BERLIN. Die frühere Bundesregierung unter Angela Merkel (CDU) hat offenbar trotz interner Warnungen und geopolitischer Risiken die Energiepartnerschaft mit dem russischen Staatskonzern Gazprom aktiv unterstützt. Das geht aus 63 internen Kanzleramtsdokumenten hervor, deren Freigabe die Süddeutsche Zeitung (SZ) juristisch erstritten hat.
Die Unterlagen zeigen, daß Merkel persönlich in den Entscheidungsprozeß rund um den Verkauf deutscher Gasspeicher an Gazprom sowie den Ausbau der Ostseepipeline Nord Stream 2 eingebunden war. So wurde die damalige Kanzlerin bereits im September 2015 schriftlich über einen geplanten „Asset-Tausch“ zwischen Gazprom und BASF/Wintershall informiert. Dabei sollte Gazprom Zugang zum deutschen Gashandel erhalten, während Wintershall Anteile an sibirischen Gasfeldern bekam.
Trotz der Annexion der Krim im Jahr 2014 und Warnungen vor wachsender Abhängigkeit stimmte das Kanzleramt dem Vorhaben nicht nur zu, sondern suchte laut SZ auch aktiv nach Argumentationslinien, um internationale Kritik – etwa aus Polen oder der Ukraine – zu entkräften. In einem internen Vermerk wurde betont, man sehe „keine rechtliche Handhabe“, das Geschäft zu untersagen. Gleichzeitig wurde festgehalten, daß Gazprom durch den Erwerb direkten Einfluß auf die Versorgungssicherheit in Deutschland erlange. Das Kanzleramt empfahl Merkel, mögliche Kritik mit dem Hinweis auf unternehmerische Entscheidungen und fehlende Eingriffsrechte abzuwehren – eine Passage, die Merkel handschriftlich abzeichnete.
Merkel begrüßte den Ausbau der Pipeline
Öffentlich wurde das Nord-Stream-Projekt als privatwirtschaftliches Vorhaben dargestellt. Intern hieß es jedoch in einer Merkel-Vorlage vom Juli 2015, ein weiterer Ausbau der Pipeline sei aus „deutscher und europäischer Sicht zu begrüßen“. Die Gefahr einer zunehmenden Abhängigkeit von russischem Gas wurde in den Unterlagen relativiert. Stattdessen wurde betont, daß Deutschland sich eine ablehnende Haltung gegenüber Nord Stream 3 und 4 „energiewirtschaftlich nicht leisten“ könne. Kritische Folgen für die Ukraine sollten durch einen „Reverse Flow“ ausgeglichen werden.
Die SZ hatte die Herausgabe der Dokumente im Jahr 2024 auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes beantragt. Das Kanzleramt willigte nach zunächst ablehnender Haltung schließlich ein. Die nun veröffentlichten Unterlagen werfen ein neues Licht auf die deutsche Energiepolitik der Merkel-Jahre. (rr)