-Shops
Hintergrund der Tat sollen jahrelange Konflikte zwischen den Familien sein, die sich um Shisha-Zubehörshops drehten. Laut Medienberichten drohten die Miris in Stade, den Al-Zeins das Geschäft streitig zu machen und sie zu verdrängen. Immer wieder kam es zu Krawallen. Am 22. März 2024 gingen die Kontrahenten erneut aufeinander los und griffen dabei ein Wohnhaus sowie ein Geschäft an.
Daraufhin sei es zu einem vermeintlich fingierten Autounfall in der Stader Innenstadt gekommen, an dem mutmaßlich beide Großfamilien beteiligt gewesen waren. Die Situation eskalierte, so daß Einsatzkräfte der Polizei versuchten, die Lage zu beruhigen.
Mordwaffe drang zehn Zentimeter tief in den Schädel ein
Im Beisein von Polizisten rammte der verurteilte Mörder abseits der Schlägerei einem 35jährigen Angehörigen des Al-Zein-Clans auf offener Straße ein Messer in den Kopf. Die Klinge drang zehn Zentimeter tief ein und steckte noch im Schädel, als das Opfer in die Klinik eingeliefert wurde. Einen Tag später verstarb der Mann an der Verletzung.
Laut dem Vorsitzenden Richter Erik Paarmann war das Opfer zum Tatzeitpunkt unbewaffnet und arglos. Der Täter handelte „auch aus einem zweifelhaften Ehrverständnis heraus“, sagte Paarmann. Dennoch stellte das Gericht weder niedrige Beweggründe noch eine besondere Schwere der Schuld fest, wie es die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Verteidiger plädierten auf Freispruch und wurden bedroht
Die Verteidigung plädierte auf Freispruch und kündigte an, in Revision zu gehen. Ihre Begründung: Nothilfe. Der Verurteilte habe versucht, seinem Bruder zu helfen, als dieser von Mitgliedern des verfeindeten Al-Zein-Clans angegriffen worden sein soll.
Videoaufnahmen belegten jedoch, daß das Mordopfer abseits der Auseinandersetzung in der Nähe eines Streifenwagens stand. Der Angeklagte behauptete, mit dem Messer nur die Schulter seines Opfers treffen zu wollen. Dies sei nicht glaubhaft, widersprach der Vorsitzende Richter Paarmann. Der Mordverdächtige ergriff zunächst die Flucht, wurde aber später festgenommen.
Bei der Urteilsverkündung zeigte der Verurteilte Reue – und bedankte sich bei seinen Verteidigern. Diese seien eigenen Angaben zufolge während des Prozesses von der Großfamilie des Mordopfers bedroht worden.
Landkreis Stade ist nicht das erste Mal wegen Clankriminalität in Schlagzeilen
Beiden Clanfamilien werden in Deutschland mehrere Tausend Anhänger zugerechnet. Die aus dem Libanon stammenden Al-Zeins zählen laut Bild allein in Bremen etwa 3.500 Mitglieder in etwa 30 Familien. Der Miri-Clan stammt aus der südanatolischen Provinz Mardin, rund 20 Kilometer nördlich der syrischen Grenze. Von dort aus wanderten sie ebenso wie die Al-Zeins über den Libanon nach Deutschland und andere europäische Staaten ein.
Der Landkreis Stade ist bereits mehrfach durch kriminelle Jugendbanden und Clankriminalität in die Schlagzeilen gerückt. Bei einer Razzia im Jahr 2023 mußte die Polizei einen gepanzerten Wagen und schwerbewaffnete Spezialkräfte einsetzen (JF berichtete).
Grüne kritisieren Lagebild Clankriminalität und bezeichnen es als „künstlich aufgebauscht“
Im niedersächsischen Lagebild Clankriminalität wurden im Jahr 2024 insgesamt 3.145 Straftaten erfaßt. Dies ist ein Rückgang um 465 Fälle im Vergleich zum Vorjahr. Laut Justizministerin Wahlmann zeige dies: „Niedersachsen läßt sich von kriminellen Clans nicht auf der Nase herumtanzen.“
Das Bundesland dulde keine „Parallelgesellschaften, die unseren Rechtsstaat ablehnen und versuchen, das staatliche Gewaltmonopol zu umgehen“. Mit dem Sinken der Fallzahlen sieht sich die Justizministerin in ihrer „Null-Toleranz-Strategie“ gegenüber Clankriminellen bestätigt.
Dagegen kritisieren die in Niedersachsen mitregierenden Grünen die von der SPD geführten Justiz- und Innenministerien. Das von beiden Ministerien erstellte Lagebild Clankriminalität sei „stigmatisierend“ und fördere „rassistische Stereotype“. Die rechtspolitische Sprecherin der Grünen in Niedersachsen, Evrim Camuz, meint: „Das Phänomen ‚Clankriminalität’ wird damit künstlich aufgebauscht – was den Eindruck erweckt, es handele sich dabei um eine besondere Gefahr für unsere Gesellschaft.“ (rsz)